77 | „Du bist schon verletzt."

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Es klingelte an der Tür und ich ging sie – wie jeden Tag – öffnen. Ich dachte, vor der Tür würde Luke stehen, doch es war Alexia. Meine Schwester. Etwas verwirrt, dennoch überrascht blickte ich ihr ins gezwungend lächelnde Gesicht.

,,K-Komm doch rein.", bot ich an und sie nickte schwach, als sie sich rein bewegte.

Zu gerne wollte ich wissen, was sie hier zu suchen hatte. Zumals hatte ich eigentlich keinen richtigen Kontakt zu ihr. Wir waren nur Schwestern. Aber reden taten wir nicht wirklich.

In ihrer Hand befand sich eine Tüte, welche sie fest um ihre Finger gewickelt hatte. Auch skeptisch sah sie aus, als sie sich hinsetzen wollte. Es war so, als könnte ich ihre Gedanken lesen.
Sie hatte Angst etwas falsches zu tun.

,,Du kannst dich da auf die Couch setzen.", sprach ich und sie nickte leicht, während sie einen freien Platz auf der Couch fand. Ebenfalls saß ich mich vor ihr hin und beobachtete sie, wie sie ihren Blick durch das Haus schweifte.

,,Ich muss mich entschuldigen", fing sie an und setzte ihren Blick auf mich,
,,Weil ich nicht früher gekommen bin um mein Beileid zu teilen."

Ich hasste es zu wissen, dass ich im Leben immer verlor. Egal, was es war.

Schnell setzte ich mir ein gezwungenes Lächeln.

,,Ich bedanke mich-"

,,Vermisst du ihn?", unterbrach sie mich fragend.

Das falsche Lächeln verblasste mir und meine Augenbrauen zogen leicht zusammen.

,,Natürlich, tu ich das.", antwortete ich etwas angespannt.

Alexia schärfte ihren analysierenden Blick und verstärkte diesen mit ihren zusammengekniffenen Augen, als sie sich dann auch ein wenig nach vorne beugte.

,,Stell dir vor, wie dein Leben wäre, wenn du deinen Vater noch nicht kanntest und er dann stirbt."

Meine Finger fingen leicht an zu kribbeln und ich merkte wie mein Herz schneller schlug.

Was versucht sie zu erreichen?

,,Wäre es schlimmer, wenn du deinen Vater nie gekannt hättest oder ist deine Situation schlimmer?"

Nun schaute ich sie völlig verwirrt an und verstand gar nicht, wieso sie mir solche Fragen stellte.
Sah sie nicht, dass ich verletzt war?
Tat sie es bewusst?
Was war eigentlich ihr Problem?

,,Wieso fragst du?", kam es wie aus der Pistole geschossen von mir.

Ihr Blick lockerte sich und sie lag ihre Hände auf ihre Knie.

,,T-Tut mir leid. Ich wollte dich nicht noch mehr verletzen."

Das Mädchen hatte definitiv etwas vor. Kein Mensch würde so tiefe Fragen stellen, wenn er wüsste, dass es mir schon so scheisse ging.

,,Wie geht es Luke?"

Ich zog scharf die Luft ein und lehnte mich etwas fester an den Sitz. Die Hände faltete ich ineinander und sah Alexia etwas grinsend an.

,,Keine Ahnung. Sag du's mir."

Der Gedanken, dass Luke und sie etwas geplant hatten, bohrte sich in mir. Doch das Mädchen versuchte es weiter zu überspielen.

,,Ich verstehe nicht-"

,,Alexia, wieso bist du hier?", unterbrach ich sie mit zusammengekniffenen Augen,
,,Du redest doch sonst nie mit mir. Also, wieso tust du es jetzt?"

,,Weil ich mich dazu verplichtet fühle, dir mein Beileid zu wünschen."

,,Wir wissen beide, dass du hier nicht erschienen bist um mir dein Beileid zu teilen.", behauptete ich selbstsicher und diesmal tauschte sie diesen unschuldigen Blick mit ihrem schmunzelnden aus. Langsam stand sie auf und blickte mich grinsend an.

,,Du bist verletzend, Angeline. Aber ich werde dir keine Möglichkeit geben mich zu verletzen."

Ebenfalls stand ich auf und näherte mich zu ihr, als zwischen uns nur noch einige Zentimeter waren. Lange blickte ich ihr lächelnd in die Augen.

,,Du bist schon verletzt."

Meine Schwester überlachte dies nur und rollte dabei ihre Augen. Sie lag die Tüte ab und bewegte sich zur Tür. Ich drehte meinen Körper zur Tür und musterte Alexia.

,,Ah. . Bevor ich es vergesse", fing sie an und öffnete die Tür, während sie sich zu mir drehte,
,,Ein kleines Geschenk von mir. Ich nahm an, dass könntest du in dieser Zeit gut gebrauchen."

Das waren ihre letzten Worte, als sie die Tür hinter sich schloss und mich mit der Verwirrung alleine ließ. Mein Blick haftete bei der schwarzen  kleinen Tüte, die einfach nur auf dem Sofa lag.

Ich beugte mich um zur Tüte zu greifen. Lange hielt ich es in der Hand und starrte drauf, als wäre es eine Zeitbombe.

Ob ich Angst hatte?
Eigentlich schon.

Soweit ich Alexia kannte, war sie kein Mädchen, welches einfach so nett sein konnte. Da würde sie auch auf gar keinen Fall ein ganz normales Geschenk kaufen.
Sie war schließlich meine Schwester.
Und genau das beunruhigte mich sehr.

Mut überkam mir und ich öffnete die Tüte als wäre nichts dabei. In meiner Hand waren einige Bilder und dann noch ein Spielzeug und eine Botschaft. Ich nahm die Botschaft in die Hand und las sie.

Das hattest du bei uns vergessen, als wir zwei Jahre alt waren. Daneben sind einige Bilder von unserer Kindheit. Bon Appetit!

Schnell lag ich den Zettel weg und nahm mir die Bilder hervor, während ich mich auf die Couch hinsetzte.

Auf einem Bild waren zwei kleine Mädchen zu sehen, die Schokolade an dem Mund und ganz kurz geschnittene Haare hatten. Beide sahen zugegebenermaßen sehr süß aus. Doch eines der Mädchen hatte ein blaues Spielzeug in der Hand. Es sah eher aus wie ein Musikspielzeug. Ich lag es weg und nahm mir das zweite Bild hervor. Auf diesem hielt das eine Mädchen eine gelbe Blume und zeigte es stolz der Kamera, während das andere Mädchen sie an der Taille umarmt.

Das konnten niemals wir beide sein. So fröhlich wie wir aussahen. Wieso hatte man uns voneinander getrennt?

Die anderen Bilder zeigten erneut zwei kleine Mädchen, die mehr als nur fröhlich aussahen. Diesmal nahm ich das Spielzeug in die Hand und beobachtete es genau. Es war das Musikspielzeug von einem der Bildern. Der blaue Delphin stand auf einem Podest, daneben ein kleiner Hebel. Ich drehte es und es fing an Musik von sich zu geben. Es schossen mir überhaupt gar keine Erinnerungen in den Kopf.

Wieso brachte mir Alexia das?

Schnell lag ich alles in die Tüte, als ich eine Autotür zu knallen hörte. Es war Luke, wer sollte es sonst sein? Panisch versuchte ich die Tüte in eines der Schubladen zu verstecken und es gelung mir.

Doch, es würde mir nie gelingen, zu verstehen, wieso Alexia mir diese Dinge mitbrachte.

Angel Ine Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt