76 | „Verwechsele mich nicht."

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,,Ihr geht es nicht so gut. Der Tod von ihrem Vater hat sie einfach zu einem komplett anderen Menschen gemacht. Ich weiß nicht, was zu tun ist."

Es war die Stimme von Luke, der mit irgendjemandem telefonierte. Ich drückte meinen Körper fester an die Türleiste in der Hoffnung das Gespräch besser zu verstehen.

,,Auf gar keinen Fall. Das kannst du vergessen.", meinte er selbstsicher und ich fragte mich, was er verneinte.
,,Gibt es denn keine andere Methode sie zu schützen?"

Die Person am Telefon erzählte irgendetwas, doch Luke war nicht davon überzeugt, das konnte ich an seiner Stimme hören.

,,Ich habe mich gestern echt mies gefühlt, weil ich sie dazu gezwungen habe den Stoff aus ihrem Körper zu entleeren. Ich kann nichts schlimmeres machen, dass musst du machen. . Ja, ich weiß, William, dir bedeutet sie auch viel, aber wenn das so weiter geht, habe ich Angst, dass sie sich etwas antun wird. Verstehst du? Sie hat den Verstand verloren, das merke ich."

Eine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut und ein Kribbeln konnte ich spüren.
Luke denkt, dass ich den Verstand verloren hätte. . Der einzige Mensch, dem ich vertrauen konnte. Nun, hatte er mich auch verraten. Und das noch mit meinem Bruder.

Ich hasste mich.

Er drehte sich um und sah mich panisch an.
,,Ehm. . I-Ich rufe dich später an. Bis dann."

Als er auflag, näherte er sich lächelnd zu mir und streichte mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

,,Wie geht's dir?", fragte er.

Ann, tu einfach so, als hättest du nichts gehört.

Schnell lächelte ich zurück und nickte.
,,Ganz gut."
Meine Stimme schwankte, doch Luke schien das nicht aufgefallen zu sein.

,,Hast du Hunger? Ich wollte gerade Frühstück vorbereiten."

,,Mit wem hast du telefoniert?", fragte ich hastig ohne seine Frage überhaupt zu beantworten. Er blickte mich leicht irritiert an.

,,Mit meiner Mom.", log er.

Er log.

Das Lächeln verblasste mir und ich merkte, wie die Tränen, die man kaum stoppen konnte, rausfließen wollten, doch ich beherrschte mich.

,,A-Ach wirklich? W-Wie geht es ihr?", fragte ich vorsichtig und bewegte mich zum Tresen, damit ich mir Wasser eingießen konnte.

,,Ihr geht es gut.", antwortete er und beobachtete mich, wie ich versuchte mir Wasser einzugießen. Ich kleckerte einige Male, doch trank das Glas dann sofort aus und wischte den Tresen ab.

,,Ann, alles gut?", fragte Luke und wollte meinen Arm anfassen. Schnell wich ich zurück und strich mir selbst eine Strähne aus dem Gesicht, während ich falsch lächelte.

,,Alles super.", log ich und ging auf mein Zimmer, schloss die Tür ab. Langsam setzte ich mich auf mein Bett und vergrub mein Gesicht in das Kissen.

Ich konnte es nicht stoppen. Es fühlte sich an, als würde man mir ein Messer in meinen Brustkorb rammen. Mein Herz zog sich zusammen und ich versuchte so leise wie möglich zu weinen. Das machte die Sache nur noch schwerer. So leise wie möglich zu weinen, damit die Person es nicht mitbekommt, war somit das schwerste überhaupt.

Es klopfte an der Tür und ich wusch meine Tränen schnell weg.

,,Angeline, mach die Tür auf.", hörte ich Luke und ich musterte mich im Spiegel. Schnell versuchte ich die restlichen Tränen wegzuwischen.

,,I-Ich ziehe mich um!", gab ich laut bekannt, doch er klopfte immer noch weiter.

,,Mach trotzdem auf."

Langsam atmete ich einige Male ein und aus, sodass ich mich beruhigte. Mit dem Mittelfinger tupfte ich auf meine Augenringe und seufzte anschließend aus.

Ich sah grässlich aus.

Sofort schnappte ich mir ein Oberteil und zog es über meinen Kopf, während ich zur Tür rannte und sie öffnete. Luke schaute mich verwirrt an, doch mein Blick war nur auf den Boden gerichtet. Er betrat das Zimmer und suchte nach irgendetwas.

,,Ich habe keine Tabletten mehr. Du hast sie mir alle weggenommen.", sprach ich, doch er suchte weiter.

,,Als würdest du es zugeben. .", murmelte er und stoppte das Suchen, als er mich an sah. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte ich ihn an, als er sich zu mir bewegte und meine Handgelenke durchsuchte.

,,Was tust du?!"

Als hätte er mich nicht gehört, zog er auch noch meine Jogginghose runter und kniete sich hin, welches einfach zu zweideutig aussah. Er strich mit seinen Fingern über meinen Oberschenkel und sah mich von unten an, als ich spürte wie seine Finger auf meinen alten Narben lagen. Ich schubste ihn leicht von mir weg und zog meine Jogginghose wieder an.

,,Wer hat dir die Erlaubnis gegeben mich anzufassen?", fragte ich wütend aber auch laut.

Der Junge stand auf.
,,Wann war das letzte Mal, als du es getan hast?"

,,Kann dir egal sein. Lass mich in Ruhe.", machte ich ihn dumm an und wollte raus, als er mich stoppte.

,,Du gehst. Immer versuchst du irgendwelchen Diskussionen zu entweichen, weißt du auch warum? Weil du Angst hast. Du hast Angst dich mit der Wahrheit durchzusetzen. Genau das ist es!"

Ich drehte mich um und sah ihn fassungslos an.

,,Bringe es nicht so weit, dass ich verletzend wirken kann, Luke. Achte auf deine Wortwahl-"

,,Du. Hast. Angst."

Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich ihn, obwohl die Wut in mir kochte.

,,Du hast Angst vor der Wahrheit. Du hasst die Wahrheit. Für dich muss alles immer eine Lüge sein, weil du die Wahrheit nicht verkraften kannst."

,,Deswegen hast du mir dreist ins Gesicht gelogen?", schoss ich und er setzte einen neutralen Blick auf.
Langsam näherte ich mich zu ihm, doch hörte nicht auf zu reden.

,,Du hast von nichts Ahnung, Luke. Mir kannst du so eine Scheiße vorwerfen, aber das nur, weil du gerade selbst verletzt bist. Du brauchst jemanden als Stresspuppe und wählst mich. Du willst die Wut in dir an mir auslassen und genau das macht dich nicht zum besseren Menschen. Du bist hier der Jenige, der Angst hat. Verwechsele mich nicht."

Meine Worte bohrten sich in ihn ein, das sah ich.

,,Du bist lächerlich, Angeline.", behauptete er.

,,Ein Tipp von mir Luke: Diese Welt ist zu grausam um ihr zu zeigen, dass die Menschen dich verletzen."

,,Ich habe erst neu erfahren, dass mein Vater da draußen ist und lebt. Hast du mich je gefragt, ob es mir gut geht?"

,,Denkst du, ich wäre in der Lage klar zu denken? Erst gestern warst du der Jenige, der mir mein Leben gerettet hat. Du hast selbst am Telefon gesagt, dass ich den Verstand verliere, welches auch stimmt. Ich kann nicht klar denken."

,,Dann unternimmst du etwas dagegen, so einfach.", meinte er locker.

,,Wow. . So einfach ist es oder? Super. Ich hatte dich schlauer eingeschätzt, Luke."

Diesmal wollte ich wirklich gehen, doch ich hörte nur noch wie Luke rief: ,,Wir werden uns sowieso wieder vertragen. Also, bringe es nicht zu weit."

Angel Ine Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt