Kapitel 18

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Sie legt die Hände über die Augen, blinzelt und beugt sich so weit vor, dass ihr die nächste ordentliche Welle ans Kinn klatschen könnte.
Beinahe hätte mich ihr konzentrierter Gesichtsausdruck überzeugt. Fast. Aber ich bin mit Raff aufgewachsen - seit der 3. Klasse wohnt sie nebenan. Inzwischen habe ich mich an falsche Gummischlagen aufvder Veranda, an Salz in der Zuckerdose und an Klarsichtsfolie über dem Toilettensitz gewöhnt - na gut, genau genommen ist Mom diesen Streichen zum Opfer gefallen.
Aber wie auch immer, Raff liebt solchen Unsinn fast so sehr, wie sie das Laufen liebt. Und das hier ist definitiv ein Streich.
"Yep, ich habe dich getreten." Ich verdrehe die Augen.
"Aber.... aber so weit kommst du gar nicht, Astrid. Meine Beine sind länger als deine und ich komme nicht an dich ran.... da ist es wieder! Hast du es nicht gespürt?"
Ich habe es nicht gespürt, aber ich habe gesehen, wie ihr Bein gezuckt hat. Ich frage mich, wie lange sie das schon plant.
Seit wir hier angekommen sind ?
Seit wir in Jersey ins Flugzeug gestiegen sind ? Seit wir 12 sind ?
"Ach komm, Raff. Du musst dir schon was Besseres einfallen lassen, wenn...."
Ihr Schrei lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ihre Augen quellen fast aus den Höhlen, und auf ihrer Stirn bilden sich Falten, die aussehen wie Treppenstufen.
Sie packt ihren linken Oberschenkel und gräbt die Finger so tief hinein, dass einer ihrer falschen Nägel abplatzt.
"Hör auf damit, Raff! Das ist nicht lustig!"
Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche, weiterhin die Gleichgültige zu spielen.
Ein weiterer Nagel platzt ab.
Sie streckt die Hand nach mir aus, greift aber ins Leere.
Ihr Bein zuckt ins Wasser hin und her, und sie schreit wieder, aber dieses Mal noch viel, viel schlimmer.
Sie umklammert das Surfbrett mit beiden Händen, aber ihre Arme zittern zu heftig, um Halt zu finden.
Echte Tränen vermischen sich auf ihrem Gesicht mit Salzwasser und Schweiß. Sie schluchzt so heftig, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie weinen oder wieder schreien will.
Jetzt bin ich überzeugt.
Ich schnelle nach vorn, packe ihren Unterarm und ziehe sie aufs Brett. Blut trübt das Wasser um uns herum.
Als sie es sieht, stößt sie immer hektischere, beinahe unmenschliche Schreie aus. Ich verschräke meine Finger mit ihren, aber sie erwidert meinen Griff kaum.
"Halt dich an mir fest, Raff! Zieh die Beine hoch auf dein Surfbrett!"

Blue Secrets / HiccstridWo Geschichten leben. Entdecke jetzt