Kapitel 2

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Hello friends,
Nach einer ewigen Schreibstille geht's nun weiter. Ich hoffe, euch allen geht's wunderbar. 💞

×××

Nun, 1896 war ein Jahr, in dem nicht nur ich mich selbst fand. Nein, 1896 veränderte uns alle. Und damit meine ich mich, den unbekannten Diebesjungen und seine Anhängsel, als auch meine Eltern.

Auch, wenn ich der festen Überzeugung bin, dass ich mich am meisten veränderte.

Dass der Fremde meinen Schmuck geklaut hatte, wurde für mich irgendwann bloß noch eine Nebensache. Ich wollte meinen Schmuck zuallererst wieder. Ich wollte das wieder, was mir etwas bedeutete.

1896 war es eben so:
1.) Wenn du arm warst, warst du arm. Und du bliebst arm. Bis an dein Lebensende.

2.) Wenn du reich warst, warst du reich.

3.) Und wenn du in der Mittelschicht warst, so wie ich, dann bliebst du in der Mittelschicht.

Als ich an dem Abend dieses einen Tages, an dem mir mein Schmuck geklaut wurde, durch mein Zimmer lief und mir meine Kapuze über den Kopf zog, gingen mir reichlich Gedanken durch den Kopf. Und diese Gedanken wurden immer schlimmer und furchtbarer, je näher ich dem Geschehen kam, das noch vor mir lag.

Ich wollte einer Gruppe an Dieben natürlich nicht unbewaffnet entgegen treten. Nein, ich wollte mir zumindest eine Kleinigkeit mitnehmen. Ich wollte mich verteidigen können, wenn es so weit kommen würde, was ich natürlich nicht hoffte. Aber ich konnte nicht ahnen, was noch geschehen würde. Ich konnte ja schließlich nicht in die Zukunft blicken.

Das dunkelblaue Kleid an meinem Körper passte sich der Dunkelheit meiner Haare an. Meine Schuhe, leise und flach, huschten über den Boden meines Zimmers hinüber zum Fenster, welches ich, so leise ich nur konnte, öffnete.

Von meinem damaligen Zimmer aus konnte ich den gesamten Hof überblicken, auf dem wir lebten. Ich sah alles. Ich sah selbst den großen Käfig, in dem unser Hofhund hauste, ein Schäferhund namens Molly. Sah die Stallungen der Pferde, Schweine und Rinder. Ich sah einfach alles. Auch unsere zwei einzigen Felder. Eines für den Anbau, das andere nutzte ich zu meinem Gunsten als Platz, um heimlich kämpfen zu üben.

Ich bettelte meinen Vater ständig an, mir kämpfen beizubringen, da ich wusste, dass er gut kämpfen konnte, doch er verneinte jedes mal. Irgendwann startete ich dann den Versuch, es mir selber beizubringen. Mit Pfeil und Bogen, im Nahkampf, alles, was ich irgendwo aufschnappen konnte.
Manchmal beobachtete ich sogar Schlägereien, um etwas zu lernen.

Meine Eltern besaßen ihr Schlafzimmer auf der anderen Seite unseres Hauses. Sie konnten den Innenhof nicht sehen so wie ich es konnte. Sie konnten mich also nicht beobachten oder erwischen, was ich zu meinem Vorteil nutzte.

Ich hatte bloß Panik, Molly könnte wach werden und zu bellen beginnen.

Mit zittrigen Händen stemmte ich mich aus meinem Zimmer hinaus, landete leichtfüßig auf dem Asphalt des Hofes und schaute durch die Dunkelheit hindurch zu Molly rüber, deren Käfig mit einem dicken Schloss verriegelt war. Mein Vater war immer der Einzige, der den Schlüssel für das Schloss besaß, denn wenn man Molly streichelte, hörte sie zu bellen auf. Bloß konnte man sie von außen nicht streicheln. Man musste den Käfig öffnen und zu ihr hinein gehen.

Mein Vater beschrieb den Zweck des Schlosses immer so: "Wenn jemand von euch eingeladenes, von mir aber unerwünschtes den Hof betritt, dann berichtet mir Molly so lange davon, bis ich mich selbst von dem Geschehen überzeugen kann."

1896Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt