Den Worten der Musik, die aus seinen Kopfhörern floss, konnte Ash schon seit einigen Minuten nicht mehr folgen. Anstatt der Text irgendeinen Sinn für ihn ergeben würde, flogen die Zeilen nur so vorbei und hinterließen nichts als Schall in seinem Kopf, während seine Füße in einem wiederholten, kontinuierlichen Rhythmus auf den Asphalt auftraten und dann wieder eine handbreit in die Luft gehoben wurden. Seine Waden brannten und die Muskeln in seinen Unterschenkeln fühlten sich als, als würden sie bald bersten. Schweiß rann ihm in langen Bahnen den Rücken und die Stirn hinab und verfing sich in seinen Augenbrauen, war ihm aber bisher noch nicht in die Augen geflossen.
Ash wusste nicht einmal, wohin er lief. Er war einfach am Morgen aufgestanden, hatte sich Trainingssachen übergeworfen, eine Playlist angeschmissen und war dann direkt aus der Tür in den Sonnenaufgang getreten. Die Luft war kühl und obwohl die Sonne sich mittlerweile über die Dächer der Häuser kämpfte, herrschten angenehme Temperaturen. In den Straßen roch es nach Sommer; Ash stank nach Schweiß.
Seit einigen Minuten schlich sich eine Empfindung in seinen Kopf, die verwirrende Gefühle und einzigartige Sensationen hervorrief, für die er noch nicht wirklich bereit war. Mit zwei Fingern strich er sich kurz über die Lippen, ehe er sie wieder sinken ließ und locker an seiner Seite behielt. Obwohl so viel geschehen war, konnte er noch immer das Gefühl von Regen und warmer, fremder Haut auf seinem Mund spüren, welches ihn so überrascht hatte. Kilians Kuss war für ihn noch immer eine beängstigende Veränderung, für die er nie würde bereit sein. Er wünschte sich so sehr, dass es nicht passiert wäre. Dass es alles nur ein Traum war. Einfach nur ein Traum, nicht einmal ein schlechter. Aber auch kein guter.
Und dennoch wollte sein Kopf immer wieder, dass er über diese Sache nachdachte. Er zwang sich selber, darüber nachzudenken, zu philosophieren, warum Kilian es getan hatte und warum er gerade jetzt den Drang verfügt hatte, sein Geheimnis zu teilen, wenn zwischen ihnen doch alles wunderbar perfekt gewesen war. Aus seiner Sichtweise heraus, fand Ash jedoch einfach keinen Grund dafür. Er konnte es nicht verstehen, geschweige denn nachvollziehen. Und wenn er Edens Worten Glauben schenken konnte, dann hatte Kilian diese Gefühle nicht erst seit Kurzem. Was also hatte ihn dazu bewegt, endlich etwas zu tun und den Komfort seines Verstecks zu verlassen?
Während Ash weiterhin die Straßen entlanglief, erwachte die Stadt immer mehr zum Leben. Fenster wurden weit geöffnet, Autos fuhren mit quietschenden Reifen um die Ecken und hupten an den Ampeln, Passanten drängten sich an ihm vorbei, beachteten ihn kein bisschen, während sie mit gehetztem Blick nach vorne preschten, um ihren Tag zu beginnen, wie jeden davor auch. In der Ferne konnte er die Möwen sehen, wie sie über den Himmel kreisten, um den Boden nach fallen gelassenem Essen abzusuchen. Es war ein klarer Tag, mit wenigen Wolken. Eigentlich wunderschön.
Wäre da nicht dieses nagende Gefühl in seinem Hinterkopf, welches ihn immer wieder dazu veranlasste, kurz nach hinten zu gucken. Dieses Gefühl, verfolgt, beobachtet zu werden, wollte ihn seit dieser Nacht nicht mehr loslassen und wenn er den ersten Tag noch versucht hatte, alles mit Alkohol zu ertränken, so wusste er, dass er nicht wieder damit anfangen konnte. Das Verlangen war stark, definitiv. Aber er musste ein einziges Mal in seinem Leben stärker sein als seine Begierde. Wenn er dem jetzt wieder nachgeben würde, dann wäre all die Arbeit hinüber, die er und Eden und Janet und Aiden und Kilian in diese Zukunft gesteckt hatten...
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Ashes of Eden
General FictionMit der Entlassung aus dem Krankenhaus, beginnt für Ash Whelan eine neue Chance, sein Leben endlich wieder in die richtige Bahn zu lenken. Während seine eigenen Gedanken dabei die größten Hürden darstellen, die er überwinden muss, schleicht sich auc...