Eine gewisse Ausstrahlung

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Seo In Guk

Ich sehe meinen Atem in der kalten Nachmittagsluft aufsteigen; der hell strahlenden Sonne entgegen. Ihre Wärme erreicht den Boden nicht. Die eisige Kälte wirkt unwirklich, während jedes Gebäude und jede Silhouette von leuchtendem Sonnenschein eingerahmt wird. Blätter, die der Herbst zurückgelassen hat, knirschen unter meinen Stiefeln. Versunken in Erinnerungen glaube ich fast seine Stimme zu hören.

,,Model? Du?"
,,Wieso? Passt es nicht zu mir?"
,,Nein, das meine ich nicht. Ich freue mich für dich, du kannst alles schaffen was du willst."

,,Du kannst alles schaffen was du willst. Dieser Spruch von dir hat mich damals motiviert, weißt du das?"
Seufzend schaue ich hoch, bis das helle blau des Himmels mein gesamtes Blickfeld ausfüllt. Es ist nicht so als wäre ich einsam, aber manchmal vermisse ich Won Il. Wie viele Stunden haben wir im Waisenhaus und später auf den Straßen gemeinsam verbracht? Unzählige. Deshalb hoffe Ich, das Tao und Kris ihn für mich rächen. Witzig, wo es doch die beiden waren, die ihn umgebracht haben . . . Ganz vergessen kann ich es nicht, auch wenn ich weiß, dass Won Il zuerst angegriffen hat und sie getötet hätte, hätten sie ihn nicht vorher erwischt. Letztendlich gilt meine Wut aber vor allem denjenigen, die hinter diesem Kim Woo Bin stecken und diese sinnlose Mission überhaupt erst angezettelt haben.
Mit einem lauten Hupen rauscht ein Auto dicht an mir vorbei. Erschrocken schaue ich auf. Ich stehe halb auf der Straße. Das nächste Auto reagiert nicht so schnell und obwohl mein Körper reflexartig nach vorne stürzt erwischt es mich, als es auch schon mit einem heftigen Ruck stehen bleibt. Die Wucht reicht aus um mich zu Boden zu werfen und einen Meter weiter komme ich zum Stillstand. Bin ich gerollt oder gerutscht oder have ich mich um mich selbst gedreht? Keine Ahnung.
Irgendetwas knallt unnatürlich laut und kurz darauf spüre ich wie jemand eine Hand auf meine Schulter legt und mir hilft mich aufzusetzen.
Es tut sauweh, aber schon beginnt der Schmerz sich zu einem dumpfen Brennen abzuschwächen.
,,Sind sie in Ordnung? Können sie mich hören?" Ich verziehe das Gesicht ob der lauten Stimme. Der Mann muss das falsch verstanden haben. Er ruft über seine Schulter: ,,Vielleicht sollten wir ihn ins Krankenhaus bringen." ,,Nein." Das ganze ist mir entsetzlich peinlich. Ich habe nicht aufgepasst und liege hier mitten auf der Straße wegen meiner eigenen Dummheit. ,,Das ist wirklich nicht nötig."
,,Was ist nicht nötig?" Ein weiteres mal ertönt ein lauter Knall. Diesmal erkenne ich den Lärm als zufallende Autotür. Der erste Mann steht auf und neigt den Kopf vor dem anderen. Selbst wenn ich aufrecht vor ihm stehen und nicht auf dem Boden sitzen würde, böte er einen imposanten Anblick. Ich besitze selbst eine gewisse Ausstrahlung, das ist mir bewusst. Dieser Mann . . . er sieht noch recht jung aus, nur wenig jünger als ich, kann definitiv mithalten. Er reicht mir die Hand. Zögernd ergreife ich sie und richte mich auf. Er ist etwa genauso groß wie ich. ,,Seo In Guk . . . es freut mich sie kennen zu lernen." Es freut ihn nicht. Oder? Sein Blick wird kalt. Würde ich ihn anfassen, würde ich an seinen glatt gekämmten Haaren und den vom Sonnenlicht abgekehrten Augen abrutschen. ,,Kommen sie. Ich kann sie nicht einfach hier stehen lassen, nachdem wir sie angefahren haben."
Er weißt auf sein Auto. Der Mann, welcher als erstes auf mich zugekommen ist, öffnet eine der hinteren Autotüren und wartet ab. Wenn ich mir so die Designerklamotten des Jungen neben mir ansehe, macht es wohl Sinn, dass er einen Chaffeur hat.

Man könnte meinen, jemand wie er wäre stärker darum bemüht sein Privatleben geheim zu halten, aber er erzählt mir ohne zu zögern, dass er ein guter Freund der beiden Jungs ist, die ich reingelegt habe. Jetzt weiche ich seinem Blick aus. Er ist viel schwerer zu ertragen, jetzt wo ich mich tatsächlich vor ihm schäme. Ich habe seine besten Freunde, Kris und Theo hießen sie glaube ich . . . oder? . . . Jedenfalls habe ich sie in Gefahr gebracht.
Ich lasse meinen Blick durch das kleine Cafe gleiten. Ich habe es nie bemerkt. Es ist unscheinbar, aber sauber und warm.
Aus dem Augenwinkel werfe ich einen Blick zu dem Mann, der sich inzwischen vorgestellt hat.
Kim Myung So. Er trägt einen unbestimmten Gesichtsausdruck zur Schau. Alle Emotionen scheinen jederzeit auf seinem Gesicht erscheinen zu können. Es kommt ganz darauf an wie ich mich ihm gegenüber verhalte.
,,Geht es ihnen gut? Sind sie wirklich nicht verletzt?" Er beugt sich vor und stützt sein Kinn auf seine verschränkten Hände.
,,Nein, ich . . . nur ein paar Schrammen, nicht mehr." Sein rechter Mundwinkel hebt sich ein wenig und er sieht schon fast amüsiert aus.
,,Sie haben auch Schrammen im Gesicht. Die sollten sie behandeln. Sie sind doch Model oder?"
,,Ich - was?!" Rasch hole ich mein Handy raus schaue und betrachte mein Spiegelbild auf dem Display. Ich habe tatsächlich eine Schramme auf der linken Wange. Verdammt, wie soll ich das meinem Manager erklären . . . ,,Ach . . ." Unsicher lege ich mein Handy weg und überlege ob ich die Frage stellen darf. ,,Weißt du vielleicht wie weit deine Freunde in dem Fall gekommen sind? Wissen sie wer Won Il in diese Selbstmordmission geschickt hat und warum?" Ich hatte mal einen Lehrer der Diskussionen mit uns Schülern oft wortlos geführt hat. Er hat uns nur angesehen und wir glaubten die Antwort auf unsere Frage zu kennen. Wenn wir blödsinn redeten kamen wir uns dumm vor, ohne das er auch nur ein Wort sagen musste. Kim Myung Soo's Blick fühlt sich genauso an. Ich glaube schon gar keine Antwort zu bekommen aber werde überrascht:
,,Sie arbeiten dran."

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