Kapitel 78

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"Astrid! Astrid, kannst du mich hören?"
Eine Ohrfeige schreckt mich aus dem Schlaf. "Hm?"
Nicht gerade mein attraktivsten Auftritt. Ich reibe mir die Augen. Er wiegt mich wie eine Prinzessin in seinen Armen. Ich sehe Sterne. Wann sind wir aufgetaucht?
Billionen schöner Sterne an einem klaren Nachthimmel. Fischprinz-Charming hält mich fest. Es ist wahrscheinlich der romantischste Moment meines Lebens. Hicks ruiniert ihn, indem er knurrt: "Ich dachte, du wärst tot. Zum zweiten Mal."
"Tut mir leid." Das ist alles, was mir einfällt. "Oh ja, und: Danke, dass du mich gerettet hast."
Er schüttelt den Kopf. Offensichtlich bin ich nicht mit Reden dran.
"Ich wache auf und du bist weg", sagt er mit zusammengepresstem Kiefer. "Und dann gehst du nicht an dein Handy."
Ich öffne den Mund, aber seine Augen weiten sich. Ich bin also immer noch nicht mit Reden dran.
"Ich habe dir gesagt, dass du niemals allein ins Wasser gehen darfst...."
Das ist mein Stichwort. "Ich nehme keine Befehle entgegen, Hoheit."
Ups, an seinem zornigen Blick kann ich erkennen, dass das nicht gerade klug gewesen ist.
Er atmet mehrmals tief durch. Dann noch ein paar mal. Ich warte nur darauf, dass er anfängt zu hyperventilieren. Aber er fängt nicht an. Stattdessen packt er mein Kinn. Fest. Während er meinen Mund beäugt, wird seine Miene sanfter. Er lässt mein Kinn wieder los und späht neben uns ins Wasser.
Dann zieht er uns in die Tiefe.
Er hält mich immer noch wie eine Braut, die über die Sache getragen wird, während wir schneller als ein frei fallender Aufzug hinabschießen. Aber es ist das Ich-weiß-etwas-das-du-nicht-weißt Grinsen auf seinem Gesicht, das mich beinahe dazu bringt, mich aus seinen Armen zu winden.
Endlich halten wir an.
Er nickt über meinen Kopf hinweg und dann nimmt er seine Tarngestalt an. Aus Erfahrung graut mir davor, mich umzudrehen. Und ich habe recht. Ich presse mich gegen Hicks, aber er lässt nicht zu, dass ich mich hinter ihn flüchte. Ein Wal. Ein gigantisches Exemplar. Und dank Hicks' Tarnung bin ich die Einzige, die er sehen kann. "Was hast du vor, Hicks? Bring mich hier weg."
"Du bist diejenige, die schwimmen gehen wollte. Allein. Hast du deine Meinung geändert?"
"Ich habe mich entschuldigt."
"Du hast auch gesagt, dass du keine Befehle entgegen nimmst...."
"Ich habe nur einen Witz gemacht." Ha, ha, ha.
Er kichert und wird wieder sichtbar. "Er wird dir nichts tun, Astrid."
"Er kommt näher, Hicks."
"Er ist neugierig."
"Du meinst neugierig, wie ich schmecke?" Und warum bringt Hicks uns nicht schon längst im Eiltempo von hier weg? Lektion gelernt!
"Nein." Er lacht. "Obwohl ich selbst darauf brenne, das herauszufinden."
Ich wirbele zu ihn herum. "Das ist nicht witzig. Du kannst dich wenigstens hinter deine Tarnung verdrücken. Bring mich weg. Bitte."
Er schüttelt den Kopf. "Er wird dir nichts tun. Er ist ein Knubbi. Menschen nennen ihn Pottwal. Pottwale ernähren sich größtenteils von Tintenfischen. Ich habe noch nie von einem gehört, der unsere Art angegriffen hätte. Er ist nur auf Erkundungstour - ich schwöre es."
Mit einer Hand dreht er mich in seinen Armen um. Das gigantische Tier ist so nah, dass ich seine Augen sehen kann. Sie sind ungefähr so groß wie mein ganzer Kopf.
"Sprich mit ihm", flüstert Hicks.
Ich keuche auf. "Hast du den Verstand verloren?" Das Zittern in meiner Stimme passt zum Zittern meines Körpers. Hicks' Nase, die meinen Hals anstupst, beruhigt mich.... ein wenig.
"Astrid, sprich mit ihm. Sag ihm, dass wir ihm nicht wehtun werden."
Wir werden ihn nicht wehtun?
"Sag du es ihm. Du bist hier der Fisch."
"Astrid, er versteht nur dich. Mich nicht."
"Hick, lass uns gehen. Bitte. Ich werde alles tun, was du willst. Ich werde nie wieder ohne deine Erlaubnis einen Fuß ins Wasser setzen. Nie und nimmer."
Er dreht mich wieder zu sich um und hebt mein Kinn mit seinem Daumen an. "Hör mir zu, Astrid. Ich würde niemals zulassen, dass dir etwas zustößt. Ich versuche, dir zu zeigen, wie außergewöhnlich du bist. Aber du musst dich beruhigen."
Er umfasst mein Gesicht und erlaubt mir nicht, mich abzuwenden. Er sieht mir fest in die Augen und streichelt mein Haar. Streift mit seinen Fingern über meine Wange. Presst seine Stirn an meine. Nach ungefähr einer Minute beruhige ich mich tatsächlich. Er lächelt. "Du hast aufgehört zu zittern."
Ich nicke.
"Bist du bereit, dich umzudrehen?"
Ich schlucke unwillkürlich. "Ist er nah?"
Hicks nickt. "Er ist direkt hinter dir. Astrid, wenn er dich fressen wollte, hätte er es schon längst getan. Du hast nur Angst vor ihn, weil er so groß ist. Sobald du diese Angst überwindest, ist es so, als würdest du mit einem Goldfisch sprechen."
Ich bekomme keine Chance, über den Vergleich nachzudenken, weil er mich so schnell herumwirbelt, dass es sowohl mich als auch Goliath erschreckt.
"Sprich mit ihm, Astrid."
"Was sage ich denn zu einem Wal, Hicks?", zische ich.
"Sag ihm, er soll näher kommen."
"Ganz bestimmt nicht."
"Na schön. Sag ihm, er soll sich zurückziehen."
Ich nicke. "Alles klar. Okay."
Ich verschränkte die Finger, damit ich mir die Hände nicht wundern knete. Neben meinem Entsetzen wird mir der Irrsinn dieser Situation bewusst. Ich stehe im Begriff, einen Fisch von der Größe meines Hauses darum zu bitten, die Kurve zu kratzen.
Weil Hicks, der Fischmann hinter mir, die Pottwal-Sprache nicht beherrscht. "Ähm, kannst du bitte etwas Abstand halten?", frage ich.
Ich klinge höflich, als hätte ich ihn um eine kleine Spende für wohltätige Zwecke.
Einige Sekunden später fühle ich mich besser, weil Goliath sich nicht rührt. Es beweist, dass Hicks keine Ahnung hat, wovon er redet. Es beweist, dass dieser Wal mich nicht verstehen kann, dass ich nicht so eine Art Scheeweißchen des Ozeans bin.
Nur dass Goliath dann doch anfängt, sich umzudrehen.
Ich schaue mich zu Hicks um. "Das ist nur Zufall." Hicks seufzt. "Du hast recht. Wahrscheinlich hat er uns irrtümlich für einen Verwandten gehalten oder so. Sag ihn, er soll etwas anderes tun, Astrid."
"Hicks, können wir nicht einfach...."
"Sag es ihm."
Goliath ist ein wenig auf Abstand gegangen. Jetzt sieht er nur noch so groß aus wie ein einziger Schulbus, nicht mehr wie drei.
Die kleine fächernde Bewegung, mit der sein riesiger Schwanz ihn wegbewegt, erinnert mich an eine Fahne, die träge in einer sanften Brise hin und her weht. "Warte", rufe ich. "Komm zurück. Du brauchst nicht fortzugehen."

- - - - - - - - - H I C C S T R I D - - - - - - - - -

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Blue Secrets / HiccstridWo Geschichten leben. Entdecke jetzt