Kapitel 27

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Leichen über Leichen

Verwirrt sah jeder in die Richtung der Türen. Zum Glück reagierte Leon schneller als ich und hatte schon seine Waffe gezückt. Während ich immer noch wie versteinert da stand und einfach nur überrascht und entsetzt direkt in die Gesichter von mehreren Soldaten blickte, die ihre Waffen direkt auf mich gerichtet hatten. Bevor sie mich zum gelöcherten Käse verarbeiteten konnten, zog Leon mich aus ihrer Schussbahn. Hinter einer Säule nahmen wir Deckung, um so nicht erschossen zu werden. Zum Glück waren wir nicht die einzigen mit einer Waffe. Der ganze Raum war gefüllt von Rebellen und Europäern, die uns Rückendeckung gaben, sodass es Leon und ich schafften, aus unserem Versteck zu treten und den Soldaten so richtig den Arsch zu versohlen. Trotz dass ich damit gerechnet hatte, dass irgendjemand meine Hochzeit crashen würde, war ich echt sauer, dass sie es wagten, den eigentlich schönsten Tag meines Lebens zu versauen. Jeder Soldat bekam von mir eine Kugel zwischen die Augen geschossen. Ich mordete, als bräuchte ich mir keine sorgen zu machen, jemals in die Hölle zu kommen. Das ganze klappte an sich auch recht gut, bis Kyle meine Hochzeit belästigte. Jeden Schuss den wir abfeuerten flog ins nichts. Es war als wäre man dabei, auf einen Geist zu schießen, man konnte ihn einfach nicht treffen. Und gerade als ich dachte, es würde nicht mehr schlimmer kommen, rappelte sich mein Vater auf, schlug den erst besten Rebellen in sein Gesicht, sodass er vor Überraschung kurz erstarrte. Dies nutzte mein Vater aus, um ihn seine Waffe abzunehmen und sich zu meiner Cousine durchzukämpfen. Ich versuchte mich ebenfalls los zu kämpfen, um meinen Vater aufzuhalten. Mein Kleid war mittlerweile schon gar nicht mehr weiß, sondern rot von den vielen Leichen. Umso weiter oben der Stoff von meinem Kleid war, umso weißer war es noch. Erst draußen in der Nebenstraße der Kirche, konnte ich meinen Vater und meine Cousine aufhalten. „Bleibt stehen!" Schrie ich sie an. Sie blieben erstaunlicherweise wirklich auf der Stelle stehen. Mein Vater drehte sich zu mir um. „Was willst du tun? Uns erschießen? Deine letzte verbliebene Familie? Du konntest mich schon in der Vergangenheit nicht erschießen! Du wirst es auch jetzt nicht können!" Trotz dass ich ganz genau wusste, dass er recht hatte, behielt ich meine Waffe auf ihn gerichtet. Kurz zögerte mein Vater, doch dann ging er langsam mit meiner Cousine weg und verschwand mit ihr in den Schatten der Gasse. Wie hätte ich ihn denn schon groß aufhalten können? Und machte es wirklich so einen großen Unterschied, ob sie frei waren oder ob sie in unseren Zellen verrotteten? Vielleicht war es so sogar besser, schließlich waren Leon und ich schon die Königin und der König, so ging es ihnen wenigstens besser. Niemand kann die Revolution mehr aufhalten, auch nicht meine Cousine oder mein Vater. Es war so gut wie vorbei. Wir waren an unser Ende angelangt, die Vereinte Republik kommt langsam zu ihrem Ende. Wir sind unserem Ziel so nahe wie noch nie. Wir haben es so gut wie geschafft. Bald ist es vorbei. Trotz das meine Hochzeit geplatzt ist, steigerte sich meine Stimmung auf einmal von Null auf Hundert. Ich hörte wie einige aus der Kirche gerannt kamen. Verwundert drehte ich mich um und sah, wie sich die Soldaten inklusive Kyle sich einen Weg nach draußen bannten. Kurz darauf folgten die Europäer und die Rebellen. Leon hatte besonders Kyle im Visier, dabei hielt Leon etwas nach mir Ausschau, als er mich regungslos dastehen sah, wurde er etwas verwundert. Ich lief in meinen halb roten Kleid auf ihn zu, um ihn von meiner Erkenntnis zu berichten, die ich hatte, bevor sie alle herauskamen, um sich gegenseitig umzubringen. Nur um mich selber zu verteidigen, schoss ich auf diejenigen, die auf mich schossen. „Warum schießt du nur so halbherzig?" fragte mich Leon, als ich bei ihm war. „Weil wir keinen Grund mehr haben, sie umzubringen! Es ist vorbei, wir haben so gut wie gewonnen! Sie können uns nicht mehr aufhalten! Lass uns einfach nach Hause gehen!" Gedanken verloren schoss er noch ein bisschen auf Kyle, um schließlich ebenfalls von ihm abzulassen. Er merkte, dass ich recht hatte. Warum sollten wir die Soldaten und Kyle noch umbringen? Es hatte keinen Sinn mehr, weil wir hier die Gewinner waren. Wir mussten nicht noch Salz in die Wunde streuen. Wenn der andere Schachmatt war, verrückte man nicht noch die anderen Schachfiguren, um noch mehr zu gewinnen, weil man nicht noch mehr gewinnen konnte, es wäre einfach nur sinnlos gewesen. Genauso auch das töten von Kyle und den Soldaten. Die anderen Rebellen und Europäer merkten, dass wir aufhörten, gegen die Soldaten zu kämpfen und ließen sie gehen. Verunsichert standen wir uns irgendwann gegenüber und niemand machte irgendetwas mehr. Kein Schuss halte mehr durch die Luft. Wahrscheinlich war das der Moment, als wir alle realisierten, dass dieser Tag der letzte Tag der Vereinten Republik war. Niemand sagte irgendetwas und zum ersten mal in meinen Leben konnte ich das Wort „Episch" auf mein Leben anwenden. Auch wenn nichts passierte, es kein Lüftchen wehte oder sich die Temperatur veränderte, bekam ich eine leichte Gänsehaut, die sich langsam über meinen Rücken schlich. Verunsichert, bewegten sich die Soldaten und Kyle langsam rückwärts, so als wollten sie sicher gehen, dass wir sie nicht erschossen. Schützend stellten die Rebellen und die Europäer sich vor mich und Leon. Unser Tod wäre die einzigste Möglichkeit die Vereinte Republik am Leben zu halten, doch ohne uns, gab es keine Thronfolger und ich war mir sicher, dass die Rebellen nicht mehr Unterkontrolle zu kriegen gewesen wären, wenn Leon und ich tot gewesen wären. Die gesamte Vereinte Republik, wäre trotz ihrer Absicherung auch ohne Regierung zu überleben zugrunde gegangen. Wir hatten gewonnen und als Kyle und die Soldaten meines Vaters außer Sichtweite waren, begannen die Europäer und Rebellen langsam Jubelschreie durch die Straßen zu brüllen. Wir hatten es geschafft. Wir machten uns langsam auf den Weg nach Hause, mit der jubelnden Menge um uns herum. Am nächsten Tag hätten wir die Vereinte Republik endgültig so verändert, dass sie nicht mehr wieder zu erkennen gewesen wäre, doch als Leon und ich unsere Armbänder zur Bestätigung an den Sensor hielten, wurden sie abgelehnt. Verwundert sahen wir erst uns an und danach unsere Armbänder. Sie leuchteten beide in Gold und Silber, sie müssten funktionieren, doch aus irgendeinen Grund taten sie es nicht. Micki und Andreas die ebenfalls im Raum waren, um mit uns danach den Moment zu feiern, sahen ebenfalls verwirrt auf unsere Handgelenke inklusive Sensor, der rot leuchtete und auf den Bildschirm stehen hatte, dass wir dazu nicht befugt waren. Einige Sekunden sagte niemand irgendetwas, bis Leon, eindeutig sehr wütend, sein Armband vom Sensor nahm und erzürnt durch den Raum auf und ab lief, während Micki, Andreas und ich verdattert, als könnten wir die Welt nicht mehr verstehen, Leon ansahen. „Das ganze sollte funktionieren!" brüllte er durch den Raum. „Wir haben geheiratet, sind die einzigen Thronfolger, haben niemanden mehr, der uns in Weg steht, niemand der mehr höher gestellt ist als wir, also warum zum Teufel, funktioniert dieser Scheiß nicht?" Während Andreas und ich vor Leon standen und uns vorkamen wie zwei Schüler die zum Direktor mussten, weil sie scheiße gebaut hatten, rauchte Mickis Gehirn mal wieder. Langsam kam Andreas wieder aus seiner Starre. „Leon, jetzt beruhig dich mal wieder. Mit hoch rotem Kopf lässt es sich schlecht nachdenken." Leon hatte wirklich einen hoch roten Kopf, ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen und vor allem so rot. Leon wollte gerade darauf kontern, als Micki das Wort ergriff. „Es kann auch gar nicht funktionieren!" Verwirrt sahen wir alle Micki an und Leon war verwirrt, weil jemand eine Antwort hatte, warum dieser ganze scheiß, so wie er es ausgedrückt hatte, nicht funktionierte. „Ihr seit nicht die höchste Instanz dieses Landes! Deine Cousine ist es immer noch. Als wir das Gesetzbuch durchgelesen hatten, da hieß es, dass man nur sein Amt als Oberhaupt durch seinen Tod verlieren kann. Ihr könnt keine Entscheidungen treffen, solange deine Cousine noch am Leben ist! Ihr müsst sie vorher umbringen und wir wissen noch nicht einmal, wo sie ist. Ich bin mir sicher, dass dein Vater wusste, dass wir keine Entscheidungen ohne ihren Tod durchführen können und um ihr Leben zu schützen, hat er sie entführt." Langsam verarbeiteten unsere Köpfe das, was Micki gerade gesagt hatte. Als erste erwachte ich aus meiner Starre. „Nein!" Verwirrt blickten mich die Jungs an. „Nein, wir werden meine Cousine ganz sicher nicht umbringen! Ihr denkt doch nicht wirklich darüber nach!" kamen die Wörter entsetzt über meine Lippen. „Sie ist die einzigste, die uns noch vor unserem Sieg abhält. Wir alle haben zu hart und auch schon zu lange dafür gekämpft, um uns jetzt von deiner Cousine abhalten zu lassen!" meinte Micki. Natürlich hatten wir lange genug darum gekämpft, doch wir konnten deswegen doch nicht einfach meine Cousine umbringen! Wir konnten wegen einer bescheuerten Rebellion doch nicht einfach das Leben meiner Cousine beenden, doch was war ihr Leben wert im Gegensatz zu vielen Millionen? Konnte ich wirklich das Leben meiner Cousine einfach das von vielen anderen stellen? Eigentlich nicht, doch es ging hier nicht um das Leben von irgendjemanden, sondern um das meiner Cousine. Es war mir egal, ob ich das ganze rechtfertigen konnte oder nicht! Sie war verdammt nochmal meine Cousine und nur, weil sie sich in ihren Mann verliebt hatte, konnte man sie doch nicht einfach umbringen, wie sollten wir uns sonst von den anderen unterscheiden? Dann wären wir nicht besser als die Anhänger der Vereinten Republik gewesen. Langsam begann ich meinen Kopf zu schütteln, so als müsste ich noch eine Weile länger über meine Antwort nachdenken, doch meine Entscheidung stand fest. „Milea, wir..." fing Andreas an. „Nein!" unterbrach ich ihn und machte ihn mit meinem Finger deutlich, dass er lieber die Klappe hielt. Auffordernd sah er nun Leon an, der auf den Boden sah und deutlich unseren Blicken auswich. Ich wusste nicht, was ich schlimmer fand, wenn er sich einmischte oder wenn er es nicht tat. Langsam begann ich meinen Kopf zu schütteln. „Nein!" Die Jungs blickten von Leon zu mir. „Nein, ich werde das nicht zulassen!" Langsam wurde Andreas ungeduldig. „Milea, wir sind einfach zu weit gekommen, um jetzt einfach zu scheitern! Hier geht es nicht mehr einfach nur noch um uns! Es geht um Millionen von Menschen! Manchmal ist es gut, egoistisch zu sein, doch manchmal ist Egoismus, doch zu egoistisch!" „Denkst du nicht, dass wir langsam über genügend Leichen gelaufen sind?" „Rebellionen fordern nun mal Leichen!" „Ja, aber nicht, wenn es schon längst vorbei ist!" Er schnaubte, weil er so verzweifelt war, dass ich seine Meinung nicht einsehen wollte, doch ich blieb stur. „Du verhinderst die ganze Sache! Du verhinderst, dass Tausende von Menschenleben jeden Tag ihr Leben verlieren müssen, weil dieses System seine blöden Regeln weiterhin behält und wir sie nicht ändern können!" „Und wozu das alles, wenn wir am Ende unsere Menschlichkeit verlieren und genauso werden wie die, vor denen wir die Welt beschützen wollen?" „Wir würden mehr Leben retten, als wir umbringen würden!" „Wie kannst du ein Leben gegen ein anderes werten? Sollte nicht jedes Leben gleich viel wert sein und es somit keine Rolle spielen, wer stirbt sondern die Tatsache, dass wir uns einmischen und das nicht in unserer Macht steht? Meine Cousine ist genauso unschuldig wie der Rest der Menschen, die sterben müssen. Sie hat sich das ganze genauso wenig ausgesucht, wie wir es getan haben!" „Manchmal muss man seine Moral außer acht lassen!" Es war sinnlos. Wir drehten uns nur im Kreis. Er ließ nicht von seiner Meinung ab und ich sicherlich nicht von meiner. Ich schien nicht die einzigste gewesen zu sein, die zu dieser Erkenntnis kam. „Ich werde eine Mission ins Rollen bringen, in der wir deine Cousine umbringen werden, ob mit dir oder ohne dich!" Mit diesen Worten verließ er den Raum. Kurz blieb ich noch im Raum stehen, um Leons Reaktion abzuwarten, doch dieser blieb versteinert in seiner Pose. Genervt schnaufte ich und verließ ebenfalls den Raum, um aufs Dach zu gehen. Ich musste einen klaren Kopf bekommen und am besten bekam man den an der frischen Luft. Ganz sicher ließ ich meine Cousine nicht sterben. Ich brauchte eine ein Mann, beziehungsweise eine ein Frau, Plan, wie ich meine Cousine vor den Rebellen verstecken konnte, solange bis mir eine bessere Lösung einfiel. Ich stellte mich allein gegen die Rebellen und hatte dabei das erste mal seit langem wieder das Gefühl das Richtige zu tun. 

Scheinwelten - Weißes ArmbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt