Kapitel 23

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Ich öffnete benommen die Augen und sah mich in dem kleinen Raum um, der sich als das Gästezimmer von Hunter's Wohnung auf der Erde erwies. Ich stöhnte auf, als ich mich mit meiner Hand auf der weichen Matratze abstützen wollte und kniff die Augen zusammen, um die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. Meine Hand stank verkohlt und ließ auch sonst einen ziemlich bemitleidenswerten Eindruck dar. Schwarze Ranken schlängelten sich an meinem Handgelenk umher, die ich unter einem pochenden Schmerz nach zeichnete.

"Elenor...", flüsterte Hunter, der an meinem Bett kniete und meine gesunde Hand fest hielt. Seine Augen loderten vor Nervosität und Besorgnis, seine Arme leuchteten in einem wunderschönen kristallklaren Licht, welches die schwarzen Linien, die sich meinen Arm entlang streckten, ebenfalls aufleuchten ließ.

Die Schmerzen verschwanden zwar nicht, doch ich fühlte mich ziemlich gut, dafür, dass ich vor weniger Zeit von einem Blitz getroffen wurde. Natürlich schob ich den Gedanken beiseite, dass ein natürlicher Blitz noch weit aus mehr Schaden anrichten würde, doch ich wollte und musste es tun.

"Können wir mit dem Training weitermachen?", bat ich Hunter, der amüsiert ein Lächeln verkniff und mich mitleidig mit großen, haselnussbraunen Augen, wieso auch immer sie ihre Farbe verändert hatten, ansah. Mein Herz machte sich bemerkbar und ich lächelte, bevor sich seine warmen Lippen mit einem Prickeln der Vorfreude auf meine legten. Nun fühlte ich mich wieder fit, erholt und motiviert und konnte es einfach nicht mehr abwarten, länger auf der Erde zu bleiben. Doch ich wusste, dass ich Training brauchte, bevor ich mich in ein lebensgefährliches Spiel einlassen durfte.

"Hunter..", hauchte ich und er stützte sich mit den Ellenbogen ab, sodass er nur wenige Zentimeter über mir verharrte. Meine Lippen glühten, warteten auf die seine und mein Herz wurde größer. Ich grinste ihn an, ehe er mit seinen Händen meine Konturen entlang fuhr und verworrene Muster auf meine nackten Oberarme zeichnete. Seine Berührungen fühlten sich so an, als würde ich aus einem angenehmen Schlaf erwachen, der eine entspannte Wirkung auf mich hat und dennoch mit dem ganzen Adrenalin aus dem Traum zuvor, nicht umgehen konnte.

"Ich will nicht, dass dir etwas passiert.", hauchte er in mein Ohr und knöpfte meine Bluse auf. Es war ein Theaterstück, bei dem meine Gefühle die Hauptrolle spielten und die Angst und die Verzweiflung jagten, die noch vor wenigen Wochen zu meinem schlimmsten Fehler geführt hätten. Jetzt, wo ich über meinen Suizidversuch nachdachte, verblasste der Schmerz immer mehr und ließ mich reuen, so dumm und naiv gewesen zu sein. Was hatte ich nicht alles aufgegeben, wenn ich nun nicht mehr hier auf dieser Erde stehen würde? Die Antwort saß vor mir, im Schneidersitz darauf wartend, dass ich meinen Rock auf den Boden warf und wir uns endlich näher kommen konnten. Näher, als ich mir ausmalen konnte. So etwas berauschendes, glückseliges, wie es mir in diesen Sekunden des Vergnügens widerfuhr, konnte ich mit keinem Wort auch nur annähernd beschreiben. Es war, wie das erste Vogelgezwitscher nach einem langen Winter oder die ersten warmen Sonnenstrahlen, die diesen Frühling auf meine blasse, unschuldige Haut gefallen sind.

Er stöhnte an meinem Ohr, während er glitzernde Küsse auf meiner Haut verteilte. Ich verschränkte die Hände hinter seinem Nacken, zog ihn näher, wollte seinen heißen, angeregten Atem auf meiner Haut spüren. Ich wollte ihn für mich, ganz alleine und wollte, dass er genau das gleiche durch meine fordernden und leidenschaftlichen Küsse erkannte. Ich gab mir Mühe, ihm einen Einblick in meine auf den Kopf gestellte Gefühlswelt zu gewähren, die vor lauter rot Tönen heller als die Sterne funkelten. Meine Augen tränten, symbolisierten das Glück, welches ich gerade hatte und die Liebe zu dem außergewöhnlichen jungen Mann, der mir einen Eintritt in seine magische Welt gewähren würde.

Seine lockigen, braunen Haare fühlten sich viel weicher als in meinen Vorstellungen an und seine Fingerspitzen auf meinem Oberkörper ließen mich jegliches Detail meiner bittersüßen Vergangenheit vergessen. Denn all das, was passiert war, war geschehen, vergangen und nicht mehr zu ändern. All das hat mich noch stärker gemacht, mutiger, ehrenvoller. Ich hatte nichts mit dem Unglück zu tun, welches meiner Familie zu fuhr, ich war nicht Schuld an dem Schmerz, den wir alle erlitten hatten, als mein Vater nicht mehr nach Hause kam. Wenn ich für etwas die Schuld trug, dann für jenen Moment, an dem ich gesprungen bin um endlich einen Ausweg zu finden.

Nun lag ich auf einem Bett, welches mein zweites Zuhause sein könnte, so warm und angenehm breitete sich seine Wärme um unsere ineinander verwobenen Körper aus, ließ uns erträumen, was wir noch nie erlebt hätten, hätte ich mir das Leben genommen. Wir schwebten über einer grauen Wolke, die all meine negativen Gedanken bündelte und sie aus der Welt schaffte. Es war traumhaft und leicht, die mutige und fordernde Person zu sein, die ich in den vergangenen Tagen geworden bin.

Es war ein kleines lustiges Spiel, bei dem ich ausnahmsweise als stolze Siegerin hervor ging. Vermutlich hatte ich genau die schwerste Phase meines Lebens durchlebt und damit abgeschlossen, als wäre es einfach ein trauriges Buch, wessen Hauptfigur starb. Ich konnte die Seiten umblättern, die über traurige Erlebnisse erzählten, ein neues Kapitel schreiben und mich mit den verschiedenen Worten ausprobieren, die ein kleines, magisches Werk zum Leben erwachen lassen können. Mein Werk, ein neu verfasstes, verändertes Kapitel, dass über meine bevorstehende, noch ungewisse Zukunft erzählen könnte. Wenn ich sie selbst schreiben könnte, wäre Hunter die Hauptperson. Natürlich wäre ich auch dabei, doch in meiner Welt drehen sich all meine Gedanken um dieses außerordentlich gut aussehende, faszinierende Wesen, welches ein noch spannenderes Geheimnis vor seiner Außenwelt hütete. Nur mich ließ er hinein, in seine Welt.

Es war, als würde diese Geschichte erst anfangen und tatsächlich stand vor mir noch eine sehr lange und möglicherweise auch schmerzvolle Phase, die mich an meine Grenzen bringen würde. Doch, ich war mir ziemlich sicher, dass ich nun stark genug war, um es zu schaffen. Um Aufzustehen, wenn ich fallen würde und um mir einen neuen Weg zu bauen, der vielleicht doch etwas komplizierter und anders als in meinen harmlosen Vorstellungen ist, und doch machbar für mich.

Hunter #1.Platz Beim Platin AwardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt