Epilog

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Ich lag auf meinem Bett. Mein Handy drohte mir ins Gesicht zu fallen.

'Schau aus dem Fenster ;)'

Schwungvoll sprang ich aus meinem Bett und lief zum Fenster, wie ein kleiner Junge zum Weihnachtsbaum. Tim lehnte an seinem Auto. Die Arme vor seinem Körper eingeschränkt. Er hatte sich äußerlich nicht verändert... Doch eigentlich schon. Sein Lächeln war echt, seine Muskeln nicht angespannt. Ich wusste, dass war er zu einhundert Prozent. Nicht verstellt, nicht unter Druck. Ich lächelte. Tim schirmte seine Augen mit einem Blatt Papier vor der Sonne ab. "Komm runter. Ich hab' etwas für dich." Ich machte einen Freudensprung. "Bin sofort da." Tim war einfach der Beste. Was er wohl für mich hatte? Ich schnappte mir mein Handy und flog förmlich die Treppen hinunter.

"Haha, das ging schnell." meinte Tim schmunzelnd, als er sich von meiner Umarmung löste. Neugierig knetete ich meine Hände. "Was hast du denn für mich?" Ich schaute auf meine Füße. Ich wollte nicht zu aufgeregt wirken. Das letzte Mal hatte er mir Farbe für mein Zimmer geschenkt. Wir hatten es zusammen gestrichen. Es war das erste Mal, dass ich mir über meine Gefühle klar wurde. "Lass uns erste einmal woanders hingehen. Komm steig ein." Er nickte in Richtung seines Autos.

So hibbelig wie ich heute war, konnte ich im Auto nicht gerade sitzen. Immer wieder zwang ich mich nach draußen zu gucken, den Feldweg, den ich von meinem Fenster aus sah, zu beobachten und nicht meinen Blick auf Tims perfekten Gesicht ruhen zu lassen. Auch die amüsierten Blicke, die er mir zuwarf, versuchte ich auszublenden. In meinem Bauch flatterte es heftig. Ich hatte dieses Glücksgefühl im Bauch.

Der Feldweg endete an einem Wald. "Ok, aussteigen!" sagte Tim mit einem verschwörerischen Lächeln und stieg selbst aus. Ich lehnte mich zurück. Wie hatte sich alles so schnell ändern können. Vor zwei Monaten hätte ich mir wahrscheinlich in die Hose gemacht, hätte mir jemand befohlen mit Tim alleine in den Wald zu gehen. Vor zwei Monaten hätte ich erwartet in einem Leichensack aufzuwachen. Doch jetzt fühlte ich nur dieses angenehme Kribbeln in meiner Bauchgrube. Plötzlich wurde meine Seitentür aufgerissen. "Möchte der Herr denn gar nicht aussteigen?" Tim schaute belustigt auf mich herab. "Dabei habe ich mir größte Mühe beim Essen gegeben." Er deutete auf den großen Strohkorb in seiner linken Hand. Meine Augen wurden groß. "Du hast uns Essen gemacht?!" Wie süß war das denn? Eifrig sprang ich aus dem Wagen und musste gleich mit Tim diskutieren, wer die Picknickdecke tragen durfte. Glücklicherweise gewann ich dieses Mal und konnte ihm wenigstens eine kleine Last abnehmen.

"Folge mir. Ich habe uns schon einen Platz ausgesucht." Tim lief vor. Zielstrebig ging er mitten in den Wald. Er missachtete vollkommen die kleinen Waldpfade, doch das war mir egal. Ich vertraute ihm. Ich dackelte ihm hinterher. Ab und zu kam ein 'Achtung, Brennnesseln.' oder 'Achtung, Dornen.', ansonsten schwieg Tim. Meine Frage, was für ein Brief er denn in der Hand halten würde, ignorierte er gekonnt. Er hatte mich nur angegrinst.

Zehn Minuten später stoppte Tim abrupt. "Ok, Stegi gib mir die Decke. Du wartest hier. Ich bin sofort wieder da." Ich nickte und überreichte ihm die blaue Decke. Tim lief mit großen Schritte geradeaus, die Böschung hoch, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. Die Zeit des Wartens fühlten sich wie Ewigkeiten an. Als ich dann plötzlich Tims braunen Haarschopf ausmachen konnte, war ich erleichtert. Es fing gerade an zu Dämmern und ohne Tim war dieser Wald weniger märchenhaft. Er erinnerte mich eher an einen schlechten Werwolf-Film. Aber da ich Tim wieder sehen konnte, war alles gut. Das leichte Angstgefühl war einfach verpufft. Ich lief auf ihn zu, die Böschung hoch und was dahinter war raubte mir den Atem. Ein kleiner, stiller See lag auf der anderen Seite. Der Wald hinter ihm spiegelte sich und die Wiese strahlte in einem saftigen Grün. Es war alles so harmonisch. Nur die blaue Picknickdecke hon sich von dem Rest etwas ab. Es war perfekt...

Ich lehnte an Tims Schulter. Ich war angenehm gesättigt. "Stegi?" Tim sprach sanft, als wolle er die friedliche Stimmung nicht zerstören. "Interessiert dich der Brief gar nicht mehr?" Abrupt richtete ich mich auf. Den hatte ich ja total vergessen. "Doch, der interessiert mich sehr. Von wem ist der?" Tim sah mir tief in die Augen. "Lies selbst." Er nahm den Brief aus dem Picknickkorb und überreichte mir nur den Inhalt. Ich brannte innerlich danach ihn zu lesen.

Sehr geehrter Herr Bau,

ich bin ihre Aussagen und Argumente erneut durchgegangen. Dass Herr S. ohne eine geeignete Strafe davonkomme, wäre frevelhaft. Der erste Prozess wird am 16.09 abgehalten. Eine Verurteilung ist in meinen Augen unumgänglich. Ich hoffe ich konnte ihnen weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen

Gustav Eirich

Verwirrt sah ich hoch. Was hatte das zu bedeuten? "Das ist eine E-Mail von meinem Anwalt." Ich legte meinen Kopf schief. Was für ein Anwalt? Tim schmunzelte. "Ich habe ihn engagiert als ich von Mareks Strafe erfahren hatte. Er wird ihn verurteilen. Er wird ins Gefängnis kommen." Ungläubig schaute ich ihn an. Marek wird ins Gefängnis kommen? "Ich hielt es für das Richtige." Sein Blick wirkte etwas verunsichert, genauso wie meine Gefühle, die diese Nachricht erst einmal verdauen mussten. Marek würde ins Gefängnis kommen. Ganz langsam bildete sich ein atemberaubendes Glücksgefühl in mir. Er würde ins Gefängnis kommen! Ich konnte nicht mehr. In mir explodierte alles. Die Schmetterlinge versuchten aus mir rauszufliegen. Ich lachte. Und auch Tim stieg mit ein. Ich hatte gerade das erste Mal seit langem ein Hochgefühl. Ich beugte mich zu Tim und gab ihn einem Kuss auf den Mund. Meine Gefühle überströmten mich.

Als ich merkte, dass Tim wie versteinert dahockte, entfernte ich mich von ihm. Ich war so blöd! Wieso musste ich unsere Freundschaft durch meine dämlichen Gefühle zerstören? Tim, der Hotti aus unserer Schule, konnte unmöglich Schwul sein. "Tim, es tut mir so leid. Ich..." Tim schüttelte sich und sah mich dann mit seinen goldigen Augen an. "Stegi,... werd nicht rot. Schäm dich nicht." Er strich mir über die Wange. Seine Bewegung ist zärtlich. "I...ich weiß, es war falsch." Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. "Stegi,..." Er sagte meinen Namen mit einer Dringlichkeit und zwang mich so ihm in die Augen zu sehen. "Es war nicht falsch. Nein, es hat sich sogar extrem richtig angefühlt." Er nahm mein Gesicht in die Hand und presste seine Lippen auf meine. Nun war es geschehen... Meine Glückhormone explodierten.

Als wir uns schweratmend von einander lösten, musste ich breit lächeln. "Ich liebe dich, Tim." Tim nahm meine Hand in seine. "Und ich liebe dich, Dino."

Neues Leben:( ~StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt