Schon seit geraumer Zeit hatte Ash den Verdacht, dass Kilian ihm etwas verheimlichen würde. Anfangs hatte er geglaubt, es würde mit Freya zu tun haben, weil es meistens etwas mit Freya zu tun hatte, wenn er ein Geheimnis hatte. Normalerweise hatte Kilian nämlich keine Geheimnisse vor Ash. Sie teilten alles miteinander. In gewisser Hinsicht könnte er ihn beinahe als seinen zweiten Bruder bezeichnen. Was er nie zugeben würde, denn er wusste, dass Aiden in dieser Hinsicht wahrscheinlich sehr eifersüchtig werden würde. Sein kleiner Bruder war da etwas eigen.
Aber nichtsdestotrotz war Ash in einer Zwickmühle. Würde er Kilian fragen, was los sei, war er sich nicht sicher, ob er damit wieder einmal die Grenze ihrer ungeteilten Geheimnisse überschritt (so wie damals, als Freya schwanger war und sie Kilian verboten hatte, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, bevor sie nicht so weit war, es allen zu sagen). Wenn er ihn allerdings nicht fragen und es einfach ignorieren würde, dann würde er vielleicht Gefahr laufen, dass er die Signale übersehen würde. Und das wollte er nicht noch einmal erleben.
Doch er hatte Glück. Er musste sich nicht darüber Gedanken machen, wie er denn mal eine freie Minute erwischen würde, in denen weder er noch Kilian arbeiten müssten. Am Samstagabend rief June ihn an.
„Du musst mir morgen unbedingt aushelfen", sagte sie und übersprang damit die Begrüßung. „Joseph hat sich krankgemeldet und damit bin ich morgen ganz alleine bei diesem dämlichen Marathon."
Jedes Jahr hielt das Kingfisher Fitness Club einen gemeinnützigen Marathonlauf ab, um für irgendeine tolle Organisation Spenden zu sammeln. Mit jeder Meile, die ein Teilnehmer laufen würde, würde das Kingfisher einen Dollar spenden. Um Krebspatienten zu helfen. Um Kinderheime zu unterstützen. Obdachloseheime bauen, Schulen sanieren, sowas eben. Die Angestellten opferten dafür jedes Jahr einen ihrer Sonntage, damit sie das Ganze organisieren und aufbauen konnten. Im letzten Jahr hatte Ash da auch noch mitgemacht und gemeinsam mit June die Organisation übernommen. Wie es aussah, würde es dieses Jahr wieder gleich ablaufen.
„Ich helf dir", sagte er sofort. Er erinnerte sich daran, dass er beim letzten Mal wirklich Spaß gehabt hatte.
„Du Held", erwiderte June und klang wirklich erleichtert. „Ich hätte echt keinen Bock darauf gehabt, all die Zettel alleine auszufüllen und sowas. Ich schulde dir was."
„Schon gut", lachte er kurz angebunden. „Is' doch nichts dabei. Nur 'n kleiner Freundschaftsdienst."
Es traf sich gut. Kilian machte jedes Jahr bei diesem Marathon mit. Ash würde natürlich auch mitmachen, aber bisher kam ihm immer was dazwischen. Und dieses Jahr könnte er seinen besten Freund danach einfach abfangen und ihn fragen. Es war so einfach.
„Wenn du mir nicht zugesagt hättest, dann wär ich morgen sicher draufgegangen. Echt, du rettest mir den Arsch."
June gab ihm noch schnell die Daten durch, dann verabschiedete sie sich mit dem Versprechen, dass sie ein Sixer für die beiden mitbringen würde, damit sie sich nicht ganz so langweilen würden, während die Teilnehmer am Strand und durch die Parks laufen würden. Die Anfangsphase war immer hektisch, die Mitte war entspannt und am Ende hin wurde es dann wieder schlimmer. Allgemein waren diese Rennen aber echt super. Es versprach ein guter Tag zu werden, fand Ash, als er sich dann ins Wohnzimmer zu seinem Bruder und seinem Vater setzte. Seine Mutter war mit einer ihrer Kolleginnen bei ihrem wöchentlichen Chortreffen. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie jemals eines dieser Treffen verpasst hätte. Früher waren er und Aiden auch im Chor gewesen, aber dann hatte sie beide der Stimmbruch erwischt. Singen konnten sie, aber eher für die Kacheln in der Dusche und nicht mehr für die alten Leute im Seniorenheim.
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Ashes of Eden
General FictionMit der Entlassung aus dem Krankenhaus, beginnt für Ash Whelan eine neue Chance, sein Leben endlich wieder in die richtige Bahn zu lenken. Während seine eigenen Gedanken dabei die größten Hürden darstellen, die er überwinden muss, schleicht sich auc...