Der Operateur

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Immer wieder verschwimmen die Kacheln des kalten Operationsraumes, wenn er sich auf seine Aufgabe konzentriert. Der Operateur weiß, dass er sich zusammenreißen muss. Das regelmäßige Piepen des Herzmonitors hilft ihm dabei. Seine Aufgabe ist nicht einfach. Er wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn, um den Schweiß daran zu hindern, ihm in die Augen zu laufen. Er braucht seine Augen. Jetzt mehr denn je. Die Operation ist lebenswichtig. Die Umstände sind widrig. Das arme Schwein, dass da vor ihm auf dem Tisch liegt, ist vom Schicksal arg gebeutelt worden.

Der Fuß und der Unterschenkel fehlen bereits. Das andere Bein musste schon komplett abgenommen werden. Rauch, denkt der Operateur. Jetzt ist der verbleibende Oberschenkel an der Reihe. Sie hatten versucht, so viel wie möglich zu retten. Der Patient sollte die Chance bekommen, ein halbwegs normales Leben zu leben, wenn er diese unglückliche Sache hinter sich gebracht hätte. Es sieht nicht so aus, als ob das klappen würde.

Bedauern, fast schon eine tiefe Traurigkeit erfüllt den Operateur. Der Mann ist im selben Alter wie er selbst. Auch er hat eine Frau und zwei Kinder. Eine Tochter und einen Sohn. Beide in ihren frühen Zwanzigern. Er darf sich davon nicht ablenken lassen. Wie es weitergehen würde, würde man sehen, wenn die Operation geglückt wäre. Die vorangegangenen Amputationen hatten den Patienten schon ziemlich geschwächt.

Der Operateur verfluchte die Umstände, unter denen er arbeiten musste. Die Anästhesieschwester und der Assistenzarzt sind unzuverlässig.

Nein. Das ist ungerecht, denkt der Operateur.

Vermutlich verlassen sie den Operationssaal immer wieder, weil sie in dieser Karikatur eines Krankenhauses noch mehr Leben zu retten haben.

Wo ist er hier nur gelandet?

War gelandet überhaupt das richtige Wort?

War er nicht selbst daran schuld?

Egal.

Er muss sich jetzt konzentrieren.

Im Geiste geht er die notwendigen Schritte durch. In der Leiste abbinden, so fest es nur möglich ist. Es gibt hier keine Blutkonserven und jeder Tropfen ist kostbar. Die Hände des Operateurs gleiten fast schon nachdenklich über den Gurt, den er dazu verwenden wird. Er wird halten, weiß er. Er hatte ihn auch schon für die anderen Operationen benutzt.

Dann vergewissert sich der Operateur, dass auch die Stange da ist, die er verwenden wird, um den Gurt so lange in sich zu verdrehen, bis der Druck groß genug ist und die Amputation vorgenommen werden kann. Er weiß, dass das Abbinden dem Patienten große Schmerzen verursachen wird. Er weiß auch, dass diese Schmerzen erst der Anfang sein werden.

Die Anästhesieschwester wird zwar helfen, aber ihre Mittel sind eingeschränkt. Kein Propofol, Thiopental oder Etomidat und auch kein Succinylcholin oder Rocuronium. Nur Alkohol und die Muskelkraft des Assistenzarztes und der Schwester, die den Patienten ruhig halten sollen.

Der Operateur hat alle Instrumente geschärft und gereinigt, so gut es geht. Klinge, Schere und Säge. Sie stehen bereit, sind in hochprozentigen Alkohol eingelegt und glitzern den Operateur böse an, in ihrer präzisen, mitleidslosen Schönheit.

Sie wollen schneiden und trennen und entfernen.

Dem Operateur wird kalt, obwohl er schwitzt. Er fühlt sich müde. Schon viel zu lange wach. Schon viel zu lange nichts gegessen. Denkbar ungeeignet.

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