Klavier spielen

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Als wie in Hardt angekommen waren kicherten Jamie und ich immernoch, bis wir schließlich mit einem erschöpftem Atemstoß wieder die Kontrolle darüber bekamen.
"Und jetzt?", fragte ich.
"Na jetzt zeigst du mir, wie man Klavier spielt!", sagte Jamie.
"Das Klavier steht aber bei mir zu Hause."
"Und?", fragte sie
"Meine Mutter ist da."
"Na und?", fragte sie wieder.
Sie war verrückt, wenn sie dachte, dass ich sie einfach so ohne weiteres mit zu mir nach Hause nehmen würde.
Meine Mutter würde Fragen stellen und das würde auch mein Vater nicht unterlassen, wenn er später nach Hause kommen würde.
"Meine Mutter wird keine Ruhe geben!", sagte ich panisch
"Na und?", sagte sie erneut.
"Ihre Fragen werden mich schon nicht umbringen und dich genauso wenig!"
"Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist!", sagte ich und blieb vor Jamies Haus stehen.
"Egal! Ich weiß es!", sagte sie und zog mich mit sich, bis wir vor meiner Haustür standen.
Meine Hände schwitzten und mein Herz klopfte wie wild, dich irgendwie schaffte ich es, trotzdem die Türe aufzuschließen.
"Mittagsschule ist ausgefallen Mom!", rief ich
"Und ich habe jemanden mitge..."
"Was ist mit der Mittagsschu... Hallo! Freut mich."
Meine Mutter kam aus der Küche gelaufen und grinste sofort von einem bis zum anderen Ohr, als sie das fremde Mädchen neben mir sah.
"Mama, das ist..."
"Ich bin Jamie. Sehr erfreut.", sagte Jamie freundlich und steckte meiner Mutter die Hand entgegen.
Meine Mutter schüttelte heftig vor Freude und lächelte noch breiter, falls das überhaupt noch möglich war.
"Ich bin Jakes Mutter, Regine", sagte sie und sah mich an, wobei sie die Augenbrauen hoch zog.
"Jamie möchte Klavier lernen und ich wollte es ihr beibringen. Sie konnte nicht etwa bis morgen warten."
Den letzten Satz sprach ich eher leise und mehr zu mir selbst, meine Mutter überhörte ihn komplett.
"Soso... Klavier spielen..."
Oh nein... Sie hatte diesen Unterton... Das war nicht gut!
"Dann viel Spaß euch Beiden beim Klavierspielen."
Ich verdrehte die Augen, Jamie schien sich gut zu amüsieren und folgte mir lächelnd nach oben.
Oben fing sie an zu kichern.
"Ich sagte doch, dass ist eine doofe Idee.", sagte ich genervt.
"Quatsch. Sie ist doch nett."
"Jaja. Das ist alles ein Teil von ihrem Plan..."
Jamie lachte. Ich lief in mein Zimmer.
"Du kannst deine Sachen hier hin legen, wenn du willst.", sagte ich und zeigte auf mein Bett.
Als Jamie ihre Sachen drauf gelegt hatte folgte sie mir zum Musikraum, in dem das Klavier ein Schlagzeug, eine Gitarre und Mamas Geige standen.
"Wow.", sagte sie und strich über das Klavier.
"Ja. Nicht schlecht.", sagte ich und Jamie setzte sich.
"Spielst du mir was vor!", forderte ich sie mich auf und ich verdrehte erneut die Augen
"Ich muss vollkommen verrückt geworden sein, dass ich mich darauf einlasse!", sagte ich und setzte mich auf den anderen Stuhl.
Jamie machte mir Platz und ich strich mit meinen Fingern über die Tasten, bevor ich zu spielen begann.
Es war so etwas wie ein Ritual, genau wie das Streichen über Papier, bevor ich zeichnete und das fühlen des Grases, bevor ich mich hinein kniete.
Eine vertraute Geste.
Ein vertrauter Geruch.
Eine vertraute Melodie.
Jamie lauschte aufmerksam und sah fasziniert auf meine Hände, wie sie mal fester, mal sanfter die Tasten drückten, wie sie sich mal schnell und mal langsam an den Tönen entlang hangelten, die nicht auf Papier, sondern in meinem Kopf festgehalten waren.

"Genau dieses Lied möchte ich lernen.", sagte sie.
River flows in you.
Ein Lied, dass mich von Anfang an gepackt hatte und mich nicht losließ.
Es war eine fließende Melodie, wie der Stift, der über meine weißen Blätter floss und sie mit Leben erfüllte. Mit Farben und mit Liebe.
"Vielleicht sollte ich mit den Akkorden und ihren Abwandlungen anfangen.", sagte ich und Jamie rückte näher zu mir.
"Ein Akkord besteht aus drei oder vier Tönen, wobei der vierte Ton dem Anfangston entspricht. Bei der ersten Umkehrung setzt man einfach den obersten der drei Töne um eine Oktave nach unten, bei der zweiten Umkehrung die oberen zwei."
Ich zeigte ihr alles auf der Tastatur des Klaviers und Jamie nickte.
"Für dieses Stück brauchen wir vier Akkorde. Fis-Dur, d-Moll,
A -Dur und e-Moll."
Ich zeigte ihr alle vier Akkorde und sie spielte sie fehlerfrei nach.
"In Ordnung. Dann zeige ich dir erst die linke und dann die rechte Hand."
Ich stand auf und zeigte ihr den ersten Teil der linken Hand, dann den zweiten, den dritten und den vierten.
"Jake ich..."
Die Tür öffnete sich und meine Mom kam herein. Sie sah uns an. "Oh. Ich hätte klopfen sollen", sagte sie und wurde kurz rot, als sie sah, dass meine Hand auf Jamies lag, da ich ihr gerade den Ton zeigen wollte.
'Wie immer das perfekte Timing.', dachte ich mir nur. 'Wer weiß, was sie jetzt wieder denkt'.
Mom sah uns kurz ratlos an, dann stammelte sie irgendeine Entschuldigung und ging raus.
Jamie kicherte wieder.
"Das ist nicht im geringsten komisch!", sagte ich, aber ich musste auch lachen. Es war einfach ansteckend, wenn Jamie lachte.
"Lass uns weiter machen."

Jamie stellte sich wirklich sehr gut an.
Nur etwa eine halbe Stunde und sie spielte die linke Hand flüssig und nach einer weiteren halben Stunde konnte sie auch die rechte Hand.
Sie war eben sehr musikalisch.
"Okay. Sollen wir eine Pause machen! Erstens habe ich echt Durst und zweitens solltest du deinen Eltern Bescheid sagen.", sagte ich zu Jamie.
"Okay. Ich schreib ihnen kurz und wir machen eine kurze Pause, aber wir machen gleich weiter!", sagte sie bestimmt.
Ich holte etwas zu Trinken aus der Küche, während Jamie ihrer Mutter schrieb.
Zum Glück war Mama gerade einkaufen, sodass sie keine unangenehmen Fragen stellen konnte, aber sie würde nicht mehr lange weg sein, also musste ich mich beeilen.
"Wasser für die Dame?", sagte ich, als ich in mein Zimmer zurück kam.
"Gerne."
Jamie trank ihr Glas mit einem Mal leer, ich ließ mir Zeit und legte mich anschließend auf mein Bett, um meine müden Muskeln auszuruhen.

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