4 Stolzer Streber? (Ethan)

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Pünktlich um fünf stand ich vor der besagten Adresse und drückte die Klingel.

Ein wenig später wurde mir die Tür von einer kleinen, zierlichen Persönlichkeit geöffnet, sodass ich meinen Blick nach unten richten musste, um ihr in die Augen zu schauen.

„Du bist pünktlich?", wunderte sie sich sichtlich, wobei sie ihr Gesicht wie ein Backenhörnchen mit vollgestopften Backen verzog.

„Ja, ich hatte eh nichts Besseres zu tun", wehrte ich ab. Ich war sicher nicht wegen ihrer Drohung pünktlich gekommen ...

Nachdem mich Abigail nach dem Unterricht doch noch abgefangen hatte, war ich mit ihr im Anschluss kurz bei ihr zu Hause gewesen ... Als wir fertig waren, hatte ich mich zunächst nach Hause verzogen. Meine Kumpels hatten alle mit einem für sie untypischen Elan ihre Facharbeit begonnen. Da mir zu Hause fast die Decke auf den Kopf gefallen wäre, weil nichts im TV lief und heute niemand wirklich Zeit hatte, keinen besonderen Grund gehabt, extra zu spät zu kommen – außer vielleicht, um ihr zu beweisen, dass sie mir nichts zu sagen hatte ...

„Schade", bedauerte sie, worauf ich sie nur fragend musterte. „Der Frauenwelt hätte es besser getan ..." Haha, wie witzig.

Sie deutete mir reinzukommen. Ich folgte ihr durch den Flur, eine Treppe hinauf, dann blieb sie vor einem Raum stehen und öffnete dessen Tür.

„Hä, das ist dein Zimmer", verdutzte ich, als ich mit meinem kritischen Blick durch das Zimmer streifte: Der Raum war in Blautönen und weiß gehalten. Statt eines Bettes stand eine graue, mit tausenden Kissen besetzte Schlafcouch. An der Wand hing ein Flachbildfernseher, unter dem etliche Filme aufgereiht waren. Die Anzahl der Bücher beschränkte sich dagegen auf ein kleines Regal neben ihrem Schreibtisch. Mal so gar nicht, was ich mir bei Nerdi vorgestellt hätte.

„Ja, was hast du erwartet?", blaffte sie mich ungläubig an.

„Keine Ahnung. Ein typisches Streberzimmer halt: in Beige- bis Brauntönen gehalten, nicht viele Möbel, dafür aber altmodische Antiquitäten, keine technischen Geräte und überall so viele Bücher verteilt, wie in einer öffentlichen Bibliothek stehen", antwortete ich leicht sarkastisch.

„Wow, überhaupt nicht klischeehaft. Wie schätzt du mich eigentlich ein? Ich würde mir dein Zimmer auch nicht wie eine Nachbildung vom Spaßraum in Fifty Shades of Grey vorstellen!" Na toll, das würde ja super werden, wenn sie gleich alles so ernstnahm und keinen Spaß verstand. Warum musste ich auch das Los gezogen haben, zusammen mit der Spaßbremse aller Spaßbremsen die Facharbeit zu schreiben?

„Dann fangen wir mal an ... Was hast du bisher herausgesucht oder hast du schon Vorstellungen?", lenkte sie wieder auf den eigentlichen Grund, warum ich bei ihr war: die verdammte Facharbeit.

„Was für Vorbereitungen? Sollte ich irgendetwas mitbringen?", fragte ich sie entgeistert. Wir hatten heute erst das Thema bekommen, hatten noch vier Wochen Zeit, da fing ich jetzt doch noch nicht damit an ...

Sie rollte die Augen abbröckelnd: „Nein, ich wollte mich nur einfach mal so mit dir treffen und quatschen, obwohl wir noch keine Informationsquellen haben ... Natürlich solltest du etwas mitbringen." Schon wieder blickte sie mich so herablassend an.

Dieses Mädel ging mir echt so richtig auf den Sack: Sie war anscheinend die Einzige ohne gesunden Respekt vor mir und meinte, so mit mir umspringen zu können.

„Ist jetzt ja ohnehin zu spät. Bloß gut, dass ich fürs Erste schon einmal was herausgesucht habe." Sie holte einen riesigen Bücher- und Papierstapel hinter sich hervor. Unter „ein bisschen" verstand ich persönlich etwas anderes ...

„Du hast aber auch nichts Besseres zu tun, Nerdi, oder?", verspottete ich sie offen.

„Nenn mich ruhig so. Ich stehe dazu, dass ich ein Streber bin", konterte sie selbstbewusst.

„Als ob du darauf stolz bist. Was soll positiv an einem Nerd sein?", fragte ich sie verständnislos. Nerd und cool kam nur zusammen in einem Satz vor, wenn sich das Wort nicht dazwischen schlich.

„Was ist schlimm daran, ein Streber zu sein? Es ist nicht so, dass ich kein Privatleben hätte und immer mit aller Gewalt besser sein will, als alle anderen. Ich möchte einfach nur mein Bestes geben und bin ehrgeizig genug, an meinem Ziel festzuhalten. Mir ist es egal, was andere von mir halten oder ob sie über mich lästern. Ich lerne, weil mich der Stoff interessiert und weil ich damit den Grundstein für meine ausgemalte Zukunft lege. Erklär mit bitte, was daran so verwerflich ist!", argumentierte sie aufgebracht. Keep calm, Erdmännchen! Ich hatte echt Angst, dass sie mich jeden Moment ansprang.

„Streber stehen in der Nahrungskette ganz unten, während wir Sportler uns in den oberen Bereichen bewegen", klärte ich sie über das oberste Gesetz der High School auf, da sie offensichtlich zu naiv war, dieses zu checken.

„In der High School vielleicht, aber im späteren Leben bringt dich das auch nicht weiter: Die Intelligenten scheffeln dann das Geld, während die High School Könige dem Höhepunkt ihres sozialen Lebens hinterhertrauern. Während mein Leben bald erst anfängt, ist es für euch doch bald vorbei", behauptete sie dreist. Auch wenn man keine Mädchen schlug, hatte ich in diesem Moment doch das dringende Bedürfnis, ihr eine zu verpassen.

Ich kam einfach nicht gegen sie an. Ich hatte nie zuvor einen solchen Sturkopf gesehen. Ihre Ansichten waren einfach zu durchgedreht: Stolz darauf, ein Streber zu sein und von allen gemobbt zu werden ... Und dann kam noch dazu, dass sie mich am Stück immer wieder beleidigte. Ich ließ mich von niemandem schikanieren.

„Egal, dann hätten wir das ja jetzt auch geklärt, dann lass und schnell anfangen, umso eher bin ich dich wieder los." Endlich waren wir mal einer Meinung. Es würde mir eine solche Genugtuung sein, wenn ich drei Kreuze an die Facharbeit machen könnte. Auch wenn ich bis dahin nicht garantieren konnte, nicht irgendwann zu Mr. Franklin zu gehen und lieber durchzufallen, anstatt weiter mit ihr zu arbeiten. Ich ersehnte jetzt schon das Ende und machte mir über andere Auswegmöglichkeiten Gedanken. – Das erklärte doch alles: Nerdi war unerträglich und ich war das arme Opfer, das die Zusammenarbeit mit ihr überleben musste.

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Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt