Lass uns Geburtstag feiern!

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Ich war gerade eingeschlafen, als es schon wieder anfing. Es begann mit einem Wimmern; leise aber unerträglich. Ich nahm mir ein Kissen und drückte es auf meine Ohren. Ich wollte das nicht mehr hören. Das Kissen dämpfte alle Geräusche und ließ das Wimmern, das immer lauter wurde, wie ein Gurgeln klingen.
Das Wimmern war nun zu einem Schreien geworden. Es brachte mich um den Verstand. Es wurde immer lauter, immer lauter. Ich wurde wahnsinnig, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich warf die Decke von mir und saß nun aufrecht auf dem Bett. Das Schreien wurde noch lauter, es schien so, als würden die Stimmbänder des kleinen Monsters bald reißen. Ich hielt mir die Ohren zu, doch es war vergeblich.
Nun fing auch ich an zu schreien. Es schien es nur noch anzustacheln noch lauter zu schreien. Herr Gott nochmal, wie laut will es noch schreien?
Ich stand auf und ging aus meinem Schlafzimmer. Es war überall dunkel. Das Zimmer, aus dem die Schreie kamen, war am Ende des Ganges. Langsam tastete ich mich vor. Mein Herzschlag wurde immer schneller. Ich war schon fast am Zimmer und wollte gerade die Tür aufreißen.
Halt. Was, wenn es mich angreift? Schnell ging ich in die Küche. Ich brauchte etwas um mich zu verteidigen. Nur für alle Fälle. Es schrie immer weiter. Es wollte einfach nicht aufhören. Schnell griff ich nach einer Schere. Ich ging wieder in den Gang und stand nun zum zweiten Mal vor der Tür.
Langsam griff ich nach der Türklinke. Ich umklammerte sie förmlich, meine Hände waren schon ganz schwit­zig. Hoffentlich würde mir die Schere nicht aus der Hand gleiten. Langsam öffnete ich die Tür.
Es schrie immer noch ununterbrochen. In mir stieg ein Hass auf. Ich hasste es. Jede Nacht raubte es mir den Schlaf. Ich tappte zum Bettchen. Das Mondlicht ließ mich leichte Umrisse erkennen. Wie eine Silhouette lag es also in diesem Bettchen, so klein, so zerbrechlich. Und doch konnte es lauter schreien als alles andere. Es war so hässlich.
Ich nahm es vorsichtig hoch und versuchte, es zu beruhigen. Doch es wollte einfach keine Ruhe geben. Das Schreien wurde unerträglich. Ich legte es wieder in das Bettchen und schrie es an: „Sei endlich leise! Halt einfach deine Klappe!“ Kurz hielt es inne. Endlich. Ich lockerte den Griff um die Schere.
Da fing es wieder an. Diesmal noch lauter, noch unerträglicher. Es reicht. Ich erhob die Hand und stach auf es ein. „Hör auf! Hör auf! Hör auf!“ Immer wieder stach ich zu. Bis das Schreien endlich aufhörte. Als bald auch endlich das leise Gurgeln verstummte, fiel ich zu Boden. Ich war am Ende meiner Kräfte.
Ich schlug die Augen auf und saß kerzengerade in meinem Bett. Schweißgebadet. Ich hatte nur geträumt, alles war gut. Doch das Schreien wollte kein Ende nehmen. Ich hielt mir die Ohren zu. Doch es half nichts, ich bemerkte das Vibrieren meiner Stimmbänder. Die Schreie kamen von mir selbst. Ich fasste mich und verstummte.
Ich wusste, was zu tun war. Dasselbe wie jedes Jahr. Es war Zeit, wieder einmal Geburtstag zu feiern. Da fing es wieder an. Es schrie schon wieder. Ich dachte mein Trommelfeld würde zerplatzen, wenn das so weiterginge. Hektisch streifte ich mir die warme Decke vom Körper und stand auf. Ich zog meine Schuhe an und nahm meine Autoschlüssel.
Langsam fuhr ich aus der Ausfahrt und folgte der Straße. Das Schreien erfüllte meinen ganzen Kopf, es schien als betäubte es alle meine Sinne. Es hörte nicht auf. Ich wollte die Augen schließen und mir die Ohren zuhalten. Doch ich musste mich konzentrieren. Ich würde bald da sein. Eine rote Ampel, ich fuhr weiter. Kein Mensch war jetzt noch wach, warum sollte ich also anhalten. Es hörte einfach nicht auf! Die Lichter der Straßenlaternen schienen in regelmäßigen Abständen in mein Auto. Ich fuhr um die letzte Kurve und hielt direkt vor dem alten Tor. Ich war da.
Ich stieg aus. Erst jetzt bemerkte ich wie bitterkalt es war. Ich bekam eine Gänsehaut. Immer noch hallten die Schreie in meinem Kopf. Es hörte nicht auf. Ich ging durch das alte und verrostete Tor und folgte dem Pfad. Es hörte nicht auf. Immer lauter. Immer lauter wurde es je näher ich kam. „Reihe 13 Nummer 7“, murmelte ich immer wieder vor mich hin. Ich zitterte. Es war so bitterkalt. Da war sie die besagte Reihe 13. Ich bog in die Reihe. „1...2...3...4...5...6“ Ich blieb stehen. Grab Nummer 7.
Blumen wurden hier schon lange keine mehr niedergelegt. Hätte ich welche mitbringen sollen? Wahrscheinlich. Immer noch verfolgten mich die Schreie unerträglich in meinem Kopf. Ich sah mir das Grab weiter an. Seit einem Jahr war ich nicht mehr hier. Ein kleiner Grabstein stand darauf. Mit der Inschrift „Marry Adams. 02.04.2013“. Das war vor einem Jahr. Heute wäre ihr 4. Geburtstag gewesen.
Das Geschrei wurde wieder lauter. Vor dem Grabstein saß ein kleiner Engel. Er hatte den Finger auf seine Lippen gelegt. Als wollte er zu verstehen geben man sollte leise sein. Wie ironisch. Fast hätte ich angefangen zu lachen. Ich glaubte, den Verstand zu verlieren. Es hörte einfach nicht auf, das Schreien. Ich hielt es nicht mehr aus. „Hör auf!“, schrie ich, „Sei endlich leise!“ Kurz hielt die Stimme inne.
Ich nahm die Hände von meinen Ohren. „Macht dir das etwa Spaß?“ schrie ich wütend dem Grab entgegen. Ein Lachen ertönte. Würde es nicht so hämisch klingen wäre es fast schön. Doch es war fast noch schlimmer als das Schreien. „Wirst du mir jemals verzeihen?!“ Mein Schreien wurde langsam immer leiser. Meine Stimme würde bald versagen. Das Lachen wurde noch lauter. „Du spielst mit mir.“ Wieder ertönte das Lachen. „Es tut mir leid!“ krächzte ich. „Es tut mir leid.“ Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
Das Lachen war verschwunden. Sie schwieg. Doch ich wusste, es würde nicht aufhören. „Lass uns Geburtstag feiern“, flüsterte sie. Wie aus Freude daran, mich um meinen Verstand zu bringen, fing sie wieder an zu schreien. So unvorstellbar laut hallte es in meinem Kopf von allen Wänden, als wäre ich eingeschlossen in einem Raum. Aus Angst, er würde platzen, presste ich wieder meine Hände gegen meine Ohren.
Ich sank auf die Knie. Ich war am Ende. Mit letzter Kraft schrie ich, ich schrie so laut ich konnte: „Hör endlich auf. Hör auf! Hör auf!“ Tränen liefen mir über die Wangen. Es gefiel ihr. Denn das Schreien wurde nicht nur noch lauter, sondern um einige Oktaven höher als es immerhin schon war.
So würde es für den Rest des Tages anhalten. Es war jedes Jahr das selbe. Jedes verdammte Jahr an diesem Tag. Sie spielte dieses Spiel seit jener Nacht. Sie würde es weiterspielen. Bis sie gewinnt.

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