Kapitel 21

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Are you ready? Cause I'm not...

×××

"Ich habe gelogen."

Ich ging auf ihn zu. Ging einfach auf ihn zu, setzte mich neben ihn und schaute auf sein Kinn, an dem getrocknetes Blut klebte.

"War das dein Vater?", fragte ich ihn. Er zuckte zurück als ich die Wunde berühren wollte. Ich nahm meine Hand wieder herunter. Sekunden später kam ich mir selbst unhöflich vor. Die Wut wurde durch den Wald davon gepustet. Ich spürte sie nicht mehr.

"Nein", antwortete er leise. Er beobachtete weiterhin die Kerze, deren Flamme auch ich wenig später komplett wahrnahm. Ich sah sie an und konzentrierte mich auf diese schwankende Flamme.

"Lüg mich nicht an."

Ich schaute zu ihm rüber, er schaute auch zu mir rüber. Sein Oberschenkel war wenige Zentimeter von meinem entfernt, so nahe, und doch konnte ich mich nicht auf ihn einlassen. Mich nicht mit seiner Wärme umgeben oder überhaupt daran denken, meinen Körper gegen seinen fallen zu lassen. Es herrschte Kälte zwischen uns.

"Du hast gelogen?", setzte ich dann fort, da er mir keine Antwort mehr gab. Ich schaute ihn nun nicht mehr an, doch er wandte seinen konstanten Blick nicht von mir ab. Nicht mal auch nur für eine Sekunde lang.

"Ich bin bei dir Zuhause eingebrochen..."

"Das sagtest du bereits. Bevor du ein Haus mit Menschen darin schamlos abgebrannt hast, erinnerst du dich?"

"Eve-"

"Wenn du wieder über meine Eltern sprechen willst, kannst du gleich gehen, weißt du."

"Jetzt hör mir doch mal endlich zu!", raunte er, packte meine Schultern und drehte meinen Oberkörper so, dass ich ihn anschauen musste. Ich musste ihn einfach anschauen. Und ihn anzuschauen erweckte in mir pures Chaos.

"WAS?!", schrie ich mitten in sein hübsches Gesicht, dessen blaue Augen mitten in meine schauten. Ich entdeckte, wie glasig sie waren. Wie nahe er den Tränen war. Das brachte mich dazu, endlich meinen Mund zu halten. Genau das brachte mein vorlautes Mundwerk zum Schweigen. Ich biss mir auf meine Unterlippe.

"Ich habe nichts geklaut."

Mein Hals wurde zu einer Wüste.
Ich konnte nicht schlucken, atmen oder denken.

"Hast du gehört?"

Ich nickte bloß.

"Ich wurde zwar dahin geschickt, um etwas zu klauen, aber ich habe nichts mitgenommen. Ich hab nichts angerührt, kein Geld, keinen Schmuck - absolut nichts. Alles ist noch da."

"Wieso hast du dann gesagt, dass du-"

"Ich dachte-", er hielt inne, sprach dann weiter, "Für einen Moment dachte ich, dass es vielleicht besser so wäre. Wenn du und ich nicht mehr...nicht mehr wir sind. Ich dachte, es würde alles leichter machen. Das Morden, das Stehlen...einfach alles."

Genau das dachte ich auch.
Genau das durchquert meinen Kopf so oft.

Ich sah seinen Händen dabei zu, wie sie meine Schultern hinab rutschten und sich in seinen Schoß legten. Er war mir so nahe, dass ich seinen Atem hören konnte. Wie er ein- und ausatmete und sich dabei so ruhig anhörte. Wie ein kleines Kind, das seelenruhig neben seiner Mutter liegt. Er hörte sich so ruhig an, dass ich auch zur Ruhe kam.

1896Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt