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Schweigend stand ich am Bahnhof. Mein Arm war immer noch zum Winken angehoben. Jetzt war er wieder weg und ich stand ganz alleine da. Die letzte Ferienwoche war schnell vergangen und Patrick war der Grund dafür. Wenn er da war, konnte ich alles vergessen. Marek, seine Nachricht, Tim und all die anderen Probleme. Ich konnte den Zug schon lange nicht mehr sehen, doch trotzdem sah ich in seine Richtung.

Mein Herz verkrampfte sich. Allein, das war ich. Langsam ließ ich meinen Arm sinken. Was sollte ich jetzt tun? Ich schaute mich um. Der karge Bahnhof war wie immer verlassen. Nur das Ticken der Bahnhofsuhr war zu hören. Es war kurz nach 5 Uhr. Um 7 Uhr würde es Abendessen geben. Ich bückte mich nach meinem Rucksack und schwang ihn mir auf die Schulter. Jetzt würde ich Schulsachen kaufen. Allein beim Gedanken an Schule verkrampfte sich mein Magen. Auch wenn es wirklich keine schönen und entspannten Ferien waren, hatte ich sie genossen. Naja, irgendwie werde ich dieses Schuljahr auch noch überleben... hoffentlich.

Ich lief in die Stadt und schon nach wenigen Minuten fiel mir auf, dass es heute sehr still war. Auf den Straßen waren nur vereinzelte Menschen, manche waren mit ihrem Hund spazieren, andere gingen joggen. Heute war irgendwie alles seltsam. Ich bog rechts in eine Gasse, um zu dem Schreibwarengeschäft zu gelangen, doch erst dann fiel mir auf, welchen Tag wir heute hatten. Es war Sonntag. Ich war so dumm. Und dem entsprechend war der Laden zu.

 Spontan entschied ich mich einfach rumzulaufen. Eineinhalb Stunden hatte ich noch. Zu früh zum Abendessen wollte ich nicht und alleine in meinem Zimmer zu sein, steigerte die Gefahr einen Besuch von Marek zu erhalten. Also lief ich rum. Durch die Stadt, an Feldern vorbei, durch Wohnsiedlungen, nur bloß nicht in Mareks Revier.

 Als ich dann am Waisenhaus ankam, wurde ich direkt von Frau Bau in den Speisesaal geführt. So wie ihr wahrscheinlich alle wisst, steht ein neues Schuljahr vor euch..." Eine Rede über Organisation, Fleiß und Glückwünschen folgte, dann wurde gegessen. Die tödlichen Blicke aus der hintersten Ecke ignorierte ich. Aus der Ecke, in der er nun immer sitzen musste.

Den Nachtisch ließ ich jedoch ausfallen, da ich mich heimlich vom Tisch erhob, um das Risiko auf eine Begegnung mit Marek zu senken. Zwar spürte ich den Blick von Frau Bau auf meinem Rücken, doch sie sagte nichts. So wie immer,... Sie ließ mich einfach mein Ding machen, da sie ahnte, wie es in mir aussah. 

Ich fühlte mich schon seit drei Tagen, die drei Tage seit denen ich aus dem Krankenhaus entlassen war, wie bei einem Katz und Maus spiel. Ich war die Maus, Marek der Kater, seine Aufpasser waren die Haustierbesitzer. Und Patrick war in den letzten Tagen der Hund. Der Hund, der verhinderte, dass der Kater etwas anstellen konnte. Nun war der Hund nicht mehr da und die Maus stand ganz alleine da, weshalb sie sich jetzt mit schnellen Schritten auf ihr Zimmer begab.

Mit einem Knall schloss ich die Tür hinter mir und drehte den Schlüssel im Schloss. Ich atmete aus. Die Anspannung, die mich immer überfiel, wenn ich Marek sah, verschwand. Mein Zimmer war wohlig warm und ich fühlte mich sicher. Wären diese kargen, weißen Wände nicht gewesen, hätte ich mich wie zu Hause gefühlt, doch diese kalte Farbe erinnerte mich daran, dass ich hier nur war, weil meine Eltern nicht mehr lebten. Patrick und ich wollten sie doch gemeinsam streichen. In den Ferien. Die jetzt vorbei waren.

Langsam lief ich auf meinen Schreibtisch zu. Morgen war wieder Schule und dank meiner Schusseligkeit hatte ich keinen Collegeblock. Dann war ich wohl gezwungen mir Blätter von anderen zu borgen. Bei so etwas wäre es praktisch gewesen Freunde zu haben. Ich stopfte mein Etui in meinen Rucksack und schaute mich noch einmal um. Die Bücher, die ich für das neue Schuljahr brauchen würde, bekäme ich alle morgen. Also war ich fertig mit dem Packen meiner Tasche. 

Ohne Zähne geputzt zu haben, zog ich mir meinen Pyjama an und stieg in mein Bett. Ich wollte nicht in die Schule. Ich wollte nicht früh aufstehen und auch nicht die ganzen Schüler und Lehrer um mich rum haben. Eigentlich wollte ich nur alleine sein... oder zu zweit mit Patrick.

Ich drehte mich auf die Seite. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich die kleine, rote Packung sah. Sie lag vor fünf Tagen neben meinem Krankenbett. Die Pralinen in ihr waren köstlich und auch der kleine Zettel mit dem geschwungenen Wort 'Sorry', der an dem Morgen auf ihr lag, hatte mich zum lächeln gebracht. Vielleicht würde es morgen ja gar nicht so schlimm werden.

Neues Leben:( ~StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt