Kapitel 22

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Die Luft erschien eiskalt. Nur mit Mühe konnte ich das Husten unterdrücken, das sich ankündigte, als wir ein wenig entfernt vom Portaleingang landeten. Wir hielten uns im Schutze mächtiger, alter Tannen auf, deren dicht von Nadeln behangene Zweige bis auf den Boden reichten. Ich sah zu Lucas, dessen Blick starr auf die Mauern gerichtet war. Verdammt, das könnte echt hässlich werden, falls er entdeckt, erkennt und festgehalten werden würde. Oder falls Hayes und ich dort nicht schnell genug wieder draußen waren. Im Gegensatz zu meiner vorherigen Aussage war ich mir nun nicht mehr sicher, ob wir die Frau im Fall der Fälle wirklich mitnehmen könnten. Sie würde eventuell zu einer Last werden, die wir im Moment nicht auch noch tragen konnten. Unsere Priorität war Aylin, ihr Schicksal, an dem auch unseres hing.

Unsere Aufmerksamkeit wurde auf das Flackern der Fackeln gelenkt, das eindeutig durch die fehlende Tür der Ruine an den Innenwänden zu erkennen war. Die Patrouille war also oben angekommen. Hastig holte Hayes eine Uhr hervor und hielt sie bereit, um zu stoppen, wie viel Zeit die Patrouille wohl für einmal runtergehen und wieder hoch brauchen würde. Kurz erschienen drei Engel im Eingang des heruntergekommenen Gebäudes, sahen sich prüfend um und schienen etwas zu besprechen. Einer der drei, der die Spitze des Dreiecks bildete, war genau der, der uns schon das letzte Mal in den Gängen aufgefallen war.

„Er kommt mir wirklich gefährlich vor. Irgendetwas mächtiges umgibt ihn und es macht mir Angst", meinte Hayes auf meine Gedanken hin. Ich nickte bitter. Es waren nicht nur die schwarzen Augen, es war auch seine Gangart, sein grimmiges Lächeln und sein Körperbau, der nur so von übermäßiger Energie strotzte. Hayes rechts neben mir drehte sich geräuschvoll zu Lucas um und kurz herrschte Stille.

„Kennst du ihn?"

Ich hob erstaunt eine Augenbraue und sah ebenfalls rüber zu Lucas. Das war das erste Mal seit einigen Tagen, das Hayes wirklich ernsthaft mit ihm sprach. Dieser schien ebenfalls erstaunt und tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit mir. Es war immerhin ein Fortschritt. Oder einfach nur im Angesicht der Gefahr ein unumgängliches Mittel zum Zweck.

„Ich habe keine Ahnung, wer er ist", antwortete Lucas ehrlich, „Er ist mir bisher nie aufgefallen, was bei seinem Auftreten kaum möglich ist" Ich stimmte mit einem kurzen Nicken zu. Es wäre wirklich sonderbar, wenn Lucas ihm begegnet wäre und sich das nicht gemerkt hätte. Dieser Engel hatte wirklich etwas unheimliches an sich. Es lastete auf ihm, umwaberte ihn so extrem, dass jeder es sofort merken musste. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus, doch ich schob es auf die Abendkälte.

Der Mann kam ziemlich genau 22 Minuten später wieder oben an der Pforte an. Bei ihm waren mittlerweile fünf andere Engel zu sehen, die zwar auch furchteinflößend waren, nur noch lange nicht so wie ihr Anführer.

Als alle wieder verschwunden waren, packten wir unsere Sachen.

„Okay, ungefähr 22 Minuten. Beeilt euch", meinte Lucas und zog sich die dunkle Mütze über den Kopf, die zusammen mit dem dünnen, schwarzen Schal sein Gesicht nahezu völlig verdeckte. Zumindest war er so nur sehr schwer zu erkennen. Hastig zogen Hayes und ich uns die Wächtertücher über die schwarzen Langarmshirts und deponierten die dunklen Rucksäcke in einem dichten Gebüsch in der Nähe. So langsam wurde es richtig unangenehm, das Warten.

„3 Minuten noch, wir sollten uns besser bereit machen", erklärte Hayes, erhielt als Antwort nur ein Nicken, das er im Dunkeln kaum zu erkennen vermochte. Lucas erhob sich aus der Hocke und lief geduckt am Rande der Baumgrenze entlang, bis er sich fast gegenüber von uns ins Gebüsch duckte.

„Himmel, wir sind am Arsch, wenn das nicht funktioniert", murmelte es links neben mir und wieder nickte ich nur. Meine Hände hatten angefangen vor Nervosität leicht zu zittern und ich versuchte es so gut wie möglich unter Kontrolle zu halten. Ein Ruck ging durch Hayes neben mir und ich sah wieder von meinen Händen auf. In der großen, steinernen Pforte zu unserer linken zeichnete sich ganz klar die Patrouille ab, die sich wie die letzten paar Male suchend nach einem Zeichen der Ruhestörung umblickte. Ich sah rüber zum Gebüsch, in dem wir noch immer Lucas vermuteten. Es blieb beunruhigend still. Wieso tat er nichts? Gleich würden sie wieder verschwinden und wir würden nochmal warten müssen. Gerade als es schien, als würden die Engel wieder in der Ruine verschwinden wollen, passierte es: Ein spitzer Schrei hallte über die kleine Lichtung, hell und unnatürlich. Die Köpfe der Engel zuckten herum und drei von ihnen liefen direkt in die Richtung davon, aus der sie vermuteten, dass die Stimme kam. Kurz vor der Waldgrenze hielten sie an und sahen sich nach ihrem Anführer um. Der stand noch immer vor dem Eingang, hatte sich zu seiner vollen Größe aufgebaut und überblickte alles mit einem Gesichtsausdruck, den man vermutlich als aufmerksam beschreiben würde. Wenn da nicht dieses Funkeln wäre, dieses mordlustige Funkeln.

„Wieso bewegt er sich nicht vom Fleck? Mach schon, mach schon, mach schon...", flüsterte ich, während wir beobachteten, wie er seinen Soldaten ein Zeichen gab, die Büsche, in denen sich Lucas noch bis zuletzt versteckte, genauer zu untersuchen. Doch sie fanden nichts. Wieder ein Schrei, diesmal aus dem Dickicht genau gegenüber des Eingangs. Noch immer bewegte sich der Anführer nicht einen Millimeter von seinem Fleck und so blöd es auch klang: Es war total logisch. Er würde erst dann zur Tat schreiten, wenn es unausweichlich war, wozu sonst hatte er seine fünf Untergestellten? Wenn Lucas nicht bald eins drauflegte, konnten wir die Sache vergessen.

„Sucht die gesamte Gegend ab! Ich will wissen, was hier los ist" Hayes und ich zuckten daraufhin zusammen. Das war nicht gut, gar nicht gut. Von diesem Standort aus hatten wir die kürzeste Strecke bis zur Pforte. Von weiter weg brauchten wir es gar nicht erst zu versuchen.

„Wir bleiben hier, solange wir können", murmelte ich Hayes zu und er nickte, formte ein Okay mit dem Mund. Die fünf teilten sich jetzt auf und zwei von ihnen liefen direkt in unsere Richtung. Schnell drückten wir uns mehr in die Zweige des Busches, die so etwas wie eine kleine, dunkle Höhle bildeten, wodurch wir gegen zufällige und weniger gründliche Blicke gut geschützt waren. Intuitiv hielt ich die Luft an. Die Schritte kamen näher. Wenn sie auch nur ein winziges Anzeichen erhalten würden, dass sich hier jemand versteckte, konnte uns auch das dunkelste Dickicht nicht mehr helfen.

„Hier ist irgendwas", rief jemand, nur ein paar Schritte entfernt. Panisch drehte ich mich zu Hayes, der nur hilflos mit den Schultern zuckte.



Ich bin leider überhaupt nicht zufrieden mit diesem Kapitel... 

Hoffe das wird bald besser ...

Liebe Grüße, Luna


White  -die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt