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Die Autofahrt ging schnell vorbei. Vor meinen Augen tanzten durchgängig Sternchen und mir war, als müsste ich gleich erbrechen. Dazu kam die bedrückte Stimmung im Auto. Durch den Seitenspiegel sah ich die besorgten Blicke von Frau Bau, die sie mir alle 10 Sekunden zu warf und auch die heimlichen Blicke von Tim konnte ich nicht nicht bemerken.

Nun lag ich in meinem Zimmer. Der zuständige Arzt war gerade rausgegangen. Er meinte ich sollte mich etwas hinlegen. Tim und seine Mutter warteten draußen. 

Als ich mich vorhin auszog, damit die Ärzte mich untersuchen konnten, hatte eine junge Krankenschwester leise aufgeschrien. Alle schauten mich überrascht an, ihre Gesichtsausdrücke waren gezeichnet vom Schock. Die Anzahl meiner blauen Flecken war zwar runtergegangen, jedoch blieben ein paar hässliche Narben auf meiner weißen Haut. Der Chefarzt hatte den Ton ergriffen und fragte mich mit ruhiger Stimme, was passiert sei. Ich erzählte ihm natürlich nur die halbe Wahrheit.

Das Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. "Ja..." sagte ich vorsichtig. Frau Bau kam rein, ihre Miene war mitleidig. "Stegi, wie geht es dir?" Sie sah zu mir herab. Ihre Augen scannten meinen Körper ab, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis, warum es mir so schlecht ging. "Mir geht es...okay?" es klang eher nach einer Frage. Sie verzog ihr Gesicht, als hätte ihr diese Antwort nicht gefallen, doch sie sagte nichts dazu.

Stattdessen schaute sie sich im Raum um. "Du hast ein wirklich schönes Zimmer." sagte sie. Ok, Themawechsel. Fand ich ganz angenehm. Ich musste ihr wirklich recht geben. Für ein Krankenhauszimmer sah es hier wirklich schön aus. Es war nicht schlicht weiß gehalten, sondern in warmen Brauntönen.

"Ich habe gerade mit dem Doktor geredet." sagte sie, während sie aus dem Fenster blickte. "Sie werden die Informationen heute noch auswerten und uns morgen bescheid geben." Sie machte eine Pause. "Du wirst auf jeden Fall bis morgen hier bleiben. Nur zur Kontrolle."

Es klopfte erneut. Ohne dass ich etwas sagen musste, steckte Tim seinen Kopf in den Türrahmen. "D...darf ich?" Ich schaute zu seiner Mutter, diese nickte jedoch. Tim öffnete die Tür ganz und schritt mit kleinen Schritten in das Zimmer.

Zuerst stand er da, links von meinem Bett. Seine  braunen Haare waren total verwuschelt und seine Hände baumelten einfach frei in der Luft. Er schaute unsicher zu mir, dann wieder auf den Boden, wieder zu mir und dann zu seiner Mutter, welche nachdenklich den Boden musterte.

Er räusperte sich. Keine Reaktion. Er räusperte sich ein zweites Mal, diesmal lauter. Frau Bau schaute auf. "Oh, ja. Tut mir leid. Ich geh dann mal raus."  Sie sagte es mit einem kleinen Grinsen im Gesicht. Ok?

Als die Tür zuknallte, drehte sich Tim zu mir. Er schaute auf mich. Sein Blick war schwer einzuschätzen. So vieles hätte ich daraus lesen können, doch so viel konnte ein Mensch gar nicht fühlen, nicht in einem einzigen Augenblick. Ich erkannte Zweifel, Trauer, Verlegenheit, Reue, Hoffnung, Angst...

Es herrschte Stille. Unangenehme Stille. Mein Herz pochte und ich musste zugeben, dass ich Angst hatte. Angst vor Tim, Angst vor dem Kommenden. Mein Hand krallte sich in mein Bettlaken. Tim bemerkte dieses auch, denn er lächelte mich gequält an. "Bitte hör mir kurz zu." Ich schaute ihn mit ängstlichen Augen an. "Bitte, nur zuhören." Ich nickte.

Tim schaute sich um, zog einen Stuhl an sich und setze sich, direkt vor meinem Krankenbett, hin.

Als er begann, schien es ihm schwer zu fallen."Stegi, ich weiß nicht wie ich anfangen soll... Weißt du, ich schäme mich dafür, was ich dir angetan habe. Vor allem, weil ich gar keinen genauen Grund hatte." er schluckte. Mein Herz fing an zu rasen. "I...ich wollte dir am Anfang gar nicht weh tun,... doch ich habe es trotzdem gemacht. Ohne einen Grund zu haben!"

Tim suchte nach Worten. "I...ich muss leider zugeben, dass es mir gefiel, andere Leute fertig zu machen, sie zu ärgern und ab und an zu treten." Mein Herz setzte einen Moment aus. Das hatte ich bemerkt...

"Doch als ich Marek kennen lernte und ich erfuhr, was er mit dir machte, dass er sogar stolz darauf war, dir weh zu tun, dass hatte mir die Augen geöffnet." Ich sah ihn stumm an. "Meine Mutter hatte so vieles negatives über ihn erzählt und dann wurde mir auf einmal klar, dass ich eigentlich genauso war wie er." Er schluckte erneut und schaute auf den Boden.

"Ich dachte immer, du hättest ein schönes Leben, ein normales, deswegen fiel es mir gar nicht soo schwer dich zu schlagen. Doch als ich erfuhr, dass du ... eine Waise... bist und dazu noch von einem Fiesling verprügelt wirst,... da ging es mir schlecht. Ich hatte solche Schuldgefühle,..." er wurde leiser. Ich sah ihn einfach nur an, ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.

Er schaute hoch, direkt in meine Augen, als er seinen Satz beendete. "...doch aus irgendeinem Grund war mein Ego einfach zu groß." Er presste seine Lippen auf einander und schaute mich unsicher an. "Als ich dich heute auf dem Boden sah, du sahst so verletzlich aus, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen..." er machte eine Pause. "Du benötigst Hilfe...  und die würde ich dir gerne geben."

Tim lächelte zaghaft. Ich schaute ihn stumm an. War das sein Ernst? Zuerst hatte mir seine 'Rede' gefallen, doch dieses Ende? Er stellte mich als  hilflos da. Kein einziges mal hatte er die Worte 'Entschuldigung'  oder 'Es tut mir so leid' in den Mund genommen. Und dachte er wirklich, ich würde es ihm glauben? Erst mich verprügeln und sich dann 'reinreden'. Hahaha, sorry Tim, so dämlich war ich nicht.

"Tim?" Er schaute mich hoffnungsvoll an. "Geh bitte."

Er schaute wie ein verletzter Welpe...

Neues Leben:( ~StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt