Im Wald

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"Hallo Mama!", rief ich ins Haus. Meine Mutter kam mit dem Telefon am Ohr aus der Küche und winkte mir zu.
"Ist deine Schwester.", sagte sie leise, wobei sie kurz die Hand vors Telefon legte.
Gina war schon 22 Jahre alt und lebte in Stuttgart mit ihrem 24 jährigen Mann Dilan und mit ihrer Tochter Sophy, die bald ein Jahr alt wurde.
Sie hatte uns oft besucht in ihrer Schwangerschaft, aber seit die Kleine da war, fuhren wir meistens zu ihr, weil Gina noch lange nach der Geburt sehr angeschlagen gewesen war.
"Ja er ist gerade von der Schule gekommen.", sagte Mama wieder in den Hörer, hörte kurz Gina zu und streckte mir dann das Telefon hin. Ich nahm ihn entgegen.
"Hey Gigi!", sagte ich fröhlich in den Hörer
"Na. Die neue Schule scheint ja gut zu sein!", sagte sie.
"Ja. Es ist ganz schön in Schramberg und mein Stundenplan ist auch okay. Außerdem gibt es ein paar coole Leute in meinem Kurs, mit denen ich mich gut verstehe...", erzählte ich ihr.
"Wow. Dann hast du ja echt schnell Anschluss gefunden!", freute sie sich
"Ja. Ich war auch überrascht."
"Dilan, Sophy und ich kommen euch wahrscheinlich am Wochenende besuchen. Dilan hat ja jetzt Elternzeit und wir können es kaum erwarten das neue Haus zu sehen!"
"Schön. Ich freue mich! Dann sehen wir uns ja jetzt bald!", sagte ich
"Genau! Bis dann!"
Gina legte auf und ich legte das Telefon auf den Esstisch.
"Dein erster Schultag war also gut?", fragte mich meine Mutter und kam mit einem Teller voller Obst aus der Küche.
"Ja. Die Lehrer scheinen ganz okay zu sein und ich habe ein paar nette Leute kennengelernt!" "Das freut mich wirklich für dich!", sagte meine Mom und setzte sich an den Tisch. "Und wie war dein Vorstellungsgespräch?", gab ich zurück
"Wirklich vielversprechend, aber sie melden sich erst in der nächsten Woche", erzählte sie.

Ich duschte mich noch und beschloss dann wieder in den Wald zu gehen um etwas zu malen und den Kopf frei zu bekommen von den vielen Gedanken um das neue Schuljahr und darüber, wie schnell doch alles vergangen war, das ich erlebt hatte.
"Ich bin zum Abendessen wieder da!", rief ich meiner Mom zu, die sich auf die Liege im Garten gelegt hatte um die letzten Strahlen der heutigen Herbstsonne zu genießen. "Viel Spaß!", rief sie mir noch nach, dann schloss ich schon die Türe hinter mir und lief in Richtung Wald.

"Jamie!", sagte ich überrascht, als ich das Mädchen mit den rotbraunen Haaren erkannte, das auf derselben Bank saß, als an dem Tag, als wir uns das erste Mal begegneten.
Kaum zu glauben, dass das erst gestern gewesen war.
"Oh. Hey Jake! Ich habe schon auf dich gewartet."
"Ach echt? Wieso?", fragte ich sie erstaunt zurück und setzte mich neben sie.
"Na, weil du mir unbedingt zeigen musst, wie man so schön malen kann!", sagte sie
"Und woher wusstest du, dass ich komme?", fragte ich weiter
"Naja, haben wir doch gesagt, oder?", sagte sie wieder und ich lächelte.
"Stimmt. Habe ich schon fast wieder vergessen!", sagte ich.
Ich kramte in dem Rucksack, den ich mitgenommen hatte, zog meinen Block und meine Stifte heraus und legte sie auf Jamies Schoß.

"Was willst du malen?", fragte ich sie. Jamie nahm den Bleistift in die Hand und sah sich um. "Wie wäre es denn mit den Blumen dort hinten?", meinte sie und zeigte auf ein paar farbige Blumen am Wegrand.
"Na schön. Man fängt immer mit den Konturen an und arbeitet sich dann nach innen vor.", erklärte ich, während ich zum Wegrand lief, eine der Blumen pflügte und sie Jamie in den Schoß legte.
Jamie sah sich die Blume genau an und malte die ersten Striche, dann sah sie mich verzweifelt an. "Ich kann das nicht! Hilf mir!", sagte sie und sah mich bettelnd an.
"Na schön." Ich stand auf und stellte mich hinter Jamie, dann sah über ihre Schulter und führte den Stift mit meiner Hand über das Papier.
Jamie sah auf ihre Hand, die von meiner Hand geführt die Blume auf das Blatt Papier zauberte. "Das ist fantastisch Wie machst du das nur?", sagte sie voller Bewunderung, was mich in Verlegenheit brachte. "Ich weiß nicht genau. Man braucht einfach ein wenig Fantasie, um das was man sieht auch in jedem Detail auf Papier bringen.
"Es ist trotzdem immer faszinierend dabei zuzusehen, wie jemand etwas scheinbar unmögliches vollbringt, allein durch seine Fantasie."
"Das ist doch eigentlich das Selbe, wie wenn du mit deinem Cello Musik machst. Faszinierend ist so etwas aber auch nur, weil man selber davon überzeugt ist, dass man diese Fantasie nicht selber besitzt, wobei sie in jedem steckt.", sagte ich zu Jamie und ließ ihre Hand wieder los, damit sie alleine malen konnte.
"Malen ist wie Leben. Man muss immer ganz kleine, präzise Striche machen, damit sein Lebensbild nicht sofort voll ist. Außerdem... Ach. Ich rede mal wieder nur Schrott...
"Das ist schon okay. Ich rede auch immer dummes Zeug vor mich hin, das macht das Leben doch nur interessanter, weil man so viel mehr von der Welt sehen kann!", sagte Jamie und hielt mit ihrer Hand inne um auf die Blume zu sehen, die sie gemalt hatte.
"Siehst du... Man braucht nur Fantasie!", sagte ich und Jamie lächelte.

HerbstgefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt