16

68 9 1
                                    

"Taylor, aufstehen, du kommst zu spät zur Schule!", zischt meine Mum und wirft mir von der Tür aus, einen vernichtenden Blick zu.

Ich brumme genervt und mache mich fertig. Mir ist durchaus bewusst, dass dieser Schultag anders sein wird, wie die anderen. Ich werde die ganze Zeit Kikis verträumte Blicke sehen, die sie Jack zuwirft und nicht mir. Kikis Küsse, die sie Jack zu haucht und nicht mir. Kikis Berührungen die ihm gelten und wie so oft nicht mir. Wütend knülle ich mein Shirt zusammen und schleudere es durchs Zimmer. Verdammt, ich werde diesen Schultag nicht überleben!

Ich parke meinen Roller dort wo ich ihn immer abstelle und mache mir nicht die Mühe, auf die kreischenden Mädchen hinter mir zu warten. Mir ist durchaus bewusst, dass die ein oder anderen Mädchen mich attraktiv finden, doch es ist mir schlichtweg egal. Denn was nützt mir die Aufmerksamkeit von allen Mädchen der Schule, wenn IHRE Audmerksamkeit einem anderen gilt?

"Taylor, warte!"

Paige kommt schwer atmend neben mir zum Stehen. Sie sieht hübsch aus mit dem dunkelblauen Sommerkleid und dem leicht welligen Haar. Ich sehe sie warm an und lasse sie erstmal Luft holen.

"Ich fand das campen letztens echt schön, hast du Lust morgen zu meiner Poolparty zu kommen?"

Ihr Blick ist voller Hoffnung und ich meine, ihre stummen Gebete zu hören, die nach meiner Zusage lechzen. Ich stimme zu, weil ich nicht will, dass in diese strahlend grünen Augen Traurigkeit tritt. Sie hüpft aufgeregt auf und ab, drückt mir einen schnellen Kuss auf die Wange und tänzelt dann davon.

Im Unterricht habe ich glücklicherweise meine Ruhe vor Jack, da er in unserer Parallelklasse ist. Kiki und ich sind schon immer in einer Klasse gewesen, da ich nur ein halbes Jahr älter bin wie sie.

"Kiki?"

Sie richtet ihre himmelblauen Augen auf mich und sofort, ohne das ich es kontrollieren könnte, fängt mein Herz an kräftig gegen meine Brust zu hämmern.

"Kommst du auch zur Pool Party von Paige?"

Sie nickt und zwinkert mir zu. Diese so nebensächliche Geste, lässt mein Herz noch schneller schlagen, wenn das überhaupt noch möglich ist.

"Blaire hat mich eingeladen. Wir sehen uns dann dort."

Die Tatsache, dass sie Jack mit keinem Wort erwähnt, macht mich unheimlich glücklich. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ich begehre Kiki jeden Tag mehr, entferne mich jede Sekunde weiter davon, ihr mein Herz nicht endlich zu Füßen zu legen. Und das ist das dümmste was ich tun könnte. Was würde es bringen ihr meine Liebe zu gestehen, wenn sie mich niemals so lieben wird. Wenn sie mein Herz in den Händen halten würde und keine andere Wahl hätte, als es fallen zu lassen und die Scherben liegen zu lassen? Denn sie wird Jack mir immer vorziehen und das ist eine Tatsache.

Der nächste Kurz wartet. Theater. Mit der Parallelklasse. Meine Augen suchen den Raum nach Jack ab. Dort vor der Bühne lehnt er. Provokant lächelnd, umgeben von billig aussehenden Mädchen und mit Kiki im Arm. Die Tatsache, dass er seinen Blick über alle Mädchen gleiten lässt, lässt mich angeekelt das Gesicht verziehen. Doch er sieht die anderen Mädchen nicht nur an, er zwinkert Ihnen zu und schenkt allen das gleiche strahlende Zahnpastalächeln, das er Kiki so oft schenkt. Diese Tatsache lässt mich würgen. Wie falsch kann ein Mensch nur sein?

"Sucht euch bitte einen Partner. Junge und Mädchen zusammen!", ruft die Lehrerin und schon fangen alle Mädchen an zu gackern. Ich mache einen Schritt auf Kiki zu, als sich Paige in mein Blickfeld zwingt.

"Hey Ty. Wollen wir ein Team sein?"

Nein wollen wir nicht. Doch dann sehe ich wie Jack Kikis Handy nimmt und mit ihr auf die Bühne springt. Wütend knurrend nicke ich Paige zu und sie fängt vor Freude an zu strahlen.

"Gut. Wir werden ein Theaterstück aufführen, Romeo und Julia. Es wird zwei Durchgänge geben mit jeweils anderen Partnern. Josie, Tim ihr fangt an!"

Sie bekommen den Text in die Hand gedrückt und haben 10 Minuten Zeit sich die Sätze einzuprägen.
Tim spielt so schlecht, dass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen kann, er überspringt sogar ein paar Zeilen und ist nur darauf aus, seinen Mund auf Josies volle Lippen zu pressen.

Die Lehrerin unterbricht dieses Horrospiel jedoch bevor es zu dem Endkuss kommen kann. Tim zieht eine beleidigte Schnute und ich klopfe ihm aufmunternd auf die Schulter.

"Raph und Blaire als nächstes bitte."

Raph ist nicht so ein Spinner wie Tim und ein echt anständiger Kerl. Kein Frauenaufreißer wie Tim, er überzeugt viel lieber mit seiner ruhigen, charmanten Art. Und Blaire scheint es zu gefallen, denn der Kuss wirkt keineswegs gespielt, sondern echt. Und das Funkeln in Blaires Augen überzeugt jeden im Publikum. Die Lehrerin ist begeistert und notiert voller Eifer etwas auf ihren Zettel. Raph als Romeo, eine besserer Besetzung kann sie nicht finden...nur Blaire als Julia lässt mich erschaudern. Sie ist eher wie Catwoman die ihre Dauertage hat...

"Taylor und Paige bitte."

Paige nimmt ohne Scheu meine Hand und führt mich grinsend auf die Bühne.
Ich konnte den Text schon als kleiner Junge auswendig, weil ich diesen Film so oft mit meiner Mutter angesehen habe, dass ich irgendwann das zählen aufgegeben habe.

Paige spielt gut und ihre Worte triefen nur so vor Liebe und gleichzeitigem Schmerz, so wie auch bei Julia. Sie ist wirklich gut und unter ihrem Blick fühle ich ihre verzweifelte Liebe mit. Die gespielten Gefühle sind gar nicht so gespielt. Diese Erkenntnis raubt mir den Atem. Sie liebt mich. Daran habe ich plötzlich keinen Zweifel mehr. Beim Lagerfeuer sind mir ihre eindringlichen Blicke gar nicht so aufgefallen. Bei den kurzen Gespräche in der Schule habe ich mir auf ihre rosa Wangen nie einen Reim gemacht. Und ich habe auch nie gemerkt, wie sie immer wieder meine Nähe gesucht hat. Wie konnte ich denn so blind sein? Blind vor meiner Liebe zu einem komplett anderen Mädchen, die widerrum geblendet ist von ihrer Liebe zu einem völlig anderen Jungen. Plötzlich kommt mir dieses Theaterstück wie mein eigenes Leben vor, diese Verzweiflung und dieser Schmerz den einst Romeo gespürt haben muss. Diesem Schmerz, weil es ihm nicht erlaubt wurde, Julia zu lieben. Vielleicht aus einem ganz anderen Grund wie bei mir, doch ich bin mir beinahe Sicher, dass er den gleichen nagenden Schmerz gespürt haben muss wie ich. Diese verzweifelte Liebe die aus unterschiedlichsten Gründen nicht sein durfte.

Und ohne das ich es mitbekommen hätte, habe ich den letzten Satz beendet und spüre im nächsten Moment Paiges warmen Atem an meiner Wange. Und dann küssen wir uns, erst verzweifelt und unsicher und dann immer drängender, als könnten wir all den Schmerz mit diesem Kuss betäuben.

Keiner im Raum wagt es zu atmen, alle starren wie gebannt auf unseren Kuss, der mehr als tausend Worte sagt.

"Der neue Romeo und die neue Julia!", klatschen und jubeln alle Schüler. Und als ich in Kikis Augen sehe, erhasche ich einen kurzen Blick auf eine einzelne Träne die ihr über die Wange kullert und unbeachtet zu Boden tropft um dort, genau wie mein Herz, zu zerspringen.

Bad Romeo and broken JuliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt