Das Kronos-Projekt

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Die Geschichte die ich zu erzählen habe bewegt sich auf schmalem Grat zwischen Einbildung und Wirklichkeit, sodass ich nicht sagen kann ob sie nun wahr ist, oder nur eine unglückliche Verkettung von Ereignissen, die meine Fantasie in einen kausalen Zusammenhang gesetzt hat.
Auch kann ich nicht wirklich behaupten dass mir etwas Schlimmes widerfahren sei, was meinen gegenwärtigen Geisteszustand rechtfertigen könnte. Denn, vorsichtig formuliert, befinde ich mich, da ich diese Zeilen schreibe, in dauerhafter psychologischer Betreuung.
Bevor ich jedoch auf die Ereignisse eingehen will, die so schwerwiegende Folgen für mich hatten, möchte ich dem Leser versichern, dass ich kein leichtgläubiger Mensch bin. Überhaupt habe ich mit Glauben aller Art niemals viel zu schaffen gehabt. Ich bin im Gegenteil vielmehr ein Mensch der Wissenschaft. Jemand, der Fakten und Beweisen sein Vertrauen schenkt und Vernunft und Logik als treibende Kräfte des eigenen Handelns schätzt.
Wie sehr ich mich in diesem Punkt irrte - aber, ich schweife ab, denn es widerstrebt mir, die Gedanken auf dieses Ding zu richten, das ich am 15.03.2016 in dem Berliner U- Bahn Tunnel zwischen den Haltestellen Rathaus Steglitz und Schloßstraße sah.

Ich beginne mit dem Besuch einer Ausstellung, die den Titel „Jules Verne - das mechanische Corps" trug. Es war im letzten Jahr, so um den Sommeranfang, da lud ein ehemaliger Mitbewohner mich ein, mit ihm die besagte Ausstellung zu besuchen. Meine Leidenschaft für die Werke von Jules Verne war ihm bekannt, schließlich hatten wir mehrere Jahre zusammen gewohnt und eine solide Freundschaft verband uns seither.
Der Ausstellungsraum war nicht besonders groß und die meisten Exponate konnten mit einem flüchtigen Blick erfasst werden. So lief ich das erste Mal auch an jenem verabscheuungswürdigen Objekt vorbei, kehrte jedoch, nachdem ich meinen Rundgang beendet hatte, noch einmal zurück, um es genauer in Augenschein zu nehmen.
Hätte ich damals mein Augenmerk auf ein anderes Exponat gerichtet; ich bin sicher, dass ich heute noch im Besitz aller meiner geistigen Fähigkeiten wäre.

Der Künstler hatte einen beträchtlichen Teil seiner Energie in die geradezu fantasievolle Erfindung eines geschichtlichen Kontextes investiert, in welchen er sein Objekt einbettete.
Die Geschichte handelte von einem Experiment aus den 1920er Jahren, welches die Relativitätstheorie von Einstein mittels Versuch beweisen sollte. Da man sich in dieser Zeit außer Stande sah ein Objekt auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, wollte man den umgekehrten Effekt, die zeitliche Verlangsamung, anstreben.
Der Versuchsaufbau sah vor, dass mehrere Probanden eine gewisse Zeit in einem faradayschen Käfig verbringen würden und Wissenschaftler hinterher die gesammelten Erfahrungen dokumentierten.
Schwarz-Weiß-Fotografien von Testläufen mit Kaninchen sollten die Echtheit des Projektes belegen. Ebenso wie die vergilbten Portraits des wissenschaftlichen Teams, der Testprobanden und Geldgebern aus dem Militär.
Eine weitere Tafel zeigte den wissenschaftlichen-technischen Aufbau des faradayschen Käfigs, ein groteskes Gefährt, das ich nicht zu beschreiben vermag.
Die physikalische Komponente spielte sich im Quantenbereich ab. Eine Thematik zu der ich, auf Grund fehlenden Hintergrundwissens, keine Aussage machen kann. Ich kann lediglich wiedergeben, dass die Grundlage des Versuchs auf der Idee beruhte, einen massereichen Körper in eine langsame Schwingung zu versetzen, deren Bewegung näherungsweise null entsprach. Durch einen physikalischen Effekt sollten Interferenzen mit dem Higgs-Feld erzeugt werden, die zu einer lokalen Verkrümmung des Raum-Zeit-Kontinuums führen sollten.
Gern hätte ich hierzu die Meinung eines Experten gehört, aber es war mir nicht möglich - weder damals, noch heute - jemanden zu finden der in Quantenphysik bewandert ist.

Ich erinnere mich aber noch gut daran, wie ich vor dieser Tafel mit dem geschichtlichen Kontext stand und ein wenig schadenfroh daran dachte, dass es sicher Menschen geben würde, die auf die gut gestrickte Geschichte hereinfallen würden. Menschen, die leichtgläubig genug wären, um aus einer Handvoll alter Fotos den Schluss zu ziehen, dass dieses Exponat mehr war als ein aufwendiger Scherz.
Ich betrachtete auch das Ausstellungsstück selbst mit einer Mischung aus Belustigung und Arroganz. Es war handwerklich einwandfrei gestaltet, das musste ich wohl zugeben, doch gewisse Formen und mechanische Ausführungen verliehen dem Objekt etwas lächerlich Absurdes.
Einmal konnte ich mir nicht verkneifen mit der Hand eine der metallischen Oberflächen zu berühren, obwohl sich das, wie ich wohl weiß, in einem Museum nicht schickt. Aber der Zweifel nagte derart stark in mir, dass ich unter allen Umständen sicherstellen wollte, dass es sich bei diesem künstlerischen Werk um nichts anderes als eben ein Kunstwerk handelte. Eines, das durch gewissenhafte Planung in ein urbanes Mysterium eingebettet worden war.
Kurz, ich konnte weder einen offensichtlichen Fehler noch haltbare Beweise finden, die Einfluss auf die Echtheit der Geschichte gehabt hätten; und tat sie schließlich als gut erzählten Witz ab.

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