Kapitel 19

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Sonnenherz drang in den Wald ein und blieb plötzlich stehen. Ihr war der Gedanke so schnell gekommen, dass sie kaum Zeit gehabt hatte, einen richtigen Plan zu machen. Sie wollte unbedingt mit Sturmnacht reden, um seine Meinung zu verstehen. Er war immer allein gewesen und doch war er tapfer auf der Versammlung zu Schauersterns, er hat seinem Bruder sogar ein Leben gegeben. Sie musste ihr finden, doch wo konnte er nur sein. In ihrem Tatendrang hatte sie ganz vergessen, Blütenstern nach seinem Aufenthaltsort zu fragen und zurückgehen wollte sie nicht. Womöglich musste sie dann wieder eine halbe Ewigkeit Geschichten hören. Aber wer konnte denn noch wissen, wo sich Sturmnacht aufhielt. Forellenstern und Blütenblatt wahrscheinlich, aber die musste sie ja auch erstmal finden. Sie lief durch den Wald und fragte sich durch, doch keine Katze wusste, wo er sich aufhielt. Der einzige nützliche Tipp kam von einer Flussclankatze, die meinte, er wäre häufig in der Nähe von dem großen Sternenteich. Deshalb machte Sonnenherz sich auf den Weg zu diesem und hoffte, dort auf Sturmnacht zu treffen. Als sie bei dem Teich ankam, glitzerte er in der Sonne. Das Summen von Bienen war lauter geworden und einige Libellen umkreisten das Schilf. Auf einem Stein Nahe vom Ufer saß ein Frosch und quakte laut. Die Luft war heiß und stickig, das Grass bewegte sich sachte im Wind und von überall her kam Beutegeruch. Sonnenherz rief nach Sturmnacht. Der Frosch sprang auf und verschwand im Wasser. Es kam keine Antwort. Sonnenherz rief noch einmal. Wieder nichts. Doch durch ihr Rufen hatte sie eine Wühlmaus aufgeschreckt, die nun an ihr vorbei huschte. Sofort war Sonnenherz in einer Jagdstellung und schlich hinter der Maus her. Diese hatte sich wieder beruhigt und nagte an einem Stück Pflanzensamen. Sonnenherz kam näher, sie war nun komplett auf die Beute fixiert. Sie wollte gerade losspringen, hatte sogar schon die Muskeln angespannt, da sprang plötzlich etwas großes vor ihr aus dem Gebüsch. Vor Schreck zuckte Sonnenherz zusammen und erst nach einer Weile erkannte sie, dass der Kater, der da vor ihr stand, Sturmnacht war. Wie auf der Zeremonie glitzerte sein dunkler Pelz in der Sonne, seine Muskeln spielten unter dem Pelz und seine Augen funkelten neugierig. „Hallo Sonnenherz. Hast du mich gerufen?" Sonnenherz fing sich wieder und antwortete. „Ja, das habe ich." Sie schaute dahin, wo eben noch die Wühlmaus war, aber die war nun natürlich verschwunden. „Es tut mir Leid, ich wollte dich nicht bei der Jagd stören." „Nicht schlimm. Ich wollte dich ja sehen." „Warum denn? Was willst du denn?" fragte Sturmnacht verwirrt. „Ich habe gehört, dass du dich mit Schauerstern gestritten hast, weil er immer einen Kampf wollte. Auch mit deinem Vater warst du auf Kriegsfuß." „Bis auf ein kleines Detail ist alles richtig. Ich bin nämlich immer noch mit meinem Vater auf Kriegsfuß. Aber warum wolltest du mich deshalb sehen?" „Ich möchte deine Beweggründe wissen, weshalb du nie kämpfen wolltest." „Das ist leicht mit einer Gegenfrage zu erklären. Warum wollt ihr denn immer kämpfen? Warum herrscht zwischen den Clans immer eine unfreundlich Stimmung? Warum nehmen wir uns gegenseitig das Leben, obwohl wir dieselben Interessen haben? Wir wollen alle unsere Jungen aufziehen und unseren Clan schützen, doch das geht doch auch ohne Krieg. Wir verletzen uns gegenseitig, machen uns das Leben schwer, doch warum all das? Wegen Territorium?" Darauf konnte Sonnenherz nicht antworten. Nach einer Weile sprach Sturmnacht weiter. „Siehst du, keine Katze kann mir auf diese Fragen eine vernünftige Antwort geben. Aber dennoch machen sie so weiter, wie zuvor. Es interessiert sie nicht, was ich zu sagen habe." „Doch, es interessiert mich. Alles was du sagst, macht Sinn. Durch dich betrachte ich das ganze Clanleben von einer anderen Seite." „Wirklich? Dann wärst du aber die erste." „Wirklich!" „Das ist ja wunderbar! Endlich versteht eine Katze meine Sorgen." „Ich würde gerne mehr von deinen Ansichten hören." miaute Sonnenherz. „Dann komm mit. Ich kenne einen Platz, wo wir ungestört in Ruhe reden können." Sturmnacht sprang los und Sonnenherz folgte ihm. Sie liefen in ein Gebüsch und kamen auf eine versteckte Lichtung. Dort setzten sie sich hin. „Na, dann leg mal los, mein Friedensstifter."

Sonnenherz ging gemächlich den Pfad über die Wiese. Sie hatte bis eben noch zusammen mit Sturmnacht gesessen, der ihr eine neue Welt an Ansichten geöffnet hatte. Sonnenherz wusste nicht, wie lange sie geredet hatten, aber sie war noch nie so glücklich nach einem Gespräch gewesen. Nicht einmal das Zusammensein mit ihrer Familie hatte ihr so ein Gefühl gegeben. Sturmnacht hatte ihr gezeigt, dass der Kampf unsinnig war. Während Sonnenherz über die Geschichten von Sturmnacht nachdachte, kam sie an dem Bach an und lief ihn entlang, ohne zu bemerken, was sie gerade tat. Immer noch schien die Sonne Ungnädig auf den Boden. Vor ihr lag der Wald. Als Sonnenpfote in diesen eintrat, war es schön kühl. Sie lief weiter. Als sie sich von Sturmnacht verabschiedet hatte, hatte er sie gefragt, ob sie sich bald wieder treffen wollen würden. Sonnenherz hatte mit Ja geantwortet. Sturmnacht würde nach ihr suchen, wenn sie sich wieder treffen wollten. Sonnenherz drang tiefer in den Wald, als sie je gewesen war. Als sie das merkte, wollte sie umdrehen, doch plötzlich sah sie Silberstern auf einer Lichtung vor sich. Sie wollte gerade nach ihr rufen und zu ihr gehen, als sie sah, dass Silberstern sich mit jemandem unterhielt. Es war ein riesiger brauner Kater, den Sonnenherz noch nie gesehen hatte. Sein Fell stand zu allen Seiten ab und über sein rechtes Auge verlief eine Narbe. Sonnenherz konnte zwar nicht verstehen, was die zwei beredeten, aber der braune Kater wirkte wütend und aufgeregt. Schließlich machte er kehrt und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite im Wald. Silberstern selbst sah plötzlich in dem Licht sehr geheimnisvoll aus. Ihr Pelz glitzerte, ebenso ihre Augen. Zuerst wunderte sich Sonnenherz, doch dann verstand sie. Eine Sternenclankatze schimmerte immer so, wenn sie eine lebende Katze traf. Dieser brauner Kater musste also noch Leben und er sah nicht aus, als würde er gerade freundlich drauf sein. Plötzlich bekam Sonnenherz angst, angst vor der Situation hier und angst vor Silberstern. Sie wollte sich gerade wegschleichen, da drehte Silberstern sich um und schaute ihr direkt in die Augen. „Komm her, Sonnenherz." sagte sie ruhig.

Warrior Cats - Der Ruf des SternenclanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt