Kapitel 62

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Meine Gedanken waren nicht dort, wo sie hätten sein sollen, nämlich beim Matheunterricht, in dem ich momentan saß. Inzwischen war trotz meiner ständigen Blicke auf die Uhr gerade mal die Hälfte der Stunde vergangen und der Minutenzeiger kroch nur so dahin.

Wer war denn auch auf die Idee gekommen, einen Tag mit einer Doppelstunde Mathe zu beginnen? Das konnte ja nur schief gehen. Vom Thema der Stunde bekam ich nichts mit, und ich konnte nicht mal mehr mit Ethan über unsere Lehrerin lästern.

Durch meinen Platz neben meinem Freund war ich heute Morgen praktischerweise mit Kaffee überrascht worden, und hatte mich wirklich gefreut. Wenn wir zusammen waren, fiel es mir so leicht normal zu sein, denn ich hatte trotz Sophies Befehl nicht mit ihm über meinen Exfreund geredet.

Der Gedanke war so schnell zurückgeschoben, wie er gekommen war und ich verschob das Gespräch auf später- wie immer.

Nachdem Ethan und ich die Mathestunde mit Witzen über unsere Lehrerin begonnen hatten, ging es mir auch durch den Kaffee direkt besser. Als besagte Lehrerin uns jedoch verwarnte, weil wir zu viel redeten und mit Strafen und Nachsitzen drohte, unterließen wir unser Geschwätz, auch weil sie uns nicht mehr aus den Augen ließ. Und ich wusste, Schüler wie uns, die sie überhaupt nicht leiden konnte, ließ sie liebend gern schon beim kleinsten Gerede nachsitzen.

Also war ich wieder in meinen Kopf und meine Gedankenwelt getaucht, da ich keine andere Unterhaltung hatte und starrte aus dem Fenster.

Doch etwas später spürte ich eine Hand auf meinem Knie, die dort abwartend kurz verweilte und sich dann in kleinen Kreisen und mit Druck nach unten bewegte. Ethan grinste versaut und zwinkerte mir zu, während ich, verblüfft, mich nicht mehr rührte. Mir wurde innerlich warm und immer heißer.

Außerdem trieb er meine Gedanken ins Leere, ich konnte nicht mehr klar oder an irgendetwas denken, und war ausnahmsweise weder besorgt noch grüblerisch, sondern meine Gedanken drehten sich nur darum, wie sehr ich ihn liebte und wie sehr ich ihn wollte.

Als es dann aber zu weit ging, schließlich waren wir ja im Unterricht zischte ich so leise wie möglich "Ethan!" und sah ihn warnend an. Mit einem verschmitzten Lächeln fuhr er mit seiner Hand wieder nach oben, und beobachtete mein bestimmt knallrotes Gesicht, bis sie auf meinem Oberschenkel liegen blieb. Trotzdem spürte ich die Kreise, die sein Daumen zog und die Wärme seiner Hand ließen mein Bein und meinen Unterleib kribbeln. Das sorgte für genug Hormone, dass ich für eine Weile die Gedanken vergaß, die mich in letzter Zeit immer begleiteten.

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Was war ich nur für ein furchtbarer Mensch, der weder Mut noch Vertrauen hatte? Ich konnte mich einfach nicht überwinden, endlich mit Ethan zu reden, oder ihm zumindest zu sagen, dass wir reden mussten. Ich war einfach mit unserer Beziehung so zufrieden, dass ich sie um nichts in der Welt zerstören oder aus der Bahn werfen wollte. Und ich war absolut unsicher, wie Ethan reagieren würde, würde ich ihm von meiner dunkelsten Woche erzählen. Aber im Grunde war ich in einem Teufelskreis, früher oder später würde es rauskommen - und ich war mir dessen bewusst. Vielleicht versuchte ich es gerade deswegen so gut wie möglich zu vermeiden und zu verdrängen.

"Liv!", riss mich Sophie aus meinen Gedanken. "Hörst du überhaupt zu?"

Ich schreckte kurz auf, denn ich war schon wieder weggetreten gewesen. Nach einigen Sekunden der Orientierung, erinnerte ich mich daran, dass ich mit Sophie auf dem Pausenhof saß und sie mir soeben die Gästeliste meiner eigenen Geburtstagsparty vorlas.

"Nicht wirklich", gab ich zu und umarmte Hadley, die in diesem Moment auf mich zustürmte, Sophie auch umarmte und sich dann zu uns setzte. "Was ist los?", fragte sie dann und begann ihr belegtes Brötchen zu essen, während sie uns aufmerksam betrachtete.

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