Kapitel 30

8.6K 287 16
                                    

"Hey.", meldete ich mich ins Handy. Ich freute mich total, denn Ethan hatte wirklich angerufen. Der Nachmittag verlief bis jetzt vergleichsweise langweilig, ich hatte gelesen und mich damit vorm Lernen gedrückt. Ich hatte einfach keinerlei Lust, und mein neues Buch von Veronika Roth war total spannend.

"Hi.", antwortete er. Durchs Telefon klang seine Stimme noch tiefer als sonst, und außerdem ein wenig sexy. Es entstand kurz ein Moment der Stille, vor dem ich mich insgeheim schon gefürchtet hatte. Was wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben und uns nur noch anschwiegen? Tja, so aufgekratzt wie ich war, ließ ich die Stille nicht lange still. Ich quatschte einfach drauf los, erzählte von meinem langweiligen Mittag und fragte nach was er so getrieben hatte.

"Auch nicht besonders viel. Etwas gelernt. Und Kaffee getrunken!", sagte er und ich hörte wie er sich auf irgendwas fallen ließ. Sein Bett?

"Oh ja ich auch! Schon drei Tassen.", ließ ich ihn wissen. "Du Suchti, Liv!" Ich hörte ihn lachen. "Gar nicht wahr!", rechtfertigte ich mich empört. "Mein persönlicher Rekord waren 14 Tassen am Tag!"

"Und du hast in der Nacht überhaupt geschlafen?", fragte er belustigt nach. "Ja, hervorragend. So um halb vier dann." Und er lachte wieder. Ich blieb still, um mich später an sein bezauberndes Lachen erinnern zu können. Erst jetzt, wo ich genau zuhörte, hörte ich im Hintergrund leise Musik. "Sag mal, was hörst du denn da?", fragte ich neugierig.

"Musik."

"Ach nee jetzt?! Nochmal genauer bitte!"

"Die Band ist eigentlich unbekannt, kennst du bestimmt nicht." , versuchte er mich abzuwürgen, ich war mir jedoch sicher, das Lied schonmal gehört zu haben. "Doch doch, ich kenn das. Dreh doch mal lauter.", befahl ich und er kam meinem Befehl zufolge. Ich summte inzwischen leise mit.

"Ja! Jetzt weiß ich es!", teilte ich meinen Geistesblitz fast schreiend Ethan mit. Er hatte so laut aufgedreht, dass ich das Handy ein Stück von meinem Ohr halten musste, drehte jetzt aber wieder leiser. "Da bin ich ja mal gespannt.", hörte ich ihn murmeln.

"Das sind Rise Against und der Song heiß glaube ich Satellite oder so.", sagte ich ziemlich siegessicher. Und ich hatte Recht, denn er sagte nichts. Ich konnte seinen Schock durchs Telefon fast spüren. "Wow! Woher wusstest du das?", fragte er, und klang dabei unfreiwillig beeindruckt.

"Ich bin halt einfach ein Genie!", rief ich und freute mich, dass ich es erkannt hatte. "Nein, Spaß ich hab die leztens entdeckt, sie sind wirklich gut, aber das Lied hab ich aber noch nicht so oft gehört."

"Hey, ich kenn kaum jemand der das Lied kennt. Und noch weniger, die Rise Against mögen. Was hörst du sonst noch für Musik?", fragte er und klang total neugierig.

Die nächste halbe Stunde verbrachte wir damit, unsere Lieblingsbands und Lieblinssongs zu vergleichen. Wir hatten erstaunlich viele Gemeinsamkeiten, was Musik betraf. Ich hatte mir schon zwar gedacht, dass er etwas Ahnung von Musik hatte, aufgrund seines Facebook Spruches von Travis. Aber dass er wirklich so viel kannte, und auch zuhause besaß war unglaublich.

Ich stand vor meinem CD-Regal, das bis unter die Zimmerdecke ging und randvoll war. Er kannte fast alle Interpreten, die ich ihm nannte und erzählte mir von einigen, die ich nicht kannte. Jemanden mit so viel Musikwissen hatte ich noch nicht oft getroffen und ich hatte ihn schon vorgewarnt, dass ich mir nächstes Mal bei ihm auf jeden Fall CDs ausleihen musste.

Als ich ihm bei meinen Top drei Lieblingsbands, auf Platz Zwei Foreigner nannte lachte er. Zwar nur ganz leise, aber ich hörte es. "Was? Magst du Foreigner etwa nicht?" Es blieb still auf der anderen Seite. "Ich glaub, ich leg gleich auf.", scherzte ich.

Er seufzte. "War ja klar, dass du dir gerade die Band aussuchst, mit der ich auf der Kippe stehe. Es ist nicht so, das ich sie nicht mag, ich finde nur manche Lieder von ihnen einfach..scheiße."

Ich war schockiert, und fühlte mich fast persönlich beleidigt. Wie konnte man denn ein einziges Lied von Foreigner nicht mögen? "Welche denn bitteschön? Kein einziges Lied von ihnen ist scheiße!", verteidigte ich eine meiner Lieblingsbands. Daraufhin folgte eine Diskussion, bei der Ethan einfach nicht aufgeben wollte, obwohl meine Argumente einfach unschlagbar waren.

"Also, wenn dann würde ich Travis' Lieder nicht immer als gelungen bezeichnen.", versuchte ich eine Ableitung, denn wir waren wohl beide zu stur um aufzugeben. Sture Esel. "Nicht dein Ernst?", kam es nur von der anderen Seite. "Travis ist eine Legende."

"Also jetzt übertreibst du aber. Michael Jackson war eine Legende, ABBA vielleicht, aber Travis doch nicht.", Sagte ich abwertend. Aber ich mochte ihm tatsächlich nicht besonders. Bei Manchen Liedern bekam man Gänsehaut, aber es gab auch einige, die klangen so gecovert. Als ich Ethan das, zusammen mit den Namen von Beispielsongs erzählte, fand ich mich ziemlich überzeugend. "Hmm. Na gut. Es könnte sein das du zu einem kleinen Teil Recht hast. Aber nur zu einem winzigen.", hörte ich seine nachgebenden Worte. Innerlich tanzte ich währenddessen einen Freudentanz. Ich hatte doch Recht! Und es hatte Spaß gemacht mit ihm zu diskutieren. Mit einem Grinsen im Gesicht ließ ich mich rückwärts aufs Bett fallen. Das war unser Thema.

"Olivia! Wo bist du? Abendessen!", brüllte da plötzlich meine Mum die Treppe hinauf. Sie hatte in unsere Familie die klare Regel eingebracht, dass wir jeden Mittag und jeden Abend zusammen aßen, außer am Wochenende.

"Ich komme!", rief ich genervt zurück, denn ich wollte viel lieber weiter telefonieren. Ich hielt das Handy dabei von mir, aber dennoch hörte Ethan mich. "Wohin kommst du?", fragte er. "In unsere Küche. Meine Mum hat zum Abendessen gerufen. Sie ist streng bei sowas."

"Das kenn ich. Wer beim Mittagessen fehlt, muss Auto waschen und bekommt etliche Hausarbeiten aufs Auge gedrückt.", seufzte er. Ich lächelte. "Ich nehme an du hast schon öfters beim Mittagessen gefehlt?"
"Ein paar Mal.", gab er zu und ich hörte ihn auch grinsen.

Mit einem lauten "Olivia!", bereitete Mum der guten Laune ein Ende. "Ich muss jetzt auflegen, tut mir leid."

"Ist schon in Ordnung. Bis morgen, Liv!" Warum klang mein Name aus seinem Mund und mit seiner Stimme so toll?

"Ciao!", sagte ich noch und drückte dann auf die rote Taste.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

"Und er ist wirklich genauso krank und geistesgestört auf Musik wie du? Dein Seelenverwandter!", kreischte Sophie. Ich verdrehte die Augen. Sophie neigte ein wenig zur Übertreibung.

"Also so weit würde ich nicht gehen, aber es ist trotzdem toll. Und danke übrigens für das krank und geistesgestört!", gab ich zurück und ließ die Beine baumeln. Wir saßen gerade auf dem Schulhof auf unserer Mauer und sahen der Sonne beim aufgehen zu. Der Himmel war rosa, lila, orange und hellblau gestreift. Es war zwar noch frisch, aber mit Jacke durchaus aushaltbar und man hörte die Vögel zwitschern. Ich hätte um diese Uhrzeit zwar lieber geschlafen, aber anscheinend hatte es niemand für nötig gehalten uns mitzuteilen, dass die erste Stunde ausfällt.

Tja, und da sowas wahlweise immer mir passiert, und in dem Fall auch Sophie, waren wir doch tatsächlich zu früh (und die Betonung liegt auf zu FRÜH, nicht zu spät) in der Schule. Ich könnte kotzen, aber nach Hause fahren hatte sich nicht gelohnt. Also hatten wir die übrige Stunde zum quatschen genutzt und ich hatte Sophie auf den neusten Stand in Sachen Ethan gebracht.

"Ok dann eben musikverrückt! Passt dir das besser?"

"Ja musikverrückt passt mir, danke.", sagte ich und streckte ihr die Zunge raus, "Wie steht's eigentlich mit Colin?"

Sie seufzte. "Gut eigentlich. Wir schreiben immer noch, aber er hat bis jetzt noch nicht nach einem Treffen gefragt."

"Na dann frag du ihn doch!" Ihre großen Augen ließen mich auflachen. "Selbst ist die Frau, meine Liebe! Du kannst es doch einfach selbst machen, anstatt ewig zu warten." Jetzt schien sie meinen Vorschlag gar nicht mehr so blöd finden. "Ich denk drüber nach.", sagte sie in Gedanken. Ich sah auf die Uhr und sprang dann auf.

"Wir müssen los Soph!" Schwerfällig ließ sie sich von der Mauer gleiten. "Was bist du denn plötzlich so enthusiastisch drauf?", fragte sie mich dann verwirrt.

Ich grinste von einem Ohr zum anderen. "Nach dieser Stunde treffe ich Ethan! Das heißt, umso schneller wir da sind, umso schneller ist die Stunde vorbei und ich sehe ihn!" Total glücklich mit meiner unschlagbaren Logik, hackte ich mich bei Sophie ein und zog sie über den Hof zum Klassenzimmer.

Closer to youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt