Kapitel 14

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[Teil 2 der Lesenacht]

Ich schreckte hoch und lauschte in die Dunkelheit. Es hatte sich angehört, als wäre etwas am Fenster gewesen. Ich schüttelte verärgert den Kopf und stand auf, um das Fenster zu schließen. Doch kurz vorher blieb ich stehen und erblickte den klaren Sternenhimmel, der es zuließ, dass der Mond den Garten vor mir in einem leichten Weiß erhellte. Sehnsüchtig starrte ich hinauf und dachte an die schönen Flugstunden, die ich meist zu dieser Nachtzeit gehabt hatte. Und da war wieder der Moment, der Moment in dem meine Gedanken zurückgebracht wurden zu genau drei Personen, ganz besonders zu einem dieser drei Engel. Plötzlich war ich wütend. Wütend auf mich selbst. Wieso konnte ich denn nicht einfach aufhören an sie zu denken? Ich wollte sie doch vergessen. Beinahe aggressiv knallte ich das Fenster zu und kuschelte mich anschließend wieder in meine Bettdecke. Ich war nicht mehr müde. Anstatt seelenruhig zu schlafen, lag ich wach und starrte vor mich hin. Tief im Inneren verspürte ich eine intensive Lust zu fliegen, einfach meine weißen Flügel aufzuspannen und durch die Nacht zu gleiten. Ich hielt lange an dem Gedanken fest. Es fühlte sich schon so an, als würde die kühle Nachtluft an meinen Wangen vorbeistreichen, meine Füße schwerelos über dem Boden schweben und als würde sich eine wunderbare Hülle um meinen Körper legen, die all das Unerwünschte abhielt. Kurz darauf schlief ich selig ein.

Der nächste Morgen verlief schweigsam. Meine Eltern lächelten viel und ließen mich öfters erleichtert aufatmen. Es tat gut, dass sie mir nicht böse waren oder es sich vielmehr nicht anmerken ließen. Vielleicht reichte es ihnen auch einfach, dass ich es bereute und mich als Entschuldigung sehr im Haus einsetzte. Ich hatte mir viele Gedanken darum gemacht, was ich überhaupt mit meinem Leben erreichen wollte, was ich mir für eine Zukunft vorstellte. Doch bisher hatte ich keine klare Antwort darauf gefunden. Natürlich wusste ich, dass, wenn ich vorhatte wieder auf die Schule zu gehen, ich die momentane Stufe wiederholen musste. Ich hätte also dann auch nur wenig von Liz, falls wir denn unsere Freundschaft retten konnten. Doch als zweite Möglichkeit blieb mir nur eine Ausbildung. Ich hatte ehrlich gesagt Angst, dass ich dadurch bei meinen Eltern in Ungnade fallen würde, da sie immer von mir das Höchste erwartet hatten. Aber ich konnte auch mit einer Ausbildung richtig gut sein, es lag alles nur daran, wie sehr ich mich anstrengte und ob ich es wirklich machen wollte. Im Grunde standen mir auch dann alle Türen auf. Letztendlich musste ich lediglich abwägen, was mir wichtiger und lieber war.

„Ich habe mich entschieden", meinte ich und betrat selbstsicher die Küche. Nachdem ich die Entscheidung für meine Zukunft gefällt hatte, fühlte ich mich viel besser. Es war, als wäre ein kleines Stück des Steins auf meinem Herzen abgebrochen. Mein Vater sah vom Abwasch auf und meine Mutter betrat kurz nach mir gespannt die Küche. Ich atmete durch. „Ich werde das Abitur machen und anschließend Medizin studieren", verkündete ich und lächelte dabei leicht. Ja, ich wollte anderen helfen, so wie mir geholfen wurde, wenn auch auf etwas anderem Wege. Meine Mutter lächelte und mein Vater runzelte kurz die Stirn, nickte anschließend aber. „Wenn du dich anstrengst, kannst du das schaffen. Deine Noten waren ja immer entsprechend gut", überlegte er laut. „Ja, das stimmt und ein Jahr länger wird mich auch nicht umbringen", fügte ich hinzu. Ich freute mich etwas, dass meine Eltern dem zustimmten. Es war immerhin ein kleiner Lichtblick in meinem Leben.

Meine Eltern hatten vereinbart am Montag im Sekretariat der Schule anzurufen, um einen Termin beim Rektor zu machen. Erleichterung machte sich in mir breit, jetzt noch mehr als vorher. Sollte ich es wohl Liz sagen? Doch was, wenn sie es gar nicht hören wollte? Was war, wenn sie das gestern ernst gemeint hatte und wirklich Abstand von mir wollte? Ich war mir unsicher. Sie könnte natürlich auch beleidigt sein, wenn ich es ihr nicht erzählte. Seufzend setzte ich mich auf mein Bett. Der hellrote Bettbezug wirkte so grell und störend, dass ich mich kurzerhand dazu entschied diesen zu wechseln. Dabei kam der Gedanke auf mein Zimmer komplett umzustellen. Eine neue Ordnung würde mir vielleicht guttun, auch wenn es schwer war aus dem trägen Modus herauszukommen. Doch ich wischte die aufkommenden, erdrückenden Gedanken schnell weg und stand wieder auf. Ich musste endlich etwas tun, wenn es auch nur für einen Nachmittag war. Energisch fing ich damit an unnötige Sachen auszusortieren und meine Möbel in die Mitte des Raumes zu befördern. Letztendlich hatten sich dort ein Kleiderschrank, ein verdammt schweres Bett, ein Schreibtisch samt Stuhl und eine kleine Kommode mit Spiegel versammelt. Als ich den Kleiderschrank öffnete, um alte Klamotten auszumisten, stutzte ich. Einige meiner Lieblingsstücke fehlten. Erst dann realisierte ich, wo sich diese befanden. Ich grummelte leise und schlug die Türe des Schranks stärker zu, als ich es erwartet hatte. Daraufhin zuckte ich kurz zusammen und musste den Kopf über mich selbst schütteln.

Es klopfte an der Türe und ich bat die Person, wie ich vermutete einer meiner Eltern, herein. Das Bett befand sich mittlerweile gegenüber der Türe unter dem Fenster und den Kleiderschrank hatte ich an die angrenzte Wand gestellt, gegenüber seinem ursprünglichen Platz. Es war mein Vater, der den Kopf in mein Zimmer steckte. Erst runzelte er die Stirn, dann lächelte er flüchtig.

„Kann ich dir helfen?", fragte er daraufhin, „Ich habe es rumpeln hören und dachte ich schaue mal was du machst." Ich nickte und zeigte auf die Kommode, die ich durch zu viele darauf platzierter Sachen nicht eigenhändig verschieben konnte. „Hilfst du mir damit? Sie soll hier gleich neben die Türe", bat ich ihn. Gemeinsam vervollständigten wir meinen Plan. Den Schreibtisch mit dem Stuhl hatten wir an die letzte freie Wand unter das zweite Fenster gestellt. Ich würde beim Lernen einen wunderbaren Blick in den Garten haben. „Danke", meinte ich und wandte mich meinem Vater zu, der mich schon eine kleine Weile von der Seite musterte. „Wir haben einen Psychologen gefunden, der sehr kompetent erscheint. Er ist in drei Wochen wieder da und wir haben direkt auf den Montag einen Termin vereinbart", informierte mich mein Vater, ganz ohne mir Platz für eine Zustimmung zu geben. Wütend drehte ich mich zur Seite. Ich brauchte keinen Psychologen, einfach nur meine Ruhe. Vielleicht hatten sie keine Ahnung, was ich erlebt hatte, aber es gab ihnen nicht das Recht so etwas gravierendes ganz ohne mich zu entscheiden. Natürlich erinnerte auch ich mich daran, dass ich dem gestern zugestimmt hatte, aber nur, um erst einmal meine Ruhe zu haben und darüber nachdenken zu können. Jetzt war ich mir sicher, dass das nicht nötig war. Ich war keinesfalls traumatisiert, einfach nur wahnsinnig enttäuscht und zugleich wütend. Diesem Mann konnte ich auch nicht von meinen Sorgen erzählen, es wäre einfach nur noch ein weiterer anstrengender Punkt in meinem Leben.

„Ich möchte das nicht"


Hier bin ich wieder, leider etwas später als gedacht...

Ich hoffe das macht nichts! Was sagt ihr zur Entwicklung von Aylins Leben? Glaubt ihr sie ist schuldig? 

Ich freue mich über Kommentare. Bis nachher um 24 Uhr, 

Luna. 

 

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