10 | „Schlaf schön."

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Ich ging nach unten und konnte ausser Luke niemanden finden.
Jane muss wohl schlafen gewesen sein.

,,Sie ist eingeschlafen.", gab ich bekannt und Luke sah nach hinten zu mir. Er stand auf und näherte sich ein wenig zu mir. ,,Danke für das."

Ich lächelte leicht.

,,An dem Tag...", fing ich an und er sah mich fragend an,
,,Da hatte ich diese Tasche mit. Wo ist die?"

,,Ah! Die ist im Auto.", sagte er und lief zur Tür, ,,Ich hole sie."

Bevor ich überhaupt antworten konnte, war er schon draussen.

Ich ging zur Küche, weil dort mein Handy auf dem Tresen lag. Ich machte es an und las schon die ersten Nachrichten.

16 verpasste Anrufe von Dad
21 verpasste Anrufe von Mom

Und noch einige Nachrichten, wie Ruf zurück oder Wo steckst du? waren.

Ich ruf Dad an.

,,Angeline! Gott sei Dank! Ich wollte schon die Polizei alarmieren."

,,Mir geht's auch gut.", sagte ich sofort und kurz herrschte eine Stille.

,,Wo bist du?"

,,Bei..."

Ich stoppte mich selber. Sollte ich 'einem Freund' sagen? Oder sollte ich gar nicht erst drauf eingehen?

,,Bei einem Freund.", entschied ich mich dann schnell und hörte wie Dad tief Luft ausatmete.

,,Kannst du deiner Mutter wenigstens Bescheid geben? Sie macht sich Sorgen um dich."

Ich stoppte.
Mom machte sich Sorgen um mich? Niemals.

,,All die Jahre hat sie sich keine Sorgen gemacht und genau dann, wenn sie mich nicht anschreien kann, macht sie sich Sorgen um mich?!"

,,Es ist nicht so wie du denkst..."

,,Wie ist es dann Dad? Sag es mir. Sag mir, dass ich diesen ganzen Trauma all die Jahre falsch gefühlt habe. Sag mir, dass du immer bei mir warst oder das Mom mir Fürsorge schenkte."

,,Du musst anfangen Dingen zu verstehen."

,,Was verstehen?!", entgegnete ich sauer und laut und stoppte mich dann selbst.

Beruhig dich, Ann. Du bist stark genug.

,,Sag mir nicht, dass ich Dinge verstehen soll, wenn du mir nicht einmal beigebracht hast, Dinge zu verstehen!"

,,Ann..."

,,Ist dir schon aufgefallen, dass ich dich seit dem ich sechs bin, nicht ein einziges Mal gesehen habe?"

,,Ja, aber die Arbeit-"

Ich unterbrach ihn falsch lachend.

,,Dad... Ich bin siebzehn. Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du wegen der Arbeit abgehauen bist?"

Lange herrschte Stille und ich hörte nur noch, wie er durchs Telefon atmete.

,,Womit hat ein sechs jähriges Mädchen das verdient?", fragte ich ihn, ,,Was habe ich Mom angetan, dass sie mich so hasst? Was war mein Fehler?"

,,Nichts."

,,Trotzdem musste ich das alles erleben? Hast du mich jemals gefragt, wie es mir geht? Ob, zum Beispiel, das Geld Zuhause reichte? Oder ob ich einfach psychisch stabil war? Hast du je einmal ganz normal, wie jeder Vater es hätte tun sollen, gefragt ob es mir gut geht? Hast du nicht!"

,,Du bist mir so viel wert. Lass mich nicht schlecht fühlen bitte..."

,,Du fühlst dich noch nicht schlecht?"

Ich atmete tief Luft und versuchte die Wut zu unterdrücken.

,,Weder du noch Mom sollen mich anrufen. Jetzt werde ich mein Leben so leben, wie ich es mir zehn Jahre lang vorgestellt hatte."

Und mit diesen Worten lag ich auf.
Ich schmiss das Handy auf den Tresen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

Es musste ja auch immer mich treffen. Jemanden, der schon genug belastet war mit Dingen, die er alleine nicht lösen kann.

Langsam strich ich über meine Haare und drehte mich dann um, als ich Luke mit meiner Tasche vor mir stehen sah.

Ich erkannte keine Gefühle an seinem Gesichtsausdruck. Es war anders. Hatte er das ganze Telefonat mitbekommen? Ich hoffe nicht.

,,Meine Tasche.", fing ich an und näherte mich zu ihm um die Tasche zu nehmen. Er gab mir die Tasche und sah mich tief an.

Dieser Blick schenkte mir Unsicherheit und ich hoffte, so sehr, dass er nicht über das Thema jetzt sprach. Ich hoffte es so sehr.

Ich ging mit langsamen Schritte zur Treppe, als er mich aufhielt.

,,Wir haben morgen was vor.", gab er bekannt und ich drehte mich verwirrt um.

,,Mit mir?", fragte ich und er nickte.

Was konnte man mit mir denn vorhaben?

,,Was denn?", fragte ich erneut und er zuckte grinsend die Schulter.

,,Wirst du wohl oder übel morgen erfahren."

,,Luke, sag es mir.", befahl ich, doch er schüttelte den Kopf.

,,Ich kann sonst nicht schlafen, bitte."

,,Schlaf schön.", provozierte er und setzte sich vor dem Fernseher.

Beleidigt ging ich nach oben in das Zimmer, das mir zugeteilt wurde.
Es war recht groß und zog mich schnell um, da ich müde war. Danach lag ich mich auf das Bett und starrte die Decke an.

Was könnte er morgen mit mir vorhaben?
Wieso mit mir überhaupt?
Sollte ich mich freuen oder doch nicht?

Und mit diesen Fragen fiel ich in den Schlaf.

Angel Ine Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt