Kapitel 1

145 9 0
                                    

Taleria P.O.V

Wir ritten nun schon seit Wochen. Unsere Vorräte neigten sich dem Ende zu und Beorns Haus lag noch mindestens 10 Tagesritte entfernt. Den Düsterwald umgingen wir, da ich eine Begegnung mit Thranduil vermeiden wollte. Die letzten Wochen hatte ich ihn aus meinen Gedanken gestrichen, da ich weitaus wichtigere Probleme zu lösen hatte.
Als wir am Ufer eines kleinen Baches ankamen, stieg ich ab und füllte meine Wasserschläuche. Auch Koriat trank gierig aus der Wasserquelle.
„Wohin willst du eigentlich?", fragte mich Koriat.
Er war ein Meara, die edelste Pferderasse. Sie hatten etwas Magisches an sich und wenn die Bindung zwischen Reiter und Pferd stark genug war, konnten sie miteinander kommunizieren.
„Wenn ich das nur wüsste...", antwortete ich meinem Begleiter.
„Aber du musst doch irgendeinen Anhaltspunkt haben. Was die Frau nochmal gesagt?"
„Sie sagte, ich müsse mich zuerst selbst finden, bevor ich sie finden kann. Aber das macht keinen Sinn! Ich habe mich nie verloren, wie kann ich mich also finden?"
„Frag mich nicht! Du bist hier die Elbin. Ich bin nur ein Pferd!"
Koriat fing an im Schnee nach Gras zu graben und beendete die Unterhaltung damit. Kopfschüttelnd folgte ich dem Bach stromaufwärts, in der Hoffnung dort etwas Essbares zu finden. Tatsächlich wuchsen nicht weit weg ein paar saftig aussehende Beeren. Ich holte einen leeren Beutel heraus, um die Beeren hinein zu füllen.
„Nicht die.", hörte ich eine Stimme hinter mir, als ich gerade die Hand nach den Beeren ausstreckte. Erschrocken fuhr ich herum, und schmiss meinem Gegenüber aus Reflex den leeren Beutel ins Gesicht.
Dort hinter mir stand ein großgewachsener Mann mit schulterlangen, braunen Haaren. Ich schätzte ihn auf circa fünfundzwanzig Jahre.
„Nicht diese Beeren. Sie sind giftig."
„Äh danke, glaube ich." Der Mann lachte.
„Ihr seid nicht von hier.", stellte er fest.
„Und woher genau wollt Ihr das wissen?"
„Das sind Jolabeeren. Jedes Kind von hier hätte gewusst, dass sie giftig sind."
Ich stand auf und klopfte mir den Dreck von der Hose. „Mein Name ist Taleria. Wer seid Ihr?"
Kurz zögerte der Mann, dann sagte er: „Bei den meisten bin ich als Streicher bekannt."
„Und bei den anderen?"
„Soweit ich weiß, zählt Ihr nicht dazu." Ich lachte.
„Vertraut Ihr mir etwa nicht?", fragte ich ihn scherzhalber.
„Ich vertraue nur wenigen, auch zu ihnen zählt Ihr nicht." Wieder musste ich lachen.
„Wo wollt ihr hin?"
„Zu einem alten Freund.", antwortete Streicher. Wieder zögerte er kurz. „Nur haust er irgendwo im Düsterwald und für mich sieht dieser Wald jedes Mal anders aus."
„Nun, es ist ein Wald. Wälder verändern sich. Sagt mir den Namen Eures Freundes. Vielleicht kenne ich ihn und kann Euch zu ihm führen."
„Ich glaube nicht, dass ihr ihn kennt. Sein Name ist Élor. Vor drei Jahren diente er noch König Thranduil."
Überrasch sah ich Streicher in die Augen. Er kennt Élor? „Zu Eurem Glück kenne ich Élor. Ich könnte Euch zu ihm führen, doch ich muss sagen, es wäre ein Umweg für mich."
Ich wollte nicht zurück ins Waldlandreich. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Thranduil dort und ich wollte ein Zusammentreffen mit ihm tunlichst vermeiden. „Ich wäre Euch natürlich dankbar, wenn Ihr mir diesen Gefallen tun würdet, doch ich will Euch nicht von Euren Weg abbringen.", meinte der Mann höflich und drehte sich um.
Ich wusste, dass er mich umstimmen wollte und ich wollte standhalten, doch die Schuldgefühle waren bereits geweckt. „Wartet!", rief ich und lief Streicher hinterher.
Dieser blieb stehen und drehte sich langsam um. Er versuchte das triumphierende Lächeln zu verstecken, doch ich hatte es schon gesehen. „Wenn ich es mir recht überlege, ist das Waldlandreich gar nicht so ein Umweg.", meinte ich schnaufend.
„Habt Ihr ein Pferd?", fragte er mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Natürlich habe ich ein Pferd! Nur, ich befürchte, dass das Eure mit dem meinem nicht mithalten kann.", sagte ich mit einem süffisanten Grinsen.
„Mein Pferd wurde in Rohan aufgezogen, im Land der Pferdeherren. Ich glaube kaum, dass Euer Pferd schneller ist, als meines."
Mit einem Lächeln rief ich in meinen Gedanken nach Koriat. Dieser brauchte nicht lange, bis er schließlich neben mir stand. „Das ist Koriat, ein Meara.", sagte ich zu Streicher auf Sindarin. „Ich grüße Euch, Koriat.", antwortete dieser, ebenfalls auf Sindarin, an Koriat gerichtet.
Koriat neigte den Kopf und fing dann an nach Gras zu suchen. „Ich muss zugeben, dass mein Pferd sicherlich nicht mit einem Meara mithalten kann. Sagt, wie kommt Ihr zu einem so edlen Tier?"
„Wenn Ihr mir sagt, wie es kommt, dass ihr Sindarin sprecht."
„Im Alter von acht Jahren bekam ich Unterricht von meinem Vater. Er dachte wohl es sei wichtig."
„Koriat wurde mir vor einigen Wochen gegeben, obwohl ich bezweifle, dass man Mearas besitzen kann. Ich glaube, wenn sie gehen wollen, dann gehen sie auch."
Streicher nickte. „Von wo kommt ihr?", fragte er weiter und ging zu seinem Pferd, das an einem Baum angebunden war, wie ich bemerkte.
Auch ich ging zu Koriat. „Glaubt mir, wenn ich Euch sagen würde woher ich komme, dann würdet Ihr mich für verrückt halten und wärt kein bisschen schlauer."
Ich stieg auf. „Und von wo kommt Ihr jetzt gerade?"
„Ich war in der Schlacht.", sagte ich leise und trieb Koriat an. Die letzten Wochen hatte ich so gut wie möglich versucht das alles zu vergessen. Doch jetzt kamen alle Erinnerungen mit einem Schlag an die Oberfläche.
„Ich habe davon gehört. Ich habe auch gehört, dass die Orks in die Flucht geschlagen wurden."
„Ich habe drei meiner engsten Freunde verloren.", meinte ich knapp und trieb Koriat schneller an.

Die restliche Zeit verbrachten wir schweigend, bis wir ein Nachtlager errichteten. Die Pferde grasten etwas weiter entfernt und Streicher und ich saßen schweigend am Feuer. Ich wusste schon seit wir den Wald betraten, dass wir beobachtet wurden. Dann wurde die Stille plötzlich unterbrochen und ehe wir uns versahen, waren wir von einem Dutzend bewaffneten Elben umgeben.
Ruhig blickte ich in die Runde und suchte nach einem bekannten Gesicht. Ich konnte mich an keinen von ihnen erinnern, doch einer schien mich erkannt zu haben. „Herrin? Was macht Ihr denn hier?"

Die Zukunft der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt