Kapitel 60

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"Syrena. So nennt man uns - dich eingeschlossen."
"Syrena? Nicht Meerjungfrauen?"
Hicks räuspert sich. "Ähm, Meerjungfrau?"
"Ach? Darauf willst du jetzt hinaus? Na schön, dann eben Meermann - warte, ich wäre kein Meermann."
Aber mal im Ernst, was weiß ich schon über Fischgeschlechter? Außer dass Hicks definitiv männlich ist, ganz gleich, zu welcher Spezies er gehört.
"Nur fürs Protokoll, wir hassen dieses Wort. Und mit wir meine ich auch dich."
Ich verdrehe die Augen. "Schön. Aber ich bin keine Syrena. Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich keine große Flosse...."
"Du gibst dir einfach nicht genug Mühe."
"Nicht genug Mühe? Mir eine Flosse wachsen zu lassen?"
Er nickt. "Das ist noch kein natürlich Prozess für dich. Du bist zu lange in Menschengestalt gewesen. Aber es wird anfangen, dich zu stören, mit Beinen im Wasser herumzustrampeln. Du wirst den Drang verspüren, dich zu.... strecken."
"Tut das weh?"
Er lacht. "Nein. Es fühlt sich gut an, so wie es sich gut anfühlt, sich zu strecken, wenn man eine Weile gesessen hat. Ein Flosse ist ein einziger großer Muskel. Aufgeteilt in zwei menschliche Beine, ist er natürlich nicht mehr so kraftvoll. Aber wenn du in deine Syrena-Gestalt wechselst, strecken sich die Beinmuskeln und werden eins. Kannst du es nicht spüren?"
Ich schüttele den Kopf und mache große Augen.
"Es ist nur eine Frage der Zeit", sagt er und nickt bestätigend. "Wir werden schon noch dahinterkommen."
"Hicks, ich bin keine...."
"Astrid, dass du eine halbe Meile unter der Wasseroberfläche mit mir redest, ist Beweis genug für das, was du bist. Übrigens, wie fühlst du dich?"
"Meine Lunge fühlt sich irgendwie eng an. Was bedeutet das?"
"Bevor noch weitere winzige Luftbläschen entweichen können, legt er die Arme um mich und wir schnellen empor.
"Es bedeutet, dass dir jetzt die Luft ausgeht", murmelt er mir ins Ohr.
Ich zittere, aber nicht vor Kälte.
Moment Mal. Sollte es eine halbe Meile tief unten im Atlantik nicht eiskalt sein? Ich meine, in puncto Kälte bin ich wirklich ein Waschlappen. Niemand packt sich im Winter dicker ein als ich. Also, warum klappern meine Zähne jetzt nicht so heftig, dass sie in kleine Teilchen zersplittern?
Es ist swimmingpoolkalt, nicht etwas meine-Nasenlöcher-sind-zugefroren-kalt. Habe ich das der dicken Haut zu verdanken, die Hicks erwähnt hat?
Funktioniert die wie eine Isolierung?
Funktioniert die nur im Wasser?
Wir schießen an die Oberfläche. Hicks nickt beifällig, als ich die alte Luft aus- und neue einatme. Ich pumpe meine Lunge mit frischer Luft voll und will gerade wieder untertauchen, als er den Kopf schüttelt und mich erneut nach oben zieht.
"Lass uns nichts überstürzen. Ich bin mir nicht sicher, wie lange du den Atem anhalten kannst. Ich schätze, wir werden ein Auge darauf haben müssen, zumindest bis du dahinterkommst, wie du dich verwandeln kannst."
Er dreht mich um, sodass ich nach vorne sehe und klemmt mich akkurat unter einen Arm. Jetzt fühle ich mich wie ein Schoßhündchen. Der Mond späht auf uns herab, während wir für eine Weile auf den Wellen reiten.
In der Ferne können wir gelegentlich ein schwaches Wetterleuchten sehen, aber kein Land.
Als ich die Chihuahua-Position nicht länger ertragen kann, zappele ich mich frei. Er fängt mich auf, bevor ich untergehe und zieht mich an sich, sodass meine Nase seine streift.
Über Wasser fühlt sich jede unserer Berührungen mit Kilowatt aufgeladen an. Unten spüre ich nur Hicks' 'Puls' wie eine magnetische Kraft zwischen uns. Seine Flosse streicht so samtig wie der Flügel eines Schmetterlings gegen mein Bein, nicht schuppig wie ein Fisch.
Ich winde mich aus seinen Armen, um etwas mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Er lässt es zu, aber er lässt mich nicht los.
"Wenn ich eine Syrena bin, woher stamme ich denn dann?", frage ich. "Meine Mom hat nicht diese Augen."
Er nickt. "Ich weiß. Ich habe darauf geachtet."
"Außerdem ist sie wasserscheu. Wir wohnen nur am Strand, weil Dad das Meer geliebt hat." Tatsächlich spricht Mom, seit Dad nicht mehr ist, die ganze Zeit davon, in die Nähe der Stadt zu ziehen. Ich habe sie schließlich davon überzeugt, dass sie damit noch warten soll, bis ich aufs College gehe."
"Und dein Vater?"
"Blond. Blaue Augen. Nicht so bleich wie ich."
"Hmhm." Aber er klingt nicht überrascht. Vielmehr so, als hätte ich nur bestätigt, was er bereits vermutet hat.
"Was?"
"Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist, dass sie nicht deine richtigen Eltern sind. Sie können es nicht sein."
Ich schnappe nach Luft. "Du denkst ich bin.... adoptiert?"
"Was bedeutet adoptiert noch mal?"
"Dass sie mich als Kind großgezogen haben, ich aber von einer anderen Frau auf die Welt gebracht wurde."
"Offensichtlich."
Ich stoße mich von ihm weg. Die Wellen sind viel größer, wenn ich versuche, ganz allein mit ihnen fertigzuwerden.
"Du hast leicht reden, nicht wahr?"
Ich beschließe, die nächste Welle einfach zu verschlucken, statt über sie hinwegzuschwimmen. Ich bin erleichtert, als er wieder meine Taille umfasst.
"Astrid, ich gehe nur alle Möglichkeiten durch. Du musst zugeben, dass hier irgendjemand nicht die Wahrheit sagt. Und ich glaube nicht, dass du begründet behaupten kannst, ich würde lügen."
Ich schüttele den Kopf. "Nein. Du lügst nicht. Aber sie sind meine Eltern, Hicks. Ich habe die Nase meines Dads. Und das Lächeln meiner Mom."
"Hör mal, ich will nicht mit dir streiten. Wir werden einfach noch genauer darüber nachdenken müssen, das ist alles."
Ich nicke. "Es muss eine andere Erklärung geben."
Er schenkt mir ein schmallippiges Lächeln. Sein Gesicht zeigt einen zweifelnden Ausdruck. Schweigend lassen wir uns von den Wellen in Richtung Ufer treiben. Nach einer Weile zieht er meine Beine hoch und ich lehne meinen Kopf an sein seine Brust. Wir nehmen Geschwindigkeit auf, als er uns sanft durch die Wellen lenkt.
"Hicks?"
"Hmhm?"
"Was passiert, wenn wir das Ufer erreichen?"
"Wahrscheinlich solltest du ein bisschen schlafen."
Als ich das Kinn zu ihm hochrecke, sieht er mich bereits an.
"Du denkst, ich kann nach dieser ganzen Sache schlafen? Und überhaupt, das habe ich nicht gemeint."
Er nickt. "Ich weiß." Er zuckt die Achseln und rückt mich in seinen Armen zurecht.
"Ich habe gehofft, du würdest mir erlauben.... dir zu helfen."

Blue Secrets / HiccstridWo Geschichten leben. Entdecke jetzt