Nachdenken

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Vor unserem neuen Haus blieb ich stehen und kramte den Schlüssel aus meiner Hosentasche, um die Türe wieder aufzuschließen.
Es war kaum zu glauben, dass wir erst seit drei Tagen hier wohnten, denn ich fühlte mich jetzt schon wie zuhause.
Ich vermisste zwar Sebi, meine alte Schule und alles andere, was ich zurücklassen musste, aber trotzdem fühlte es sich durch Jamie so an, als ob ich schon ewig hier war.
Sie war so, wie Sebi. Ein Stück Heimat, ein Stück Geborgenheit.

Ich schloss zögernd die Türe auf.
"Ich gehe dann mal schlafen!", rief ich in das Wohnzimmer, in dem meine Eltern sich auf die Couch gesetzt hatten um einen Film zu schauen.
"Schaust du nicht mit?", fragte mein Vater.
"Nein. Ich bin echt müde!", sagte ich
"Na schön. Wann kommst du morgen wieder?", fragte meine Mutter
"Weiß noch nicht. Vielleicht mache ich auch noch was mit Luke. Ich melde mich dann nochmal. Frühestens aber um halb 4!", sagte ich
"Na gut. Dann bis morgen!", sagte meine Mom
"Gute Nacht, Jake!", sagte ich, sah zu, wie meine Mutter ihren Kopf an meinen Vater lehnte und lief die Treppe nach oben.
Ich schloss die Türe hinter mir.
Ich dachte an die Schule in Homberg, wie sich alles jetzt in Schramberg verändert hatte.
So kurze Zeit und schon eine so große Veränderung.
Nicht nur die Schule, die Lehrer, der Unterricht und meine Mitschüler, sondern auch ich hatte mich verändert.
Ich war offener geworden. Redete mehr und hatte mehr Freunde, als in der alten Schule.
Ich mochte viele Menschen. Ich fühlte mich wohl.

Ich freute mich schon auf morgen. GK, Bio, Physik und BK.
Zwar nicht unbedingt meine Lieblingsfächer, außer natürlich BK, aber ich freute mich auf die Schüler, die Atmosphäre...

Ich ging zu meinem Bett und zog die Bettdecke gerade, die von Jamies und meinem Spiel noch vollkommen verwüstet war und ging dann zu meinem Schreibtisch.
Ich klappte meinen Laptop hoch und öffnete Skype.
Ich musste jetzt mit Sebi sprechen, auch wenn es schon spät war, er war sicher noch wach!
"Hey Jake. Na, hast du noch Redebedarf?", fragte er und lächelte
"Ich weiß auch nicht. Ich bin ein bisschen verwirrt!", sagte ich
"Oh. Hat Jamie dich so verunsichert? Ich wusste..."
"Quatsch. Nicht Jamie! Das alles hier!", sagte ich und deutete um mich.
"Wie soll ich das denn jetzt verstehen?", fragte er "Ich verstehe es nicht!"
"Ich verstehe es ja auch nicht. Es fühlt sich an, als ob gerade alles zu schnell geht!", meinte ich
"Okay. Jetzt hört es sich erst recht so an, als ob es um Jamie geht!"
"Ich weiß es nicht. Vielleicht auch. Aber ich meine alles. Ich fühle mich so wohl. Das kommt mir irgendwie falsch vor!"
"Was ist daran falsch?", fragte er "Ist doch gut, wenn du dich heimisch fühlst!", sagte er
"Ja schon, aber... Ich weiß auch nicht!", meinte ich
"Ich sag dir mal was, mein Freund. Wenn du dich wohlfühlst, heißt das, dass du endlich angekommen bist. Überleg doch mal. Du hast Spaß, du hast Freunde. Und du hast MICH!"
Ich lachte: "Vielleicht hast du Recht."
"Natürlich hab ich das!", sagte er
"Es kommt mir nur so unwirklich vor. Und es geht alles viel zu plötzlich. Ich bin erst seit drei Tagen hier und fühle mich so, als ob ich schon Jahre hier wohne..."
"Jake. Entspann dich. Genieß es und hör auf so viel zu denken!", ermahnte er mich
"Wenn das nur so einfach wäre!", meinte ich
"Das wirst du schon schaffen!", gab Sebi zurück
"Naja. Genug von mir. Du wolltest mir doch sicherlich noch etwas erzählen. Hat sich vorher jedenfalls mal so angehört!", sagte ich
"Jaaaaa... Also Jessica hat heute ihre Freistunde mit mir verbracht!", meinte er überglücklich
"Wow. Das ging ja auch recht schnell!", meinte ich
"Ja, oder? Aber ich habe nichts dagegen! Es ist in Ordnung!", sagte er
"Jaja. Also, wenn du dich freust, freue ich mich natürlich auch!"
"Danke, Mann!", sagte er und sah kurz auf seine Armbanduhr
"Hast du noch etwas vor?", fragte ich
"Jessica wollte mir noch schreiben. Wir haben von Gedichten gesprochen. Sie wollte meine Meinung zu einem haben.", erzählte er
"Sie steht auf Gedichte? Das hätte ich jetzt nicht gedacht, aber umso besser, richtig!?"
"Richtig!", sagte er und lächelte
"Nun. Dann störe ich dich mal nicht weiter. Wir hören uns dann morgen?", fragte ich
"Klar. Bis morgen!", sagte er und trennte die Verbindung.
Ich klappte meinen Laptop und drehte mich auf meinem Stuhl herum.
Gedichte.
Ich hatte schon lang keines mehr geschrieben! Vielleicht wäre es gut, um meine Gedanken endlich loszuwerden.
Ich holte meinen Schreibblock aus der Schublade und legte ihn auf meinen Schreibtisch, nachdem ich den Laptop in die Schublade gesteckt und diese geschlossen hatte.
Ich nahm einen der Kugelschreiber aus der Stifthalterung auf meinem Schreibtisch und öffnete ihn mit einem Druck auf den Tisch.
Ein Gedicht, mit so vielen Metaphern, dass selbst der Autor bald ihre Bedeutung nicht mehr erklären konnte. Genau so ein Gedicht wollte ich nun schreiben. So wie früher mit Sebi! GENAU!

LUFT ZUM ATMEN

Eine grüne Wiese war dieser Ort,
mit vielen Bienen und tiefen Bächen,
dann stand der Torbogen dort,
an dessen Dornen könnt ich mich stechen.

Doch stechen tat ich mich nicht,
kam an in einer anderen Welt,
dort bot mir eine Knospe Licht,
die mich führte über das weite Feld.

Die Knospe wuchs heran,
wurde zur blühenden Frucht,
bot mir Wärme dann,
wurde fast zu einer Sucht.

Man hielt sie oft für eine Rose,
die sie aber garnicht war,
Sie führte mich zum weichen Mose,
die ich vorher gar nicht sah.

Mit ihr fand ich weißen Schnee,
doch kalt wurde es nicht,
sie war wie meine liebe Fee
und Wärme umhüllte uns dicht.

Neue Hoffnung gab sie mir,
frische Luft zum Atmen,
sagte "komm", ich folgte ihr,
gab mir lebensnotwendige Daten.

Und die Knospe, wachsen wird sie,
wird im Schnee sein, wärmer als nie.
Die Frucht, die aus ihr wird, hat gerettet mich,
gibt mir Luft zum Atmen und leuchtet für mich ein Licht.

Liebe ist zu groß für diese Tat,
Freundschaft gar zu klein,
gibt mir täglich ihren Rat,
ist auf ewig mein.

Und die Blume von der Wiese,
bleibt bei mir für alle Tage,
hilft mir, wie die Knospe, diese,
und erzählt mir von der Sage.

Von der Rose, gar die Sage,
die jeder darin sah,
die man sah, für alle Tage,
auch wenn das niemals mehr geschah.

Ich sah zufrieden auf das fertige Gedicht. Anscheinend hatte ich es nicht verlernt.
Ich konnte es noch.
Botschaften verschlüsseln, Geschichten erschaffen!
Was gab es schon schöneres, als Gedichte. Kunst, ja, aber Gedichte waren ja auch nichts anderes als Kunst. Genau wie Musik.





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