Zeitgeist

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Der Mann betrat das Verhörzimmer und ließ die Tür, wesentlich lauter als notwendig, ins Schloss fallen. Seine Jacke glattstreichend und diesen beinahe gelangweilten Gesichtsausdruck aufsetzend, nahm er an dem Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz. Währenddessen legte er etwas Flaches

aus Glas, Metall und Plastik, dazu eine Akte neben sich auf den Tisch. „Frau Jakobs, da Sie sich bisher geweigert haben, auszusagen, was Ihnen passiert ist, können wir Sie nicht einfach wieder gehen lassen. Sie sind alleine und vollkommen hysterisch in Schutzhaft genommen worden. Sie sind sich hoffentlich der Konsequenzen bewusst. Wir brauchen Informationen!" Er faltete die Hände nun auf dem Tisch und erwartete offensichtlich eine Antwort von mir. Mehrere Male setzte ich tatsächlich zum Sprechen an. Jedes Mal blockierte etwas in meinem Inneren den Versuch. Der Mann seufzte. „Gute Frau, ich kann Ihnen nicht helfen wenn Sie mir nichts sagen." Natürlich begriff ich, dass ich hier in ernsthaften Schwierigkeiten steckte, aber nach dem, was mir passiert war, hatte ich sowieso keine Möglichkeit mehr, klar zu denken. Ich merkte, wie brüchig meine Stimme war, als ich dann doch zu einer Antwort ansetzte: „Sie würden mir nicht glauben." Mein Verhörer schürzte die Lippen. „Das habe ich schon oft gehört. Ihre Geschichte wäre sicher nicht das Verrückteste, was hier auf den Tisch gelegt wurde. Bitte, versuchen Sie es." Ich lachte krächzend. „Sicher? Habe ich Ihr Wort, dass Sie mich ausreden lassen und nicht gleich eine Horde Männer in weißen Kitteln mich in eine Zwangsjacke stecken?" Er stutzte. „Ja Frau Jakobs, das haben Sie. Ich werde Ihre Seite der Geschichte bis zum Ende anhören und dann sehen wir, was wir daraus machen. Einverstanden?" Ein schiefes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Ich kam hier sowie so nicht raus. „Danke.", sagte ich, „aber versuchen Sie nicht, mich zu unterbrechen." Er nickte, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. So begann ich zu erzählen. Mit jedem Wort wurde meine Stimme kräftiger und fasste mehr Mut. Es gibt Dinge, die müssen erzählt werden. Ganz gleich, wie unglaubwürdig sie auch sind.

Die Tritte in meinem Rücken wurden immer stärker. Wie ich dieses Kind verachtete. Warum habe ich meiner Schwester nur erlaubt, dieses Teufelsbalg mitzunehmen? „Jessica, du weißt, ich kann den Kleinen nicht über das Wochenende bei Markus lassen. Der ist bei seiner Mutter. Außerdem kannst du so eine Beziehung zu deinem Neffen aufbauen." Genau das hatte Miriam zu mir gesagt. Anscheinend bestanden die Grundpfeiler dieser Beziehung, aus nicht enden wollenden Nörgeleien, lauten Schreien und dem Einbrennen seiner Fußsohlen in die Rückenlehne meines Autos. Ich wusste, warum ich Kinder nicht leiden konnte, auch wenn mein Freund immer wieder verspielt drauf drängelte, dass wir endlich mal daran denken sollten, wie unsere Zukunft aussehen sollte. Worauf ich stets mit dem Satz: „Kinderlos, erfolgreich und in Ruhe das Leben genießen" antwortete. Das passte ihm nicht, aber ich bin keine Frau, die sich das Leben mit einem Kind verderben und sich für mindestens 18 Jahre an eine Minivariante von mir und Erik binden wollte. Der Beweis dafür, dass ein Kind der denkbar beste Karrierekiller war, saß neben mir. Meine Schwester hatte großartige Aussichten gehabt. Perfekter Notenschnitt und ein vielversprechendes Jurastudium, bis sie sich von einem jungen, schwanzgesteuerten Medizinstudenten hatte schwängern lassen. Die Ehe hatte kaum drei Jahre gehalten und der nun sechsjährige Teufel auf der Rückbank, schien sich perfekt in Richtung seines Arschlochs von Vater zu entwickeln. „Was macht dein Ex-Mann jetzt noch gleich?", fragte ich zwischen zwei besonders heftigen Tritten des Rücksitzmonsters. „Sortiert Ware in einem Lagerhaus?" Mein bissiger Unterton verärgerte Miriam und so antwortete sie besonders schnippisch. „ Tja, wenigstens bezahlt er davon den Unterhalt für Lukas und kümmert sich um sein Kind. Was macht dein Erik denn? Immer noch an seinem Roman basteln? Bekommt der doch seit Monaten nicht hin." Das hatte gesessen. „Gute Literatur braucht Zeit, außerdem sind wir ja abgesichert." erwiderte ich bestimmt und ließ meinen beruflichen Erfolg unausgesprochen zwischen uns stehen. Mein Job im Vorstand eines mittelständischen Textilimporteurs war eine gute, sichere Einnahmequelle und das Geschäft brummte, jetzt wo die Wiedervereinigung von Deutschland endlich geschafft war, brachte das einen sehr guten neuen Markt im Osten. Wir konnten eine Durststrecke ohne Probleme überstehen. Miriam war abhängig von der Gnade des Kindsvaters und schlug sich mit Teilzeitjobs durch. Das geheuchelte Glück der Elternschaft, mit der sie ihr Leben rechtfertigte, wurde über die Jahre immer weniger und man merkte ihr die Verbitterung über ein verpfuschtes Leben deutlich an. Auch wenn sie es stets zu kaschieren versuchte.

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