Kapitel 13

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Ich rannte.
Ja, ich rannte.
Und ich rannte so schnell, dass meine Lunge wie Feuer brannte und meine Muskeln müde wurden. So müde. Ich konnte mich kaum noch auf was anderes konzentrieren als auf meine müden Muskeln und das Gesicht meiner Mutter, das sich in meinen Kopf brannte.

Ich konnte ihren Blick nicht mehr vergessen.
Ihren so geschockten, verwirrten und müden Blick, der mich einfrieren ließ. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich konnte schon lange nicht mehr klar denken.

"VERDAMMT!", schrie und weinte ich als ich zum Stehen kam. Ich weinte und schrie, da ich mich nicht mehr auf etwas anderes als auf ihr Gesicht konzentrieren konnte. Ich dachte nur darüber nach, dass Walter mir bewusst mein Zuhause ruinieren wollte.

Und er hatte es geschafft.
Er hatte mir mein Zuhause ruiniert, meine Familie gestohlen und mich zu einem Mädchen ohne Zuhause gemacht. Er hatte mich gebrochen, vollkommen, zu seinem Nutzen.

Er erschuf ein gebrochenes Mädchen, das nun auf ihn angewiesen war, denn durch seine Aufträge konnte dieses Mädchen Geld verdienen, um nicht verhungern zu müssen.
Das wollte er.

Er wollte mich genau so haben, nicht anders.
Er wollte mich ohne mein Zuhause, ohne meine Familie, ohne einen Funken Hoffnung.
Und so verblieb ich.
Ohne Familie, ohne Zuhause und ohne Hoffnung, die mich weiter laufen ließ.

Ich verlor die Jungs auf dem Marktplatz aus meinen Augen. Sie flüchteten in verschiedene Richtungen, in denen ich ihnen nicht folgen wollte, denn sie waren ein Grund, wieso mich meine Mutter überhaupt entdeckt hatte. Weil die Jungs diese Frau beklaut hatten und meine Mutter, indem sie die Frau ansah, automatisch mich sah. Und Walters Lachen in meinen Ohren...das erschreckte mich immer wieder. Wie ich sein Lachen noch immer hören kann, wenn ich mich genau an ihn erinnere.
Und wenn ich mich genau an Tj erinnere, dann kommen da so viele Geschehnisse, die mich davon überzeugen, ihn zurückzulassen wäre ein Fehler gewesen.

Ich hielt mich an einer Hauswand fest, hörte meinem Ächzen zu, versuchte zu atmen, ohne atmen zu können, und spürte das Zittern meiner Muskeln, die unter meinem Gewicht müde und schwach wurden. Und dann weinte ich. Ich weinte furchtbar laut und intensiv.

Er nahm mir meine Familie.
Er sorgte dafür, dass ich nicht mehr zurück konnte.
Nicht, da sie mich gesehen hatte. Meine Mutter.
Nein, ich konnte nicht mehr zurück, da sie mein anderes Ich gesehen hatte. Das Ich, das sich aus dem Haus schlich, nachts, und als Junge ausgab, um nicht erkannt zu werden. Das Ich, das von Tj und Walter und den Elstern beeinflusst wurde und noch Stunden zuvor Blut von Ermordeten an ihren Händen kleben hatte. Die Mörderin.

Ich konnte nicht mehr zurück gehen.
Ich konnte ihr das nicht antun.
Und wenn ich gehen würde, dann würden meine beiden Eltern mich ausfragen. Was ich getan hatte, warum ich ihnen im Morgen nicht geantwortet hatte als sie an meiner Tür geklopft hatten. Wieso ich so herum lief.
Und dann hätte ich mich erklären müssen, und bei meiner besten Erklärung wäre ich wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen und hätte sie nicht weiter anlügen können. Und dann, sehr bald, hätte Walter seine Vorhersage erfüllt und alle getötet, die ich liebte. Er hätte sie getötet.
Ich wollte, dass er mich tötete.
Aber er tötete mich nie.

Und so rutschte ich an der Hauswand herunter, sackte auf den Boden und kauerte mich zusammen. Mein Gesicht in meinen Armen vergraben und das Wasser floss nur so aus meinen Augen hinaus. Salzig, als ich meine Tränen schmeckte.

÷ ÷ ÷ ÷

Sehr bald raffte ich mich auf, musste von dort verschwinden, da der Regen auf mich hinunter prasselte und ich wahrscheinlich eine Unterkühlung erlitt und fror. Meine Lippen bebten, mir war kalt.

1896Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt