„Wovor hast du Angst?", nahm er mich eindringlich in die Mangel.
Davor, erneut enttäuscht zu werden. Davor, erneut verletzt zu werden. Davor, erneut zerstört zu werden.
Jedoch antwortete ich nichts. Nicht einmal in seine Augen gucken konnte ich noch. Warum hatte er nicht einfach gehen können und mich stattdessen mit dieser Frage nochmals in Bedrängnis gebracht? Er gab nicht auf, ich konnte ihn nicht erneut abschütteln. Sein standhafter Blick sprach Bände, deshalb drückte ich mich vom Stuhl und wendete meinen Kopf zur Tür, bereit, jeden Augenblick wegzurennen.
Vor Gefühlen kann man nicht wegrennen. – Aber vor einer Konfrontation mit ihnen.
Was war wohl der Grund gewesen, weshalb ich ihm seit unserem letzten Treffen aus dem Weg gegangen war? Insgeheim hatte ich gehofft, mit ein wenig Abstand würden sich diese seltsamen Gefühle in Luft auflösen – oder mich zumindest nicht jedes Mal derartig einnehmen, wenn ich bloß seinen Namen hörte oder seine Stimme im Unterricht vernahm, nicht dass es bisher im Geringsten Fortschritte verzeichnet hatte. Beim Sciencwettbewerb hatte es lediglich den Blick auf eine Chemikalienflasche mit C2H6 benötigt, um schon wieder an ihn denken zu müssen; statt des Experimentaufbaus hatte ich ihn mit seinem höhnischen Grinsen und seinen in den Bann ziehenden eisblauen Augen vor mir gesehen. Glücklicherweise hatte Miles mein Tagträumen bemerkt und mich vorzeitig daraus befreit, indem er mich in die Realität, sich inmitten eines elementaren Wettbewerbs für unseren Club sowie meinen Lebenslauf zu befinden, zurückgeholte. Trotz meiner unverzeihlichen mangelnden Konzentration hatten wir gewonnen. Trotzdem durfte ich mir derartiges nicht leisten. Wenn allein das Alkan Ethan genügte, mich derartig aus dem Konzept zu bringen, dann war die Krankheit wohl doch schwerwiegender als gedacht ...
Verdammt, an allem war ausschließlich diese beschissene Geschichtsfacharbeit schuld. Ich hätte lediglich noch eine Woche aushalten müssen, dann war das Projekt gelaufen und dann würde ich nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Wir würden aneinander vorbeileben, wie wir es sonst auch immer getan hatten, und diese nerv tötenden Flattertierchen in meinem Bauch hörten auf, bei seinem Anblick im Takt von Schnulzenliedern zu tanzen. Aber nein, genau mit diesen verwirrenden Gefühlen musste er mich jetzt konfrontieren. Was konnte ich anderes tun, als meinem Fluchtinstinkt nachzugehen?
Ethan checkte sofort, was ich vorhatte, und hielt mich deshalb behutsam fest, dennoch so stark, dass ich mich nicht befreien konnte und ihm unausweichlich in die Augen blicken musste. Warum mussten mich diese Augen bloß dermaßen hypnotisieren?
Mit beibehaltendem Augenkontakt bewegte sich sein Gesicht immer näher auf meines drauf zu. „Dann sag mir, dass dir das hier nichts bedeutet. Dass dies nichts in dir auslöst", wisperte er fünf Zentimeter vor meinen Lippen.
Das konnte ich nicht: sein einnehmender Duft, sein makelloses Gesicht mit den strahlend eisblauen Augen, sein warmer, wohltuender Atem und seine samtweichen Lippen. – Ich konnte nicht lügen, sodass ich erneut nichts entgegnete, um ihm erst recht nicht zuzustimmen.
Vor allem bemerkte ich nicht, wie sich mein Hals, mein Kopf und meine Lippen – mein gesamter Körper selbstständig machte und die verbliebenen Zentimeter zwischen uns überwand.
Der Kuss löste in mir Kribbeln, Verlangen, Sehnsucht und Vollkommenheit aus – besonders allerdings die Erkenntnis, mich nicht gegen diese erdrückenden Gefühle wehren zu können: Unwiderruflich, unbestreitbar und verloren hatte ich mich in Ethan Cooper verliebt. Ja, ich hatte mich in ihn verguckt, verschossen, bis über beide Ohren verknallt. So viele Ausdrücke gab es für dieses Gefühlchaos, dennoch konnte ich es nicht in Worte fassen.
Plötzlich lösten sich seine Lippen von meinen, worauf ich gierig nach meiner persönlichen Droge schnappte.
Nach der erniedrigenden Einsicht, dass sie nicht mehr in meiner Reichweite war, fixierte ich seine amüsiert, dennoch glücklich strahlenden Augen.
„Was willst du jetzt von mir hören? Ja, ich habe Angst. Ja, ich habe etwas gefühlt. Und ja, ich habe mich in dich verliebt", patzte ich ihn gereizt von seinem kalten Entzug an.
„Ja." Er grinste mich breit an. Sein verschmitztes Lächeln ließ beinahe meine wütende und selbstsichere Haltung einknicken. Okay, er schaffte es: Ihn, wie ein Kind Süßigkeiten anstarrte, zu betrachten und am ganzen Körper vor Aufregung zu zittern, hätte man wohl kaum als „selbstsicher" bezeichnen können.
„Wie stellst du dir das vor?" Ich deutete auf uns beide. „Wie soll das weitergehen? Deine Freunde werden dich verstoßen, wenn sie erfahren, dass du mit einem unbeliebten Nerd zusammen bist. Und meine Freunde werden mich nicht mehr respektieren, wenn ich mit einem triebgesteuerten Neandertaler eine Beziehung führe." Ganz besonders dachte ich dabei an Cloe: Sie würde mir nie verzeihen, so abrupt von der Seite vom Wir-hassen-Ethan-Club zu der der Ethanzombietruppe gewechselt zu haben. Immer wieder hatten wir uns über die erbärmlichen, Ethan anschmachtenden Mädchen mit ihren mehr als durchgedrehten Aktionen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, lustig gemacht. Ständig hatten wir über seine Dummheit, sein Machosein und generell falschgeratenes Verhalten die Augen verdreht.
Sie würde mich hassen, wenn sie dies erfuhr – wenn sie dann überhaupt noch mit mir redete. Meine beste Freundin durfte ich unter keinen Umständen verlieren ...
Allerdings verstand ich es ja selbst nicht: Vor wenigen Wochen hatte ich diesen selbstverliebten, frauenfeindlichen, völlig falsch geratenen Typen noch abgrundtief verachtet – und jetzt konnte ich nicht aufhören, an ihn zu denken.
„Keine Ahnung", offenbarte er. Super, da waren wir ja schon einmal zwei. „Jedoch weiß ich, dass ich dir um jeden Preis nah sein will. Vielleicht zerstört es mich, mit dir zusammen zu sein, aber erst recht, wenn ich dir fernbleiben muss."
Wow. Wow, er würde für mich seinen hohen sozialen Rang aufgeben. Ich bedeutete ihm so viel, dass er sich vor der gesamten Highschool bloßstellen lassen würde. – Doch war ich dafür bereit?
Intuitiv kam mir ein genialer Geistesblitz: „Was ist, wenn wir beides haben können: eine Beziehung und unsere Highschool-Hierarchie? Wenn wir unsere Beziehung geheim halten."
„Du meinst eine Affäre?", fragte er mich dreckig grinsend.
„Ich würde es eher als „geheime Beziehung" bezeichnen, aber wie du willst."
„Ja", antwortete er ernst und überzeugt.
Erneut fixierte ich ihn und konnte nicht anders, als in ein Dauergrinsen zu verfallen.
„Das sind wir jetzt wohl offiziell inoffiziell ein Paar", scherzte er und begann darauf, mir meine Droge zurückzugeben.
Erneut spürte ich dieses mich voll und ganz einnehmende Kribbeln und die Schmetterlinge, die in meinem Bauch im Rhythmus von Heavy-Metall-Musik tanzten. Wieder einmal atmete ich diesen unglaublichen Geruch ein. Etwa achtzig Prozent der Jungen besaßen dieses Deo, dennoch machte mich nur der Geruch seines gepaart mit seinem eigenen wirr im Kopf.
Ich wusste nicht, wie es funktionieren sollte, jedoch wusste ich eins: Meine Droge ließ ich mir so schnell nicht mehr entziehen.
Hi, hier das nächste Kapitel. Ich weiß, ich habt euch das sicher anders vorgestellt - nicht unbedingt mit einer geheimen Beziehung, allerdings sind beide sehr darauf fixiert, was andere von ihnen halten - und ich will es den beiden nicht so leicht machen.
Heute mal eine Frage zur Story: Wer ist bisher euer Lieblingscharakter?
Ich persönlich mag am liebsten Cloe und Jerry (ich weiß, sie ist eine Katze, aber ich habe extra "Charakter" statt "Person" geschrieben^^).
Apropos, beim Überarbeiten ist mir aufgefallen, dass ich viele Charaktere vom Aussehen her gar nicht beschrieben habe, was ich schleunigst verbessern werde (in den einzelnen Kapiteln). Dazu noch eine Frage: Wollt ihr eine Besetzung oder zumindest vorerst Bilder von den Charas, wie ich sie mir vorstelle? Wenn ja, werde ich sie als Titelbild in den einzelnen Kapiteln nehmen.
P. s.: Ist euch das Easteregg mit "Ethan" aufgefallen?^^
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Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten Blick
Teen FictionEine geekige Streberin und ein Fußball spielender Player. Normalerweise würden sich diese beiden Spezien nie in freier Wildbahn begegnen. Dumm nur, wenn das blöde Los entscheiden soll ... Das Streit vorprogrammierende Aufeinandertreffen zweier Welte...