Wahlnacht

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Smith machte eine recht gute Figur und zeigte ein freundliches Lächeln, dass so gar nicht zu dem schmutzigen Stil passte, den er während seiner Kampagne an den Tag gelegt hatte. Er hatte wortreich auf Minderheiten eingedroschen, Feindschaft gesät und Bilder von Hass und Zwietracht aufgebaut, wo er nur konnte. Er hatte Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt, bis in einigen Teilen des Landes bürgerkriegsartige Zustände geherrscht hatten und es inzwischen sogar Tausende Tote gegeben hatte. Er hatte durch perfide – und größtenteils erfundene – Schmutzkampagnen manche seiner Gegenkandidaten und auch einige kiritische Journalisten und Menschenrechtler zum Selbstmord oder in die Psychatrie gebracht und jede dieser Tragödien euphorisch als Sieg gefeiert. Keine Spur von Reue. Keine Spur von Bedauern hatte er gezeigt. Er bezeichnete es schlicht als „Natürliche Auslese".

Sein Frauenbild war gelinde gesagt mittelalterlich. Er plante die Steuern für die Reichen zu senken und die Belastungen für die Ärmsten zu erhöhen. Immerhin hatten die Reichen ja bewiesen, dass sie ihr Geld verdienten, ansonsten hätten sie doch nicht so viel davon. Und die Armen sollten sich halt gegenseitig fressen, wenn sie nichts Anderes hatten. Das war – knapp zusammengefasst - Smiths Vorstellung von Sozialpolitik. Darüber hinaus stand er auf Waffen, Gewalt, totale Überwachung, Umweltverschmutzung und das Recht des Stärkeren. Menschenwürde war ihm weniger Wert als ein Blatt Toilettenpapier.

Trotzdem war er gewählt worden. Oder gerade deswegen. Selbst von jenen, die am meisten unter seinen Plänen leiden würden. Denn die Menschen hatten genug vom Abwägen und Überlegen, vom Taktieren und Einschätzen, von ellenlangen Debatten und Diskussionen. Sie wollten einfache Lösungen. Selbst dann, wenn sie eigentlich keine Probleme lösten oder sie sogar noch verschlimmerten. Hauptsache es sagte endlich wieder jemand, wo es lang geht.

Hinzu kam noch: Irgendwie schaffte es Smith, seinen Amtsvorgänger und seine Konkurrenten als noch schlimmer dazustellen und seine direkte und offen agressive Art brachte ihm viele viele Stimmen ein. Denn er sprach genau das aus, was ihm gerade durch den Kopf ging und scherte sich einen Dreck um Political Correctnes.

Das kam an. Denn seine Wähler hatten genug von gedrechselten diplomatischen Phrasen. Sie wollten jemanden, der offen seinen Trieben freien Lauf ließ und strebten nach Veränderung um jeden Preis. Nicht wenige von ihnen wollten aber einfach „Die Welt brennen sehen!" Sie wollten endlich aus ihrem verhasstem Trott heraus. Selbst wenn das nur durch den Untergang der Zivilisation zu bewerkstelligen war. Es war der Nihilismus der kleinen Leute.

Nun, jedenfalls war Smith gewählt worden. Es war knapp gewesen. Niemand hatte wirklich daran geglaubt. Aber nun stand er hier, ließ sich von seinen Anhängern feiern und sonnte sich im Ruhm, umgeben von seinem Wahlkampfteam und seinen engsten Vertrauten. Sein Kabinett bestand aus Generälen, Wirtschaftsbossen und Lobbyisten der Öl-, Kohle und Waffenindustrie. Auch darin zeigte sich, dass Smith die Antithese aller Weltverbesserer war. Bestenfalls wollte er die Welt für seine Anhänger verbessern. Im Grunde aber nur für sich selbst.

Ich hatte Smith nie gemocht. Mir wurde von seiner großspurigen Art übel und ich hätte mir in meinen kühnsten Alpträumen nicht vorstellen können, dass er einmal der Anführer unseres Landes werden würde. Entsprechend schockiert war ich, als ich die Bilder im Fernsehen sah.

Gewählt hatte ich dennoch nicht. Weder ihn noch einen Gegenkandidaten. Gestern war ich noch recht lang zusammen mit Carolin auf Michaelas Geburtstagsfeier gewesen, hatte ordentlich gebechert und hatte den Rest des Tages lieber im Bett verbracht, anstatt mich nach Draussen in die Kälte zu begeben und mich verkatert zur Wahlkabine zu schleppen. Ich hätte ohnehin nie für möglich gehalten, dass Smith wirklich gewählt werden würde. Es gab doch genug Stimmen, die vor ihm gewarnt hatten. Politiker, Journalisten, Prominente, sogar Vertreter der großen Kirchen. Und überhaupt musste es doch genügend vernünftige Leute geben, die jemand anderen wählen würden. Aber doch war es passiert. Und nun fühlte ich mich schuldig.

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