Ich ging nach ein paar Wochen zu dem Denkmal der alten Vereinten Republik und dachte nach. Dachte über mein Leben nach, dachte über meine Freundinnen nach. Dachte über meine Scheinwelt nach, die ich hinter mir gelassen hatte. Dachte an eine Zeit, in der ich noch nicht von den Überbleibseln einer Revolution und vor allem eines Krieges heimgesucht wurde. Vor allem aber dachte ich zurück an den Moment, als mich Mella gefragt hatte, wie ich mir sicher sein konnte, dass diese Welt in der wir lebten nicht auch noch eine Scheinwelt war. Wir konnten es nicht wissen! Niemand sagte, dass wir in einer Scheinwelt lebten, alle waren der Ansicht, dass das hier die Wirklichkeit war. Vielleicht weil niemand die Wahrheit wahr haben wollte. Hätte jemand gesagt, dass das hier und jetzt nicht die Wirklichkeit war, wäre man sofort für verrückt erklärt worden. Wie sollte also irgendjemand sagen, dass diese Welt nicht echt war? Man glaubte doch niemanden. Also wenn man von niemanden gesagt bekam, dass diese Welt nicht echt war, wie könnte man dann wissen, ob diese Welt real war? Ich sah hinauf zur Statur. Ich war schon einmal aus einer Scheinwelt heraus gekommen. Das herauskommen an sich, war kein Problem gewesen, doch die Entscheidung, ob man auch wirklich aus seiner Komfortzone, aus dem Gewohnten herauskommen wollte, war um weiten schwieriger. Im Gegensatz zu vor ein paar Monaten, schob ich den Gedanken nicht zur Seite, ob ich aus der Scheinwelt heraus kommen sollte, falls diese Welt ebenfalls eine Scheinwelt sein sollte. Ich dachte ernsthaft darüber nach, doch was hatte sich von jetzt zu damals verändert? Natürlich hatte ich mich verändert, man veränderte sich ständig und dauernd, mit jeder Erfahrung ein Stückchen mehr, doch daran lag es nicht. Meine Situation hatte sich verändert, doch ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich eigentlich im Gegensatz zu vor ein paar Wochen glücklich sein sollte, weil die Revolution und der Krieg endlich vorbei waren oder weil ich meine Freunde vermisste. Erhoffte ich mir, in der eventuellen Scheinwelt wieder meine Freundinnen zu treffen? Sie wieder zu sehen. Sie zu sehen und wieder zu fünft zu sein. Endlich wieder vereint, sowie in meiner Scheinwelt? Wer konnte mir garantieren, dass ich sie dann wieder traf? Wer konnte mir garantieren, dass wir Freundinnen wurden? Wer konnte mir überhaupt garantieren, dass sie mich dann auch kannten? Wer konnte mir die Garantie geben, die ich in diesem Moment so unglaublich dolle suchte? Niemand! Niemand konnte jemanden anderen die Garantie geben, dass auch wirklich etwas so passiert, wie man sich das vorstellt. So war das Leben nun mal. Es gab keine Garantien und vielleicht war das auch gut so! Wer wollte schon ein Leben, wo man schon wusste wie es ausgeht? War das nicht etwas zu langweilig? Vielleicht war genau das, was mich nun dazu brachte, darüber nachzudenken, ob ich wirklich versuchen sollte, ob das nur eine Scheinwelt war. Mein Leben war mir zu langweilig geworden. Ich hatte keine Angst mehr, ich hatte keinen Kummer mehr, ich hatte nichts als das Glück und das ging mir langsam auf die Nerven! Es war stink langweilig, die ganze Zeit nur glücklich zu sein. Ich war mir sicher, dass es einen Grund gab, warum Menschen genau die Geschichten gut finden, die nicht nur vom Glück des Lebens erzählen. Wer will schon eine Geschichte hören, in der alles gut verläuft. Warum sollte man dann ein Leben haben, welches einen keine Herausforderungen stellt? Glücklich zu sein war im Grunde nichts schlechtes. Ich wollte glücklich sein, doch ich wusste es langsam nicht mehr zu schätzen. Ich brauchte etwas, womit ich wieder die Bedeutung von Glück finden konnte und in diesem Moment fand ich die in einer anderen Welt. Ja, vielleicht bereute ich es, doch manchmal musste man in seinem Leben Risiken eingehen, damit man nicht in der Langeweile zerfiel. Vielleicht klappte es auch gar nicht, das war auch nicht schlimm, dann musste ich mir nicht ständig die Frage stellen, was wäre wenn und konnte endlich sicher sein, dass diese Welt keine Illusion war. Ein letztes Mal sah ich mir dir Statur an, dachte an mein Leben in der Vereinten Republik zurück, dachte über meine Freundinnen nach und dachte zu guter Letzt auch an Leon. Sie alle wollte ich suchen gehen, zusammen mit meinen Eltern. Vielleicht hätten wir ja in der Welt mehr Glück und wenn nicht war das auch okay. Manchmal lohnt es sich auch schon, wenn man einfach nur an den eigenen Herausforderungen wächst. Ich setzte mich an den Sockel bereitete mich vor und wurde mir bewusst, dass wenn ich das nächste mal die Augen aufmachte, vielleicht schon in einer anderen Welt aufwachen konnte. Innerlich verabschiedete ich mich von allen und schloss meine Augen für einen längeren Moment, um sie dann wieder langsam zu öffnen...
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Scheinwelten - Weißes Armband
Science FictionLetzter Teil von Scheinwelten! Was würdest du machen, wenn die Welt, dein Land, indem du lebst, dabei ist an sich selber zugrunde zu gehen? Auf welcher Seite würdest du kämpfen? Wo würdest du stehen wollen, wenn alles dabei ist zu Grunde zu gehen? ...