vierundzwanzig

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Als ich atemlos an der Tür anklopfte, hoffte ich inständig, dass meine Geschichtslehrerin und die anderen Schüler nichts von dem heftigen Disput zwischen Lukas und mir gehört hatten.
Zu meinem Glück öffnete sie die Tür jedoch mit einem, wie immer, freundlichen Gesichtsausdruck und bat mich herein.
Erst als sie sah, dass ich kein einziges Buch in der Hand hielt und ohne Lukas gekommen war, begutachtete sie mich misstrauisch, woraufhin ich entschuldigend lächelte und ihr als erst beste Erklärung erzählte, dass mir übel geworden war und ich mich lieber hinsetzen wollte.
Ich konnte von Glück reden, dass meine Geschichtslehrerin eine der wenigen war, die so gut wie immer Verständnis für ihre Schüler aufwiesen, weshalb sie mich bemitleidend ansah und einen anderen Schüler losschickte, um Lukas mit den ganzen Büchern unter die Arme zu greifen.
Natürlich hoffte ich, dass Lukas seine Wut verstecken und nicht an dem unbeteiligten Paul auslassen würde, der sich gerade auf den Weg zur Bibliothek machte, um meine Aufgabe zu übernehmen.
Mika warf mir einen besorgten Blick zu, doch ich signalisierte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte.
Noch war ich mir nicht sicher, ob es besser war, sie von dem Vorgefallenen zu informieren oder ihr nichts davon zu erzählen. Ich wusste ja mittlerweile, wie impulsiv sie sein konnte und ganz bestimmt würde sie dadurch nicht besser auf Lukas zu sprechen sein. Ganz im Gegenteil.
Meiner Meinung nach reichte es schon aus, dass er mich hasste, das musste er nicht auch noch auf meine unschuldige Freundin übertragen, die er ja sowieso schon nicht leiden konnte.

Als Lukas mit Paul im Schlepptau zurück in den Raum kam, durchlöcherte mich sein verachtender Blick und seiner Wut verlieh er deutlichen Ausdruck, indem er den Stapel Geschichtsbücher mit einem lauten Knall auf einen der freien Tische knallte, was nicht nur meine Lehrerin sondern auch unsere Mitschüler zusammenzucken ließ. Wir lieferten uns ein kurzes Blickduell, doch ich wendete mich schon nach wenigen Augenblicken wieder von ihm ab. Langsam schienen auch die anderen Schüler zu verstehen, dass irgendetwas nicht stimmte, doch ich ignorierte die fragenden Gesichter so gut ich konnte, Mikas eingeschlossen.
Die folgende halbe Stunde versuchte ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, was mir tatsächlich sogar ganz gut gelang und ich schaffte es, Lukas sogar komplett auszublenden und zu vergessen. Das funktionierte leider nur so lange, bis die Schulklingel ertönte und das Stundenende ankündigte. Mit dem Leuten der Klingel wurde ich zurück in die Realität katapultiert und sofort galt meine Aufmerksamkeit meiner Freundin, die mich offensichtlich besorgt ansah.
„Ist vorhin irgendetwas passiert? Du sahst so wütend aus als du reinkamst und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass das etwas mit Lukas zutun hat", fragte sie leise und strich dabei vorsichtig über meinen Arm, was mir Gänsehaut bereitete.
Ich wollte gerade etwas darauf antworten und überlegte noch, ob ich Mika die ganze Wahrheit erzählen oder die Geschichte etwas abschwächen sollte, da ertönte hinter mir plötzlich eine laute Stimme, die ich sofort erkannte.
„Na Elly? Was hast du heute noch vor? Ich nehme an, du willst deine ekligen Gelüste ausleben, stimmt's?"
Blitzartig fuhr ich herum und funkelte Lukas wütend an, der sich vorne neben das Lehrerpult gestellt hatte und die Aufmerksamkeit mit seiner Frage auf sich zog.
„Muss das wirklich sein? Bist du so armselig, dass du mich jetzt hier vor der ganzen Klasse bloßstellen und beleidigen musst?"
Ich hörte Mika hinter mir empört schnaufen und hätte mich gerne zu ihr umgedreht und sie beruhigt, doch stattdessen ging ich zornig einen großen Schritt auf Lukas zu und blieb in provozierend nahem Abstand vor ihm stehen.
Dass sich mittlerweile alle anwesenden Schüler zu uns gedreht hatten und den sich aufbauenden Streit interessiert beobachteten, blendete ich völlig aus und fokussierte mich ausschließlich auf meine unbändige Wut, die es irgendwie in Schach zu halten galt. Mein gegenüber jedoch dachte gar nicht daran sich zurückzuhalten, ganz im Gegenteil. Lukas redete sich richtig in Rage und warf mir abwechselnd vulgäre Beleidigungen an den Kopf und begann wild mit den Händen zu gestikulieren, um seine Worte damit zu unterstreichen. Als würde es nicht schon reichen, was er da vor versammelter Mannschaft veranstaltete, wendete er sich nun auch noch direkt an die Menge und erhob seine Stimme dabei so, dass auch die hintersten es hören konnten.
„Wusstet ihr etwa noch nicht das aller Neuste? Elly hier ist eine widerliche, dreckige Lesbe!"
Während er die letzten Worte so abwertend und verächtlich wie möglich ausspuckte, deutete er mit einer weiten Handbewegung in meine Richtung. Ein erstauntes Raunen ging durch den gesamten Raum, nur Mika hörte ich hinter mir verärgert knurren.
Ich konnte beobachten wie sich von einer Sekunde auf die nächste verschiedene Emotionen auf den Gesichtern meiner Mitschüler ausbreiteten und fühlte mich plötzlich unglaublich unwohl. Natürlich stand ich dazu, dass ich mich in Mika verliebt hatte und eigentlich interessierte es mich nicht, dass Lukas mich deshalb zu hassen schien, jedoch lagen alle Blicke plötzlich auf mir und ich fühlte mich wie ein seltener Vogel in einem engen Käfig, der den neugierigen Blicken der Menschen nicht entkommen konnte.

Obwohl ich mir versuchte einzureden, dass es in Ordnung wäre, wenn sich nun alle von Mika und mir abwenden würden, tat die Vorstellung trotzdem etwas weh. Ich hatte nie zu diesen Mädchen gehört, die ihre Persönlichkeit durch ihren Bekanntheits - und Beliebtheitsgrad definierten, jedoch wollte ich trotzdem nicht gemieden werden, nur weil ich meine erste wahre Liebe in einem anderen Mädchen gefunden hatte und nicht mit einem Jungen ausging. War es denn wirklich so verwerflich, dass man das gleiche Geschlecht liebte? Wie konnten manche Menschen es bloß als minderwertig oder ekelhaft abstempeln, wenn man nicht heterosexuell war. Einen solchen Gedankengang konnte ich nicht einmal ansatzweise nachempfinden und das wollte ich auch unter keinen Umständen, doch die Angst von den anderen verstoßen zu werden wuchs mit jedem Moment, den ich mich nackt und vorgeführt fühlen musste.
Bis jetzt wagte es niemand, etwas zu sagen und eine gespenstische Stille erfüllte den Raum.
Lukas hatte ein zufriedenes Grinsen auf den spöttisch verzogenen Lippen und sah triumphierend von mir zu Mika und anschließend zu den anderen. Er räusperte sich laut und wühlte dann in seiner Hosentasche, um sein Handy hervorzuziehen. Was als nächstes folgen würde, ahnte ich schon. Am liebsten wäre ich zu ihm gestürmt und hätte ihm sein Smartphone erneut aus der Hand geschlagen, doch dafür war es nun sowieso zu spät. Er hatte das Geheimnis schon längst gelüftet und selbst wenn ich noch verhindern würde, dass er das Bild herumzeigte, würde es nichts an der Tatsache ändern, dass es schon jeder wusste.
„Falls ihr es mir nicht glaubt; hier ist der Beweis!", grölte er und riss ruckartig seinen Arm nach oben, so dass jeder das Foto sehen konnte, welches er siegessicher präsentierte.
„Oh Gott, das gibts ja nicht! Mika und Elly... Das hätte ich nie für möglich gehalten.", meldete sich plötzlich jemand zu Wort, dessen Meinung mir zu diesem Thema sehr wichtig war. Mein Herz rutschte mir in die Hose, als sich Thara aus der Menge nach vorne drängelte und die Augen dabei nicht von dem Foto abwendete, auf dem Mika und ich zu sehen waren. Lukas lachte gehässig auf und sagte: „Richtig, das hätte wahrscheinlich niemand hier für möglich gehalten, aber wie du siehst, ist deine Freundin Elly doch anders als wir immer dachten."
Lukas lies seinen Arm mit dem Handy sinken und ließ es anschließend wieder in seiner Hosentasche verschwinden.
Gleichzeitig bewegte ich mich zurück zu meinem Platz, wo Mika sich an der Tischkante anlehnte und mir einen mitfühlenden Blick zuwarf. Sie schien genauso wenig wie ich zu wissen, was wir tun könnten, um die Situation zu retten.
„Oh Mann...", hörte ich sie flüstern, als ich meine Hand mit ihrer verschränkte und den Blick auf den Linoleumboden gleiten ließ, wobei ich krampfhaft versuchte, Wut und Angst unter Kontrolle zu halten und mich aus dem Mittelpunkt zurückzuziehen.
In diesem Moment ergriff Thara wieder das Wort.
„Sicher Lukas, du hast Recht mit der Tatsache, dass Elly anders ist, als wir alle dachten: Sie ist, wie du ganz offensichtlich bewiesen hast, nicht an dir interessiert."
Lautes Gelächter brach unter den Anderen aus und Thara zwinkerte mir aufmunternd zu.
Ich wusste nicht wie ich vor Erleichterung reagieren sollte, doch es fühlte sich auf einmal so an, als bröckelte eine Mauer um mich herum.

Since our fate has decided (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt