6 Scheinbar einzige Gemeinsamkeit (Harper)

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„Katze, geh endlich runter von meinen Sachen, ich muss Schule machen!", schnauzte ich meine Katze Jerry an. Sie hatte sich mal wieder gemütlich quer über den auf meinem Schreibtisch liegenden Hausaufgaben ausgebreitet. Ich war zu faul, sie hochzuheben und aus meinem Zimmer zu tragen. Würde ich sie nur vom Schreibtisch herunterschubsen, dann lege sie zwei Minuten später wieder auf derselben Stelle. So versuchte ich es auf die nettere und bequemere Art: sie zu belabern, bis sie sich von alleine ihre Ruhe suchte.

Doch sie beachtete mich nicht und wälzte sich stattdessen lieber in meinen Unterlagen und beschmutzte diese nebenbei mit der Blumenerde des halben Gartens, das Souvenir ihres Rituals des Im-Blumenbeet-Herumrollens. Auf Eselsohren hätte ich ebenso liebend gern verzichten können.

„Katzenviech, entweder du entfernst dich jetzt von meinem Schreibtisch oder ich gehe ins Bad und bade dich, bis du keinen einzigen Fleck mehr an deinem Fell hast, den du einsauen kannst!", motzte ich sie wütend an. Sie schaute mich darauf nur treu-doof an und begann zu schnurren. Tja, entweder sie mochte es, beleidigt und bedroht zu werden, sie wollte mich provozieren und abwarten, ob ich meine Drohung tatsächlich bewahrte, oder verstand mich lediglich nicht.

Ich starrte sie entnervt an, verfiel jedoch immer mehr ihrem zum Dahinschmelzen süßen Blick. „Ach komm her, du weißt aber auch genau, wie du bekommst, was du willst", gab ich nach, nahm sie mir auf den Schoß und begann sie zu streicheln. Sie antwortete mir darauf mit einer erneuten Schnorreinheit.

Ja, solch ein Katzenblick wäre schon etwas Feines, damit könnte man jeden unter seine Kontrolle bringen, sodass dieser tat, was man von ihm verlangte – auch wenn man nur geknuddelt werden wollte.

So nervig Jerry auch war, sie war mein liebstes Plüschtier und gehörte für mich zur Familie: Wir hatten sie vor etwa zwölf Jahren gekauft. Damals wurde sie uns von der Züchterin eigentlich als Kater verkauft, was den eher maskulinen Namen erklärte, zu Hause hatten wir dann erst bemerkt, dass sie eigentlich eine Katze war, aber der Name blieb trotzdem beständig. Das war ein Jahr, nachdem er gegangen war ... Mom wollte damals einen Mann in Form eines Katers im Haus haben. Daraus wurde jedoch nichts, als sich der Jerry als die Jerry entpuppte, und seitdem waren wir eine unzertrennliche Frauendreier-WG.

Ring, ring, ..., klingelte es plötzlich an der Tür, worauf Jerry kurz hochschreckte, nach der Erkenntnis, dass keine Gefahr lauerte, es sich allerdings wieder auf meinem Schoß gemütlich machte.

Klar, eigentlich hatte ich Ethan ein Facharbeitstreffen aufdiktiert, nach seinem entnervten Abgang hatte ich jedoch nicht damit gerechnet, dass er wirklich kam. Viel mehr hatte ich vermutet, er bockte herum und ignorierte mich rein aus Protest, bis ich angekrochen kam, um mich bei ihm zu entschuldigen. Zumindest seine übliche viertel Stunde Verspätung war ein Indiz dafür, dass er wirklich derjenige war, der eben an der Tür geklingelt hatte.

In der Schule hatte wir uns gegenseitig null Beachtung geschenkt – wie wir es in den anderen Jahren ohnehin immer getan hatten. Meine gemeine Seite hoffte ja inständig, Ethan weigerte sich irgendwann freiwillig, weiter mit mir zu arbeiten, auch wenn er deshalb sicher ein F auf die Facharbeit bekommen würde – wäre ihm aber sicher in Anbetracht seiner restlichen Noten schnurzpiepegal.

Ich setzte Jerry von meinem Schoß, was ihr gar nicht gefiel und sie deshalb vorerst in einem quiekenden Genöle ausbrach. Nachdem sie sich lautstark beschwert hatte, machte sie sich bereit, ihr Schläfchen auf dem vorherigen Platz, auf meinem Schreibtisch, fortzusetzen. Katze müsste man sein: Das einzige Problem war, wenn man beim Schlafen gestört wurde ...

Apropos Probleme, da war ja noch die Person an der Tür.

Ich sprintete die Treppe hinunter und öffnete ruckartig die Tür.

Ethan, wer hätte es geahnt. Ich wollte ihn schmoren lassen, bis er sich selbstständig für seine Verspätung und Abgang, nachdem er mich beleidigt hatte, entschuldigte, sodass ich ihn vorerst bloß emotionslos musterte.

„Wenn du denkst, ich entschuldige mich, weil ich zu spät bin, dann hast du dich geschnitten. Du kannst froh sein, dass ich überhaupt gekommen bin", erwiderte er energisch, währenddessen er schon wie selbst verständlich in mein Haus eintrat.

Naja, das hatte leider nicht so funktioniert, wie ich es mir erhofft hatte ... War ja auch egal, Hauptsache er war hier und wir konnten weiter an der Facharbeit arbeiten.

Er betrat vor mir das Zimmer und schmiss sich darauf chillig auf meine Schlafcouch. Hatte ich irgendetwas verpasst oder warum verhielt er sich so, als wäre das sein zu Hause?

Meinen bissigen Kommentar ließ ich stecken, da ich nicht schon wieder einen Streit anzetteln und endlich mal vorankommen wollte. Stattdessen setzte ich mich stillschweigend im Schneidersitz auf meinen Teppich.

„Und, hast du die Unterlagen durchgearbeitet, die ich dir gegeben habe?"

„Nicht wirklich ... Ich habe schon auf der ersten Seite die Hälfte der Wörter nicht verstanden, habe es dann aufgegeben und nicht noch mehr sinnlose Zeit vergeudet", offenbarte er mir augenverdrehend. Noch nie etwas von einem Wörterbuch gehört? Manchmal fragte ich mich wirklich, ob er jemals ein Buch in der Hand gehabt hatte.

„Kannst du das nicht einfach alles alleine machen? Ich checke das eh nicht, bin wahrscheinlich zu dämlich und habe ohnehin keinen Bock darauf", flehte er mich geradezu an. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Ich glaube, dafür war sein Gehirn schon zu sehr infiziert.

„Glaube mir, ich will die Facharbeit mindestens genauso ungern mit dir zusammen machen wie du mit mir. Aber jeder muss etwas daran machen", bedauerte ich.

„Hä warum? Ist doch unsere Sache, wer was macht?", fragte er mich darauf irritiert.

„Weil mir Mr. Franklin dies verklickert hat, als ich nach der Stunde zu ihm gegangen bin", klärte ich ihn über meinen gescheiterten Rettungsversuch auf.

„Du bist extra zu Mr. Franklin gegangen, weil du nicht mit mir arbeiten wolltest?"

„Ja, ich habe gehofft, mit jemandem den Partner tauschen zu können, und dazu hätte sich sicher auch ein zu verachtendes dich anschmachtendes Mädchen bereiterklärt, allerdings war er der Meinung: Das Los hat so entschieden, Miss Nickelson, Sie sind schlau und werden schon mit ihm zurechtkommen. Wenn er das bei mir dulde, dann müsste er das auch bei den anderen machen", äffte ich Mr. Franklins Klugscheißerstimme erneut nach. „Und ja, er hat mir auch gedroht, extra darauf zu achten, dass ich nicht alles allein erarbeitet habe."

„Der hat aber auch wirklich einen an der Klatsche", kommentierte Ethan leicht grinsend.

„Stimmt, der ist sicher auch nur Lehrer geworden, weil er sonst nichts mit sich anzufangen wusste ..."

„... Oder weil er endlich mal etwas zu sagen haben wollte ... Ist ihm nur leider nicht geglückt, denn ich kenne keinen Schüler, der ihn respektiert oder zumindest nicht nur als kleinen, spießigen Harry Potter Zwerg ansieht", amüsierte er sich und brach in Gelächter aus, worauf ich bei meinem gerade erzeugten Kopfkino ebenfalls in ein quietschendes Prusten ausbrach.

Es war mehr als offensichtlich, dass Ethan und ich Mr. Franklin beide nicht leiden konnten. Da hattet ihr ja mal eine Gemeinsamkeit. Irgh, ich etwas gemeinsam haben mit Spackoethan ... Die einzige Meinungsübereinstimmung war zwischen uns immer gewesen, dass wir uns gegenseitig nicht hatten leiden können ... Pardon, ohne hatten.

„Willst du etwas essen oder trinken? Wenn ja würde ich uns einen kleinen Snack holen." Dies war vorerst zumindest stückweise als Friedensangebot gemeint.

Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt