Neustart

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Der schönste Tag in meinem Leben. Beziehungsweise der danach. Die Hochzeitsreise hat begonnen. Monotone Motorengeräusche unterstreichen die kaum zu spürende Vibration, die mein Auto während der Fahrt zu empfinden gibt. An beiden Seiten der Autofenster ziehen senkrechte Reihen aus gleich aussehenden Baumreihen endlos an uns vorbei. Vereinzelte, andere Autos verfolgen ihre eigenen, ganz individuellen Reisen. Hoffentlich in ähnlich schöne Ziele wie bei uns.
Neben mir mischt sich das gleichmäßige Schlafatmen meines Geliebten zu den ruhigen Fahrtgeräuschen.
„Du bist so niedlich", hauche ich schmachtend in die Richtung meines schlafenden Frischvermählten. Die Spitzen seiner bräunlichen Haare hängen ihm schlaff ins Gesicht und bewegen sich im Zuge seiner Atmung gleichmäßig hin und her. Mein Blick gilt wieder dem scheinbar endlosen Straßenverlauf vor uns. Ich stelle mir gerade vor, dass ich just in diesem Augenblick eine behütende Funktion ausübe. Meine volle Aufmerksamkeit sorgt dafür, dass unsere Reise zum gebuchten Hotel sicher verläuft.
Mit einer Hand schalte ich den CD-Player des Autoradios an und werde mit dem Lied „Hiju de la luna" begrüßt. Ganzkörperlich wohlige Gänsehaut antwortet dem Lied augenblicklich.

„Landhaus Hotel Ruhepol – 5 km", lese ich leise vor und lege ein Lächeln auf mein Gesicht. Zu den sanften Klängen des wunderschönen Liedes leicht mitwippend, sorge ich durch die leichte Drehung des Lenkrades dafür, dass unser Auto in die Landstraße einfährt.
„Ich bin gespannt", mauschele ich vor mich hin, bevor mich die Hand meines Liebsten am Bein streichelt. Er ist wach.
„Habe ich dich geweckt, Schatz?", frage ich behutsam und lege eine meiner Hände auf die seine.
„Nein, alles gut", gähnt mein Liebster, Olli, seine Antwort und streichelt mit seinem Daumen meinen Handrücken.
Mein Blick, der fest geradeaus gerichtet geblieben ist, erblickt endlich ein wunderschönes, nach außen hin rustikal wirkendes Gebäude. Nur scheinbar lässt dieses Gemäuer den Gedanken an Jahrhunderte des Bestehens aufkeimen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Es wird offenbar regelmäßig saniert. Zumindest, sofern ich dies aus den Bildern über eben jenes Hotel in Erinnerung behalten habe.

Je näher wir unserem Ziel kommen, desto ungeduldiger rutsche ich auf dem Fahrersitz hin und her, getrieben von blanker Vorfreude.
„Es sieht fantastisch aus", murmelt mein Liebster begeistert. Durch meine Hand fährt ein Druckgefühl. Er ist mindestens genauso aufgeregt.
Es dauert keine fünf Minuten, da parke ich bereits das Auto auf dem kleinen Parkplatz direkt rechts neben unserem Zielort. Das aus dunklem, bräunlichen Gestein bestehende Hotel schließt an allen Seiten an einen tiefgrünen Wald an. Mehrere Trampelpfade führen direkt in das dichte Dickicht.
„Das ist echt was für dich, oder Liebling?", frage ich Olli zwinkernd. Er piekst mich amüsiert in die Hüfte und schultert gleich danach sowohl meine als auch seine eigene Reisetasche.

Das Innere unseres Hotels raubt uns buchstäblich den Atem. Allein die Empfangshalle gibt einen recht eindeutigen Vorgeschmack auf das, was uns noch auf positiver Ebene erwartet. Alles ist in warmen Brauntönen gehalten. Seien es die zahlreichen, fellartigen Teppiche, die beinahe nahtlos aneinandergereiht ausliegen. Die Landschaftsgemälde und Stillleben, die in perfekter Symmetrie über jeder der sechs Türen hängen. Oder die Sofas im Wartebereich der Eingangshalle. Ein anderes Paar, in ein Gespräch versunken, sitzt auf einem der Möbelstücke.

„Ah. Und das ist dann wohl die Familie Remmstahl", begrüßt uns ein junger Gentleman, der hinter der Empfangsthresen arbeitet, mit nonchalantem Blick heiter. Sein eleganter dunkler Anzug passt beinahe schon peinlich perfekt zu seinen ebenso dunklen, nach hinten gegelten Haaren. Das Einzige, was mir an ihm nicht gefällt, ist, dass es nichts gibt, was an ihm zu bemängeln wäre. Wir begrüßen ihn lächelnd und bestätigen unsere Ankunft.
„Wohl an denn, ich geleite Sie auf Ihr Zimmer.", spricht der Rezeptionist mit einer Wortwahl, die absolut gar nicht seinem Alter entspricht. Olli und ich schauen uns lächelnd an. Wahrscheinlich werden die Mitarbeiter in diesem Hotel dazu angehalten, sich gewählt zu artikulieren. Soll mich nicht stören.
„Dieses Hotel, müssen Sie wissen,", beginnt unser Führer, während er uns durch die makellos sauberen, schon beinahe glänzenden Flure führt: "ist bekannt für seine ruhige und besinnliche Atmosphäre. Uns ist es ein stetes Anliegen, für eine adäquate Umgebung zu sorgen, in der Liebende ihre wohlverdiente Zweisamkeit verbringen können.", erklärt er uns, ohne den geradeaus gerichteten Blick abzuändern.

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