Kapitel 5

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Endlich gelang es mir, meine Augen zu öffnen und grelles Licht stach in meine Augen, sodass eine Träne über meine Wange lief. 

Ich fühlte mich, als hätte ich eine Grippe, so erschöpft und schlapp war ich.

Ich legte den Kopf auf die Seite und beobachtete, wie sich die Zahlen und Daten auf den Bildschirmen änderten. 

"Elenor...!", quietschte eine mir bekannte Stimme und ich riss überrascht die Augen auf. "Kath!", quiekte ich und sie fiel mir in die Arme. Wie lange war es noch mal her? Ein paar Wochen? Monate?

"Ich bin so froh, dass du lebst..!", flüsterte sie und schmiegte sich an mich. Andrew betrat den Raum, der sich offenbar in einem Krankenhaus befand. "Sieht so aus!", lachte ich und löste mich aus ihrer Umarmung. 

Erleichterung war ihr ins Gesicht geschrieben und sofort setzte sie sich neben mich. Ich verdrehte kichernd die Augen und sah meinem Bruder entschuldigend in die Augen. Er musste sich fürchterliche Sorgen gemacht haben, denn die Sorgenfalte stand ihm ins Gesicht geschrieben. 

"Ach Liebes...", seufzte er und hob mich aus dem Bett. Ich schlang die Beine um seine schmale Hüfte und krallte mich an seinem Shirt fest. "Verzeih..", flüsterte ich in sein Ohr und spürte, wie er sich entspannte. Er vergrub das Gesicht in meiner Schulter und kitzelte mich, bevor er mich wieder auf dem Boden absetzte.

"Mach so etwas nie wieder!", sagte er ernst und stemmte die Hände in die Hüfte. Wäre ich nicht mit ihm verwandt hätte ich mich sicher in diesen fürsorglichen und mutigen jungen Mann verliebt.

"Wo ist Mom?", fragte ich und sah zu ihm auf, weil er fast einen Kopf größer war als ich. 

"Sie kommt später, sie musste arbeiten.", sagte er. 

Etwas sagte mir, dass ich jetzt unbedingt alleine und ungestört mit meiner Besten Freundin reden musste. 

"Andrew..-", setzte ich an und warf Kathrine einen flehenden Blick zu, den sie sofort deutete und hinzufügte: "Mädchenkram..".

Noch während er fragend die Augenbraue über seinem rechten Auge hob, fingen wir an zu lachen und Tränen standen mir in den Augen. 

"Warte.", sagte ich und hinderte Andrew daran, die Tür hinter sich zu schließen.

"Was genau waren das für...Schmerzen?", stammelte ich und legte die Hand auf die Brust, die kaum noch weh tat.

Besorgt sah er mich an und setzte sich dann vor mir auf den Boden. "Die Ärzte...sie sagen es wäre ein Anfall gewesen." "So etwas wie eine Panikattacke?!", flüsterte Kathrine neben mir und schlang ihre dünnen Arme um meinen zitternden Körper.

Panik?

Ja, da war etwas, doch ich konnte mich kaum mehr an den Auslöser erinnern. 

"Vielleicht war es aber auch einfach eine Reaktion auf Stress... Sie haben keine körperlichen Befinden gefunden, welche solche Schmerzen hätten verursachen können..", seufzte er mit brüchiger Stimme.

"Woher wusstest du, dass ich hier bin..?", fragte ich an Kathrine gewandt, der Blondine, die mich forschend musterte. 

"Andrew hat mich angerufen und ich wäre sowieso hier her gekommen-", "Was?!", unterbrach ich sie und setzte mich zu ihr aufs Bett. 

"Ja..ich wollte dich überraschen, ich bleibe für eine Weile hier in Rosewood.", erklärte  sie und ich sah sie überglücklich an. Auch sie strahlte über beide Ohren und ich nahm sie in die Arme. Sie war ein Engel und hatte ein riesiges Herz. Ich liebte dieses Mädchen mehr, als ich je jemand anderen lieben könnte. 

Sie war alles für mich und wusste alles über mich. Sie war wie meine zweite Seite, mein rechter Arm oder mein Kissen, wenn ich nachts nicht schlafen konnte. 

Ich kannte sie schon seit meinem dritten Lebensjahr, wir besuchten damals dieselbe Krabbelgruppe und teilten uns von da an stets denselben Weg. 

Irgendwann kam dann aber die überaus traurige Nachricht. Sie würde wegziehen. Nach Kanada. Über 2000 Kilometer weit weg. 

Das alles kam so plötzlich, dass ich es erst wirklich realisierte, als sie weinend vor mir stand und mir ein Abschiedsgeschenk in die Hand drückte. "Auf Wiedersehen!", schluchzte sie und klammerte sich an mich. 

Tränen rannten über meine Wangen und ich konnte und wollte sie einfach nicht gehen lassen. Ich hätte niemals damit gerechnet, sie wieder sehen zu dürfen... 

"Es..ich bin so froh..", seufzte ich und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. 

Andrew sah mich immer noch besorgt und traurig an, doch irgendwann verschwand er mit dem Vorhand, etwas zu Essen zu kaufen. 

"Ich habe so einen großen Hunger!", beschwerte sich Kathrine, als er verschwunden ist. 

Ich sah mir die Schönheit, die vor mir saß, genauer an. Seit sie ein kleines Mädchen war leuchteten ihre grünen Augen und versprühten lauter Funken. Sie war so lebensfroh und abenteuerlustig wie ich, nur dass sie unglaubliche Angst vor dem Gewitter hatte.

"Wie lange es doch her ist..", flüsterte sie und ihre Augen glänzten, als sie leicht meine Hände drückte. "Wie viel Zeit bleibt uns?", wollte ich von ihr wissen und sie sah nachdenklich aus dem Fenster. 

"Ich weiß es nicht.", sagte sie leise und beobachtete die Vögel, die an dem Fenster vorbei flogen. Es war kurz vor dem Winter und Kälte übermannte den Tag. Ich fror und zog die Decke höher, als ein Windstoß in das Zimmer drang. 

"Aber wie du sicher noch weißt, habe ich in 6 Monaten Geburtstag und kann tun und lassen was ich möchte!", kicherte sie und schenkte mir ein hoffnungsvolles und schüchternes Lächeln. 

Auch wenn wir keine kleinen Kinder mehr waren, konnten wir uns dennoch privat so verhalten. 

"Ich habe dich vermisst.", sagte ich ernst und kicherte darauf hin lauthals los. Sie stimmte mit ein und schmiss sich, den Bauch haltend, auf den Boden. 

"Alles ok..?", fragte ich, als sie auf den Boden aufschlug. Doch sie lachte einfach weiter, als hätten wir noch nie etwas anderes getan. 

Ich war so froh, dass sie wieder bei mir war und gleichzeitig auch so traurig, weil sie mich in diesem Zustand hatte sehen müssen. Wie würde es jetzt weitergehen? 

Nachdenklich sah ich zu ihr und meine Gedanken schweiften zu meinen Eltern. Mom war bestimmt total besorgt, was aber nicht lange halten würde. Sie würde ihre Macht ausnutzen und mir verbieten, erneut raus zu gehen. Es war einfach nicht fair. 

Ich sah an die Decke und spielte mit dem Gedanken,was passiert wäre, wenn ich an diesem Tag wirklich gestorben wäre. Wäre ich in einem neuen Körper wieder aufgewacht und hätte ich dann die Chance auf ein glückliches und unbeschwertes Leben gehabt? Nein, leider gab es Probleme überall und andere Kinder hatten mit weit aus größeren Problemen zu kämpfen. 

Ich schluckte und malte mir aus, wie Kathrine die Nachricht über meinen Tod erhalten würde. Sie würde bestimmt sehr traurig sein, doch in ein oder zwei Monaten hätte sie bestimmt den Schmerz und die Trauer verdrängt und ihr Leben weitergelebt. Das musste sie ja auch.

Mom und Dad hätten endlich einen Raum mehr in ihrem Haus gehabt, den sie mit teuren Vasen und Bildern ausstatten können. Andrew hätte machen können, was er wolle und wäre nicht mehr an seine kleine, nervige Schwester gebunden.

Wie hätte wohl meine Beerdigung ausgesehen? 

Sicher würden nur ein paar Familienmitglieder kommen und ihre Trauer meinen Eltern gegenüber aussprechen. Würden sie vielleicht ein paar wenige Worte sagen? Nein, sie wussten nichts über mich, nichts, das wirklich stimmte. 

'...Elenor Smith war ein tapferes und lebensfrohes Mädchen. Sie hatte starke Nerven und konnte wirklich in jeder Situation ihr Bestes geben...' 

Nein, nein, nein! 

Die Worte hinterließen einen bitteren Geschmack in meinem Mund und ich leckte mir mit der Zunge die Lippen ab. 

Eine Beerdigung voller Lügen wollte ich wirklich nicht mit erleben, doch, hatte ich eine andere Wahl?



Hunter #1.Platz Beim Platin AwardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt