Sollte ich oder nicht? Ihn einfach erheben und reinstecken ... Nein, ich konnte nicht.
So ging das jetzt bereits seit einer halben Ewigkeit. Ich stand währenddessen vorm Gemeinschaftsbriefkasten meiner Siedlung und war hin und her gerissen, ob ich den Brief in meiner Hand nun reinstecken sollte oder nicht. Glücklicherweise spielte das Spätfrühlingswetter mit und ließ mich nicht zum Eisklotz gefrieren.
Warum nicht? ... Weil du sonst zu enttäuscht wärst, wenn es nicht klappen würde. Und warum dann ja? ... Weil du blöd wärst, wenn du die einmalige Chance nicht nutzen würdest. Toll, meine innere Debatte brachte mich echt nicht weiter.
Der Brief in meiner Hand könnte meine gesamte Zukunft beeinflussen und mir Möglichkeiten eröffnen, von denen ich bisher nur geträumt hatte. Dumm nur, dass ich unter Zeitdruck stand, da der Unterricht in zwanzig Minuten begann, und ich mich so langsam aber sicher entscheiden müsste, wenn ich nicht zu spät zu Mr. Franklins Geschichtsunterricht kommen wollte.
Jedoch hatte meine innere Stimme recht: Wenn ich diesen Brief einwarf, dann würde ich mir Hoffnungen machen. Ich würde mir Hoffnungen machen, dass ich eine der wenigen Ausgewählten sein würde. Dabei war die Wahrscheinlichkeit dafür etwa eins zu fünfzigtausend. Die Variablen, dass sich hier für über eine Millionen hochintelligente Wissenschaftsfreaks, die ihren lieben langen Tag nichts anderes außer Chemie, Biologie und Physik im Kopf hatten, beworben hatten und davon nur etwa zwanzig Leute ausgewählt wurden, erhöhten meine Chancen nicht gerade. Warum sollte ich die tiefe Enttäuschung dann nicht umgehen? – Weil es immer Zufälle gab, denn das hier war kein La-place-Versuch.
Was in dem Brief stand, den ich in meinen Händen hielt? Ach, das war bloß eine Bewerbung für drei Auslandstrimester in London für fucking Oxford, einer der erstklassigsten Universitäten der ganzen Welt, im Fach angewandte Naturwissenschaften und Forschung. Jeder zukünftige Science Student träumte davon. Ja, dieser Beleg im Lebenslauf öffnete einem Türen zu überdurchschnittlicher Bekanntheit in der Wissenschaft. Manche Colleges nahmen einen sogar nur an, wenn man so etwas nachweisen konnte.
Blick auf die Uhr: Mist bloß noch eine viertel Stunde. Mach doch endlich. Warum war ich bloß so ein Schisser ... Einmal kurz durchatmen, Zweifel abschalten und Motorik aktivieren. Eins, zwei, drei und reinwerfen ... Ich hatte es getan, es gab nun kein Zurück mehr: Das Dokument lag im Briefkasten, würde beim täglichen Entleeren des Briefkastens von einem Postboten oder einer Postbotin zum Postsammelort gebracht werden, dann abgeschickt, mit dem Flugzeug über den Atlantik transportiert werden und schätzungsweise in fünf Tagen auf dem Schreibtisch des Auslandsschüler-Ausschlusses liegen. Puh, ein- und ausatmen. Ein und aus. Jetzt beweg dich endlich und steh hier nicht weiter rum wie bestellt und nicht abgeholt. Ja, ich hatte es verstanden, ich musste los.
Ich nahm mein Fahrrad und fuhr dann in Richtung Ingraham High School.
Gute sieben Minuten später schloss ich mein Fahrrad an und sprintete darauf in den Geschichtsraum. Völlig aus der Puste schwenkte ich mich auf meinen Platz. Puh, ich war echt bemerkbar unsportlich.
Obwohl es in drei Minuten klingelte, war ich immer noch nicht die Letzte. In den hintersten Reihen fixierte ich drei leere Tische an. Wie ich diese Typen hasste ... Es konnte allerdings auch sein, dass diese Bänke heute erneut leer blieben, angesichts dass Schwänzen zu einen der verachtenswerten Hobbys der normalerweise dort sitzenden Personen gehörte.
„Was hast du denn heute so lange gemacht, Harpi? Sonst bist du doch immer eine der Ersten im Raum." Zwei grüngraue Augen musterten mich sarkastisch. Ich steckte darauf nur leicht meine Zunge heraus. „Ich hatte noch etwas Wichtiges vor und das hat länger gedauert, als ich eingeplant hatte. Und hör auf, mich Harpi zu nennen, Cloe!" Ich visierte meine beste Freundin fordert an. Ich hasste es, wenn sie mich mit einem ihrer ausgedachten Spitznamen für mich wie Harpi ansprach. Außerdem wusste sie genau, wo ich gerade hergekommen war; ich hatte mit ihr gestern eine Stunde darüber diskutiert, ob meine Bewerbung so perfekt war und ob ich es überhaupt durchziehen sollte. Als ob sie vergessen hatte, wie sehr sie sich über meine Selbstzweifel in Bezug auf die Bewerbung beschwert hatte.
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Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten Blick
Teen FictionEine geekige Streberin und ein Fußball spielender Player. Normalerweise würden sich diese beiden Spezien nie in freier Wildbahn begegnen. Dumm nur, wenn das blöde Los entscheiden soll ... Das Streit vorprogrammierende Aufeinandertreffen zweier Welte...