19 Zwischen den Fronten (Ethan)

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Weiblich, Miniongröße, Strubbelmähne, Teddybäraugen und wahrscheinlich mit einem Buch in der Hand – auf diese Kriterien durchsuchte ich jede Person, die mir im Schulflur über den Weg lief, während Taylor und ich den Ausgang des Gefängnisses ansteuerten.

„Suchst du was?", hinterfragte Taylor meine seltsamen Blicke.

„Nop", log ich mehr oder weniger – obwohl, theoretisch hoffte ich nur, diesen gewissen jemand abzufangen.

Klein, weiblich und Löwenmähne, jedoch grüne Augen ... Nicht die gesuchte Person. Braune Augen, gelockte Haare, allerdings eher die Größe eines Models als die eines Zwergs ...

Als ich schon die Hoffnung aufgeben wollte, erblickte ich sie. Wie vermutet lehnte sie an ihrem Spind mit einem fetten Wälzer in der Hand. Man sagte zwar, dass Mädchen multitasking-fähig wären, aber lesen und Spind einräumen gleichzeitig?

„Wir sehen uns", verabschiedete ich mich kurzerhand von Taylor, um besagte Person zu erreichen, bevor sie mich bemerkte und somit flüchtete.

„Hi, Erdmännchen." Für den Überraschungsmoment hatte ich mich hinter der geöffneten Schließfachtür versteckt. War ja nicht so, dass deine Beine auffielen ...

„Was willst du?" Sie verdrehte entnervt die Augen und schloss synchron ihren Spind.

Schade, hätte gedacht, diese Phase hatten wir überwunden.

„Auch schön, dich zu sehen", entgegnete ich so arschkriecherisch wie möglich inklusive eines übertriebenen Grinsens.

Kurz sah ich etwas in ihren Augen aufblitzen, das sich jedoch sofort in ein emotionsloses Pokerface umwandelte.

Erneut ergriff ich das Wort: „Wenn du heute nichts vorhast – da bin ich mir allerdings sicher, weil morgen Projekttag ist, somit keine Hausaufgaben zu machen sind und du nicht lernen musst und du sonst eh nichts Besseres zu tun hast, außer vielleicht lesen –, schlage ich dir einen neuen Teil der Wette vor!" Hatte sie überhaupt andere Hobbys als Herumstrebern und Bücherwurmsein?

Erst musterte sie mich bloß abwertend, dann deutete sie mir jedoch fortzufahren.

„Heute läuft das Champions League Finale, das live aus Europa übertragen wird und du mit mir anschauen wirst", offenbarte ich ihr mit einem versteiften Million-Dollar-Lächeln. Wollte ich sie bloß deshalb zum Fußballgucken zwingen, um sie genauso wie sie mich mit der Buchclubsache zu quälen? Gerade wenn es sie doppelt belästigte, da sie jeder Moment an ihren ausgebüchsten Vater erinnerte? Wahrscheinlich war nur noch ein kleiner Teil meiner Motivation, sie zu ärgern, vielmehr wollte ich sie davon überzeugen, dass die Leidenschaft für Fußball nicht von „neandertaliger Dummheit und schwanzgesteuerten Egoismus" abhing, wie sie es beschreiben würde. Fußball war mein Leben und aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen wollte ich, dass sie ihm wenigstens eine Chance gab ...

„Wenn es unbedingt sein muss ..." Sie verdrehte erneut die Augen. „Wann soll ich bei dir sein?" Zumindest bei ihr wusste ich in solchen Momenten, weshalb sie zustimmte: den inneren Drang, nicht kleinbeizugeben sowie ihre Ehre zu bewahren, anders genannt: Ego.

„In einer halben Stunde beginnt das Spiel, deshalb bin ich heute mal so gnädig und lasse dich in meinem Auto mitfahren." Hatte schon viel Mädchen in meinem Auto mitgenommen, folglich würde keiner was reininterpretieren. Zudem konnte ich nur so beides haben: keine Sekunde des Matches verpassen und Nerdi dazu nötigen.

„Und was ist mit meinem Fahrrad?", patzte sie mich an, als wäre es hirnlos, so etwas auf-der-Hand-liegendes nicht zu berücksichtigen.

„Du hast einen Schlüssel für ein Fahrradschloss, auf unserem Schulhof gibt es Fahrradständer, von denen nur ganz selten Fahrräder geklaut werden und eventuell bin ich sogar so aufopfernd und fahre dich danach nach Hause", scherzte ich.

Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt