Eden hatte nicht gewusst, dass sie so schlecht träumen konnte.
Angefangen hatte es damit, dass sie die ganze Nacht kein Auge zu tun konnte. Sie hatte sich in ihrem Bett herumgewälzt, die Laken zerwühlt, das Kissen auf den Boden geworfen und ihre Beine so fest in die Decke eingewickelt, dass sie taub geworden waren, aber nichts hatte geholfen. Das Fenster hatte sie drei Mal aufgerissen und drei Mal wieder zugeworfen, sie hatte sich warme Milch gemacht und selbst ein todlangweiliges Hörbuch angemacht, damit sie vielleicht zu den Erklärungen von dutzenden psychischen Krankheiten einschlafen konnte, aber es hatte nichts gebracht. Irgendwann hatte sie es aufgegeben und war wieder aufgestanden. Sie war duschen gegangen und hatte plötzlich, unter dem heißen Wasserstrahl stehend, den Drang gehabt, ihre ganze Haut abzuschrubben, weil sie sich so unglaublich verschmutzt fühlte. Geendet hatte es darin, dass sie das ganze Badezimmer geputzt hatte, dann in die Küche übergegangen war und das Besteck poliert hatte. Sie machte es nicht einmal gerne. Sie wollte einfach nur etwas zu tun haben. Eden hatte etwas gebraucht, dass sie ihren Händen geben konnte, damit sie sich bewegten, denn ansonsten wäre sie auf dumme Gedanken gekommen.
Und diese Gedanken waren gekommen, als ihre Großmutter schließlich aufgestanden und sie noch immer in der Küche vorgefunden hatte, alles Tafelsilber poliert und neu sortiert wieder in die Schublade geräumt. Den ganzen Vormittag war Eden dann mit schwarzen Augenringen und blutunterlaufenen Augen durch die Wohnung getigert und hatte sich irgendwo Aufgaben gesucht. Sie hatte ihr Bett abgezogen und neubezogen, hatte den Teppich im Flur ausgeklopft, die Bilderrahmen gesäubert, die Schuhe nach Jahreszeiten sortiert und sogar alle Bücher nach Farbe, Autor und Namen sortiert, mehrmals, bis sie zufrieden mit dem Ergebnis war.
Vollkommen erschöpft und ohne jedwede Kraft im Körper war sie Punkt Zwölf in ihr neugemachtes Bett gefallen und eingeschlafen.
Dann hatte sie geträumt.
Zu Anfang hatte sie nicht gewusst, dass es ein Traum war, denn sie war in ihrem Bett gewesen und hatte ein altes Buch in der Hand gehabt. Was für ein Buch es war, wusste sie nicht, denn es stand kein Titel auf dem Einband und die Ecken waren rissig und fleckig. Alle Seiten waren leer und da hatte sie dann feststellen müssen, dass sie nicht wach war.
Mit jeder weiteren Seite, die sie panisch umgeschlagen hatte, war es um sie herum dunkler geworden. Eden hatte das Gefühl gehabt, dass sie etwas in diesem Buch hatte suchen müssen, eine Antwort, einen Hinweis, irgendwas, doch je mehr sie gesucht hatte, desto weniger kam sie voran. Jede Seite fühlte sich schwerer an als die da vorige, jedes Umblättern wurde mehr und mehr zu einem wahren Kraftakt und als sie schließlich kaum noch die fleckigen, leeren Seiten anheben konnte, war es um sie herum pechschwarz geworden.
„Wie es doch immer war, nicht?", hatte eine Stimme gefragt und Eden war panisch aufgeschreckt. Das Buch war verschwunden, mit ihm, ihre Antworten. Sie wollte etwas sagen, aber konnte nicht. Solche Träume hatte sie schon oft gehabt – jemand sprach mit ihr, aber ihre eigene Stimme versagte immer. Doch noch nie war ein Traum so real gewesen und hatte ihr solche Angst eingejagt, wie dieser.
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Ashes of Eden
General FictionMit der Entlassung aus dem Krankenhaus, beginnt für Ash Whelan eine neue Chance, sein Leben endlich wieder in die richtige Bahn zu lenken. Während seine eigenen Gedanken dabei die größten Hürden darstellen, die er überwinden muss, schleicht sich auc...