"Herrlich", rief ich aus und atmete einmal tief die kühle Nachtluft ein. Selbst zu dieser Urzeit leuchteten die Mohnblumen noch wunderschön und lächelnd lief ich über die, von ihnen zugewachsene, Wiese. Es bereitete mir Sorgen, dass Lucas uns nicht sagen konnte, wie er es geschafft hatte. Wollte oder konnte er uns das nicht erzählen? Natürlich hielt ich an dem Gedanken fest, dass er es nicht konnte, weil er es nicht wusste. "Okay, Aylin, bereit?", fragte mich Black und ich nickte fröhlich. Dann würde ich jetzt seit vier Tagen das erste Mal wieder fliegen. Ich wusste, dass die anderen darauf brannten, mein Tattoo zu sehen. Aber ich zog jedes Mal das zerrissene T-Shirt an, was nicht nur meinen Rücken vor neugierigen Blicken schützte. Ich hatte mich bis jetzt noch nicht getraut meine Flügel anzusehen. Irgendetwas in mir hielt mich davon ab, vielleicht die Angst, mich dann noch ausgestoßener zu fühlen. Als ich das Rascheln hinter mir hörte, spürte, wie sich etwas über mir ausbreitete, musste ich dennoch grinsen. "Wow", hörte ich Lucas fasziniert flüstern. "Das kannst du halt nicht", lachte ich und klopfte ihm überlegen auf die Schulter, was er mit einem spöttischen Kopfschütteln beantwortete. "Noch hätte ich vielleicht eine Chance", meinte er. Hatte er das? "Nein, nein ich glaube nicht", erwiderte Hayes darauf und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, bevor er seine Flügel ausfuhr. Als Black an der Reihe war, musste ich mir auf die Lippen beißen, sonst wäre mir ein Seufzer entflohen. Ohne Shirt sah er einfach zum Anknabbern aus, mit all seinen Muskeln und den riesigen schwarzen Flügeln. "Du darfst mich auch anfassen, wenn du willst", bot er grinsend an, als er meinen Blick bemerkte. Sofort wurde ich rot und sah beschämt zur Seite, während die anderen sich eindeutig über mich lustig machten. "Hey, das war doch süß. Das muss dir nicht peinlich sein", raunte Black an mein Ohr und vorsichtig sah ich auf, auf keinen Fall wollte ich ihm aus Versehen eine Kopfnuss geben. Seine blauen Augen sahen tief in meine, ich spürte, wie er seine Hände auf meiner Hüfte positionierte. Er würde mich jetzt doch nicht küssen? "Gott, ich würde zu gerne", knurrte er, lenkte seinen Blick nicht von mir ab. Mein Herz hämmerte heftig und ich schaffte es nur unter großer Anstrengung, meine Arme nicht um seinen Hals zu schlingen und ihn endlich zu küssen. Was war denn mit mir los? Black nahm seine Hände wieder weg und ich drehte mich um, realisierend, dass mich keiner der anderen beiden sonderlich freundlich musterte. "Okay, los geht's", murmelte ich, wahrscheinlich zu leise, aber wen interessierte das schon. Mit wackeligen Beinen schaffte ich mir Platz und fing an, meine Flügel schwingen zu lassen. Fast so, als wäre ich eine Feder, hob ich in die Luft ab und fand mich schon nach ein paar Sekunden weit über dem Boden wieder. Gelassen schwebte ich, beobachtete die meilenweiten Wiesen, den nahen, unheimlichen Wald. Ich kümmerte mich nicht darum, was die anderen taten, ich zog einfach mein Ding durch. Einmal hatte Black versucht mich dazu zu bringen Feuer zu erzeugen, doch jetzt verstand er es. Ich wollte das ganze einfach nicht, deswegen würde ich mich niemals mit meinem Dasein als Engel zufriedengeben. Engel lebten länger als Menschen, nur wusste ich nicht, ob das ein Vorteil war, schon gar, wenn ich auf der Flucht war. "Bleib in der Nähe!", hörte ich Hayes rufen, doch ich kümmerte mich nicht darum. Mutig überflog ich die ersten Baumwipfel und steuerte auf eine kleine Lichtung im Wald zu. Wie großartig man alles sehen konnte, es war einfach nur fantastisch. Ich ließ meinen Blick langsam über den Boden schweifen, scannte ihn nach irgendwelchen Tieren ab. Meine Eltern hatten mich früher nie alleine in den Wald gelassen, weswegen ich all das nie so richtig erkunden konnte. Als plötzlich ein ohrenbetäubendes Brüllen ausbrach, verlor ich vor Schreck die Kontrolle über meinen Körper und die Flügel. Ich strauchelte in der Luft, spürte, wie ich schnell an Höhe verlor. Wenn ich auf dem Boden aufknallen würde, wäre ich tot. Ich schrie panisch und hörte die aufgeregten Stimmen der anderen, die mich immer wieder aufforderten ruhig zu bleiben und normal weiterzufliegen. Doch es war leichter gesagt als getan. Mit einem tiefen Knall, prallte ich auf der Oberfläche auf und krümmte mich sofort vor Schmerzen. Ich wusste, dass das nicht lange anhalten würde, da ich schnell heilte, jedoch war es äußerst schmerzhaft. "Oh mein Gott Aylin, ist alles okay?", Black war neben mir gelandet und nahm meine Hand, welche er sanft drückte. Noch konnte ich ihm nicht antworten, dazu war einfach der atemraubende Druck auf meine Wirbelsäule zu groß. Ich schnappte nach Luft und drückte Blacks Hand so fest ich konnte, bis mein Schmerz weniger war. "Geht es wieder?", seine blauen Augen musterten mich besorgt. Ich nickte und lächelte leicht. "Ich konnte einfach die Kontrolle nicht wiedererlangen...", seufzte ich und setzte mich langsam auf, Hayes und Lucas stützten mich dabei. "Das werden wir wohl üben müssen, aber hey, herzlichen Glückwunsch. Du bist vermutlich die erste Person, die einen Sturz aus dieser Höhe überlebt hat", grinste Lucas und ich nickte lachend. "Was war das für ein Geräusch?", fragte ich dann, wieder völlig ernst.
Hier ist Kapitel 2, wie versprochen.
Was sagt ihr? Wer oder was hat gebrüllt? Und was hat das wohl mit den Vieren zu tun?
Bis bald, Luna
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White -die Auserwählte
FantasyTEIL 2 DER SCHUTZENGELREIHE Nach Lucas Wiederauferstehung weiß niemand, was er sagen soll. Ist er der einzige, der den spektakulären Tod überlebt hat? Und wie soll das überhaupt möglich sein? Was Aylin und ihre Gefährten im zweiten Buch erleben, er...