Kurzgeschichte: "Wolfskinds Geheimnis"

13 2 0
                                    

In einem kleinen Indianerstamm lebte einmal Junge namens Wolfskind. Doch er hieß eigentlich nicht wirklich so, sondern wurde nur von den Leuten des Stammes so genannt. Sein wahrer Name lag im Dunklen, ebenso wie seine eigentliche Herkunft. Vor ungefähr 9 Wintern hatte Mutiger Panther ihn als kleines Baby tief im dunklen Wald, der den Berg des Himmels umschloss, gefunden. Der mutige, starke Krieger wollte eigentlich einen Hirsch oder einen Wolf als Nahrungsmittel für seinen Stamm erlegen, da es schon lange nicht mehr viele Büffel gab, weil diese von den immer weiter vor rückenden weißen Soldaten getötet oder vertrieben worden waren. Stattdessen fand er unter einem Baum ein Fellbündel, in dem ein winziges Baby lag, das der Mann mitnahm. Trotzdem feierte er nach seiner Rückkehr mit den anderen Stammesmitgliedern ein großes Fest, denn er und seine Frau Sanftes Reh, eine liebevolle und verständnisvolle Frau, hatten sich schon lange ein Kind gewünscht, doch der Große Geist, der allmächtige Gott aller Indianer, hatte sie bis dahin noch nicht damit gesegnet. Der Junge wurde Wolfskind genannt, da Mutiger Panther ihn nur dank einer außergewöhnlichen, klugen Wölfin, schwarz, schnell und lautlos wie ein Schatten und mit grünen Augen, die in der Dunkelheit leuchteten, gefunden hatte. Sie hatte ihn zu dem kleinen Baby geführt und dieses auch die ganze Zeit mit ihrem Blut versorgt, da es ohne Mutter gewesen war und auch sonst kein anderer Mensch es gefunden hatte.

Wolfskind wusste nicht, wer seine wahre Familie war. Mutiger Panther, der Mann, den er Vater nannte, hatte damals nur das Fellbündel entdeckt, in dem das Baby eingewickelt gewesen war, sonst niemanden auf seiner ganzen langen Reise. Sanftes Reh, die Frau, die er Mutter nannte, hatte alles getan, um die Herkunft des Jungen zu erfahren, doch vergeblich. Bestimmt war sein Stamm damals von den weißen Soldaten ausgelöscht worden, denn diese töteten nicht nur viel mehr Tiere als eigentlich nötig, was die Indianer nicht begreifen konnten, sondern auch Frauen und kleine Kinder, während die männlichen Indianer gefangen genommen und mitgenommen wurden. Man hatte schon einige Male gegen die weißen Soldaten gekämpft, doch jedes Mal wurden unzählige Indianer von ihnen getötet und man musste sich ergeben. Sie waren viel zu mächtig, mit ihren so anderen, stärkeren Waffen. Wolfskind hatte die Geschichte über seine Ankunft im Lager von Adlerklaue vor einigen Wintern von Mutiger Panther gehört und seitdem musste er ständig darüber nachdenken. Er wartete auch auf ein Zeichen des Wolfes, doch das war die ganze Zeit ausgeblieben. Der Junge hatte weder ein Traum als Botschaft oder Vorhersage von ihm geschickt bekommen, noch hatte er ihn selber gesehen, obwohl er ihn überall gesucht hatte. Allmählich war er mutlos geworden. Wollte sein wichtigster Helfer, das Tier, dem er sein Leben zu verdanken hatte, etwa nichts mehr von ihm wissen? Aber warum nur? Was war geschehen?

In diesem Winter zogen die Indianer wieder zum Berg des Himmels, da dort die weißen Soldaten seit 10 Wintern bisher nie wieder vorgedrungen waren und es deshalb dort inzwischen bestimmt auch wieder genug Wild geben würde. Wolfskind war sehr aufgeregt, da er dort dem geheimnisvollen Wolf am nächsten sein würde! Mutiger Panther hatte ihm erzählt, dass er im Wald um den Berg lebe und der Junge wollte unbedingt dorthin, um ihn zu suchen, doch wie überrascht war er, als er statt des dunklen Waldes einen riesigen Wirbelsturm vorfand. Er war nicht der einzige, der zu Tode erschrocken war: Die anderen Stammesmitglieder diskutierten lange miteinander, was es damit auf sich hat: "Was hat das nur zu bedeuten?" "Ist der Große Geist zornig auf uns?" "Aber warum? Was haben wir getan?" So groß die Angst vor diesem unheimlichen Naturereignis auch war, der Stamm blieb trotzdem an diesem Ort, da sich in der weiten Steppe sogar wieder Büffel angesiedelt hatten und er somit nach langer Zeit endlich mal wieder keinen Hunger leiden musste. Doch der Alltag der Indianer bestand die meiste Zeit aus flehenden Bittgebeten und Ritualen, die den Großen Geist gnädig stimmen sollten.

In dieser Nacht hatte Wolfskind einen merkwürdigen Traum: Er war in einem Lager, hoch oben auf dem Berg des Himmels, das gerade von den weißen Soldaten heimgesucht wurde. Diese setzten alle Zelte in Brand, töteten die Frauen und Kinder und auch einige Männer, die anderen nahmen sie gefangen. Einer der Soldaten ging mit einem Messer auf den Jungen los, doch plötzlich sprang ihm ein Mann im Wolfsfell entgegen und riss ihn zu Boden. Der Mann sah Wolfskind in die Augen und sein Blick sagte ihm: "Lauf! Rette dich und somit uns alle!", bevor er vom Soldaten erstochen wurde. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Heulen und Wolfskind entdeckte in der Ferne einen großen, schwarzen Wolf, dessen Augen leuchteten. Dieser sprang knurrend auf den Soldaten zu und fraß ihn grausam auf, bevor er den Jungen mit seinen riesigen, scharfen Zähnen packte und auf seinen Rücken warf, ohne dass Wolfskind Schmerzen spürte. Dann rannte er weg vom Lager, ein lauter Knall ertönte, noch einer und wieder einer, doch das gewaltige Tier lief unbeirrt weiter und brachte sich und den Jungen schließlich in einer Waldlichtung in Sicherheit. Dort angekommen ließ es Wolfskind absteigen und leckte ihm liebevoll über das Gesicht, bevor es keuchend zusammenbrach. Entsetzt erkannte der Junge, dass der Wolf die ganze Zeit riesige Wunden an seinem Bauch hatte! "Nein! Bitte Leuchtauge, du darfst nicht sterben! Kann ich dir nicht irgendwie helfen?? Bitte verlass mich nicht, ich brauche dich doch!" flehte Wolfskind verzweifelt. Die Wölfin Leuchtauge öffnete leicht ein Auge, sah ihn durchdringend an, und antwortete schwach: "Es tut mir leid mein Kleiner, du kannst nichts mehr für mich tun. Aber ich habe eine letzte Bitte an dich: Du musst wissen, ich bin die Rudelführerin eines einst riesigen, stolzen Wolfsvolkes, das über tausend Tiere umfasste. Doch das ist durch die weißen Soldaten im Laufe der Zeit immer weiter geschrumpft, sodass nun nur noch 10 Wölfe übrig geblieben sind. Ich flehe dich an, beschütze sie vor den weißen Soldaten und räche meine armen, toten Freunde, indem du die weißen Soldaten tötest, sodass die Wölfe ohne ihre schrecklichen Feinde wieder eine Chance haben, gut zu leben und somit zu wachsen!" Wolfskind versprach es ihr und ihr Kopf sank kraftlos auf seinen Schoß. Plötzlich zuckten kleine weiße Blitze um den toten Körper der Wölfin! Sie wurden immer mehr und hüllten ihn ein, bis schließlich weißes Licht erstrahlte, das so hell war, dass Wolfskind geblendet die Augen schließen musste.

Kunterbuntes AllerleiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt