Kapitel 55

220 19 3
                                    

Sie windet sich aus seiner Umarmung heraus und steckt den Nagellackpinsel zurück in sein Fläschchen.
"Warum lackierst du dir denn deine eigenen Zehen nicht, wenn du so gut darin bist? Wahrscheinlich sind sie ganz kaputt von deinen ständigen Zusammenstößen. Stimmt's?"
Ja? Und? Ich will sie gerade über ein paar Dinge aufklären - zum Beispiel, dass es den Effekt von hübschen Zehen ruiniert, wenn man mit einem Rock im Schneidersitz auf einem Hocker sitzt -, als Hicks' Mom mir sanft eine Hand auf den Arm legt und sich räuspert.
"Astrid, ich bin ja so froh, dass du dich besser fühlst", sagt sie. "Ich wette mit einem Abendessen im Bauch bist du viel schneller wieder auf den Beinen, meinst du nicht auch?"
Ich nicke.
"Du hast Glück, meine Liebe. Essen ist fertig. Hicks, würdest du bitte die Pfanne aus dem Ofen holen? Und, Heidrun, du hast den Tisch nur für 4 gedeckt! Fischbein, schnapp dir noch ein Gedeck, ja? Nein, anderer Schrank. Danke."
Während sie Befehle erteilt, führt sie mich zum Tisch und zieht einen Stuhl heran.
Nachdem sie ihn mir in die Kniekehle gerammt hat, dass ich auf das Sitzkissen falle, flitzt sie in ihren hochhackigen Schuhen zurückerstattet an den Herd.
Fischbein stellt das Gedeck so schnell vor mich hin, dass es wie ein kreiselnder Penny wackelt. "Hoppla, tut mir leid", murmelt er. Ich schaue lächelnd zu ihm auf. Er tippt mit der Hand auf den Teller, um das Vibrieren zu stoppen.
Dann wirft er eine Gabel und ein Messer obendrauf. Als er mein Trinkglas hinstellen will, hält Hicks ihn am Unterarm fest und reißt es ihm aus der Hand.
"Das ist Glas, du Idiot. Schon mal gehört?", fragt Hicks. Er stellt es hin, als sei es ein rohes Ei, dann zwinkert er mir zu.
Ich bin froh, dass er sie Kontaktlinsen herausgenommen hat - er hat die hübschesten violetten Augen von allen hier.
"Tut mir leid, Astrid. Wir haben nicht oft Besuch."
"Das stimmt", bestätigt Fischbein und setzt sich neben Heidrun.
Als alle Platz genommen haben, benutzt Hicks einen Topflappen, um den Deckel von der riesigen, fleckige Pfanne in der Mitte des Tisches zu nehmen.
Und ich muss mich fast übergeben.
Fisch. Krabben. Und.... Sind das etwa Tintenfischarme ?
Bevor ich mir eine höfliche Ausrede einfallen lassen kann - ich würde eher meinen eigenen kleinen Finger essen als Meeresfrüchte -, klatscht Hicks das größte Stück Fisch auf meinen Teller.
Dann löffelt er eine Mischung aus Krabbenfleisch und Muscheln obendrauf.
Als mir der Dampf in die Nase zieht, schwinden meine Chancen, höflich zu bleiben.
Ich habe nur eine Chance: es so aussehen lassen, als hätte ich Schluckauf, statt zu würgen.
Was habe ich vorhin gerochen, dass mir fast das Wasser im Mund zusammengelaufen ist ?
Das hier kann es nicht gewesen sein.
Ich spieße das Filet auf die Gabel und drehe es hin und her.
Es fühlt sich an, als würde ich meine eigenen Eingeweide hin und her drehen.
Zermatsch es, Würfel es, misch alles zusammen.
Aber ganz egal, was ich tue, ich kann es nicht einmal in die Nähe meines Mundes bringen.
Versprochen ist versprochen, Traum hin, Traum her.
Selbst wenn mich in Grannys Teich kein echter Fisch gerettet hat, haben mich die unechten, von meiner Fantasie heraufbeschworenen getröstet, bis Hilfe kam.
Und jetzt wird von mir erwartet, dass ich ihre Cousins esse ?
Nie im Leben.
Ich lege die Gabel beiseite und Nippel an meinen Wasser.
Ich spüre, dass Hicks mich beobachtet. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass die anderen sich das Zeug ins Gesicht schaufeln. Außer Hicks.
Er sitzt reglos da, den Kopf zur Seite geneigt und wartet darauf, dass ich den ersten Bissen nehme.
Jederzeit ein Gentleman.
Was ist bloß mit dem Jungen passiert, der mich noch vor wenigen Minuten wie eine Dreijährige übers Knie gelegt hat?
Ich krieg das Zeug immer noch nicht runter.
Und sie haben nicht einmal einen Hund, den ich unter dem Tisch füttern könnte - mein Masterplan, wenn wir bei Raffs Großmutter zu Besuch waren.
Einmal hat Raff sogar eine Essensschlacht angezettelt, um mich zu retten.
Ich blicke in die Runde, aber Heidrun ist die Einzige, der ich diesen Matsch an den Kopf werfen würde.
Außerdem würde ich am Ende noch selbst etwas von dem Zeug abkriegen.
Hicks stößt mich mit dem Ellbogen an.
"Hast du keinen Hunger? Es geht dir doch nicht wieder schlechter, oder ?"
Das erregt die Aufmerksamkeit der anderen.
Das wilde Reinschaufeln hört abrupt auf. Alle starren mich an:
Heidrun verärgert, weil ihre kleine Völlerei unterbrochen wurde.
Fischbein grinsend, als hätte ich etwas Witziges getan. Hicks' Mom besorgt. Kann ich lügen? Soll ich lügen?
Was, wenn ich wieder eingeladen werde und sie noch mal Meeresfrüchte kocht, weil ich sie dieses Mal angelogen habe ? Wenn ich Hicks erzähle, dass mein Kopf wehtut, bewahrt mich das nicht vor zukünftigen Meeresfrüchtebuffets.
Und es wäre sinnlos, ihm zu sagen, ich hätte keinen Hunger, weil mein Magen gurgelt wie ein sich Leerendes Abflussrohr.
Nein, ich kann nicht lügen. Nicht, wenn ich jemals wieder hierher kommen will.
Und das möchte ich. Ich seufze und lege die Gabel beiseite.
"Ich hasse Meeresfrüchte", erkläre ich ihm.
Fischbeins plötzliches Husten lässt mich zusammenzucken. Er würgt wie eine Katze, die mit einem Haarball kämpft.
Ich richte den Blick auf Hicks, der aussieht, als wäre er zur Statue geworden. Himmel, ist das das einzige Gericht, das seine Mom kochen kann?
Oder habe ich gerade das preisgekrönte Haddock-Familienrezept für Zackenbarsch runtergemacht?
"Du....  du meinst, du magst diese Art von Fisch nicht, Astrid ?", fragt Hicks diplomatisch.
Ich will schon verzweifelt nicken, will sagen: "Ja, genau, nicht diese Art von Fisch" - aber dann komme ich nicht um den Krabbenfleisch- und Muschelberg auf meinem Teller herum.
Ich schüttele den Kopf.
"Nein. Nicht nur diese Art von Fisch. Ich hasse Fisch ganz grundsätzlich. Ich kann nichts davon essen. Kann es kaum riechen."
Warum springst du ihn nicht gleich an die Kehle, Dummkopf!
Hätte ich nicht einfach sagen können, dass ich nichts dafür übrig habe?
Musste ich gleich sagen, dass ich Fisch hasse ?
Dass ich sogar den Geruch hasse?
Und warum werde ich rot?
Es ist kein Verbrechen, bei Meeresfrüchten zu würgen. Und um Gottes Willen, ich werde nichts essen, was noch Augäpfel hat.

Blue Secrets / HiccstridWo Geschichten leben. Entdecke jetzt