Kapitel 42

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Die Volturi springen von ihren Sitzen auf. Dabei kippen mit lauten Knallen die Stühle um. Kalte Hände legen sich um meinen Hals und ich schreie auf.,, Ganz ruhig", sagt der Mann leise in mein Ohr und zieht mich an den Haaren nach hinten. Dann greift er mir mit der anderen Hand an die Brust. Nein, soweit würde ich es nicht kommen lassen. Ich schlage den Kopf nach hinten und sehe ihm in die Augen. Dann lasse ich meine Gabe los. Er kneift in meine rechte Brust und lässt schließlich von mir ab und sinkt zu Boden. Schnell drehe ich mich um und köpfe ihn mit einer schnellen Bewegung. So ein Arsch! Der so schöne Raum ist ein Schlachtfeld. Überall liegen umgekippte Stühle und kämpfende Vampire und Tote. Demetri? Wo ist Demetri? Ich sehe nur Cara. Sie kämpft mit einem blonden Mann. Ich renne zu ihr und köpfe den Mann von hinten. Sie sieht mich dankbar an. Ihre Make up ist verschmiert und ihre Haare sind wirr.,, Gib mir Deckung", zische ich ihr zu.,, Wozu?",, Mach einfach." Mein Stand ist möglichst stabil. Dann fange ich an, meine Gabe zu fühlen und sie dann auszuweiten. Erst die Frau vor mir, dann der Mann, der gerade Cara angreift.,, Sie. Ihr müsst sie angreifen, bevor sie ihre Gabe ausüben kann", höre ich eine Frau, wahrscheinlich Kathleen, keifen. Doch bevor mich irgendjemand erreicht, spüre ich einen heftigen Schmerz. Wie als würde ein Dolch in meinen Kopf gebohrt werden. Kathleens Gabe. Ich sinke auf die Knie und drücke die Hände auf den Kopf. Sie soll endlich aufhören. Demetri wird rasend vor Wut. Das merke ich durch das Band, aber alles ist abgeschwächt, die Geräusche, das Band, der Geruch nach Rauch.

Moment, der Geruch nach Rauch? Warum brennt es denn jetzt?,, Cara", stöhne ich,,, mach Kathleen kalt.",, Kann gerade nicht", ächzt sie. Ich bäume mich gegen meine Kopfschmerzen auf und kneife meine Augen zusammen. Dann weite ich meine Gabe fluchtartig aus. Solange ich noch in der Lage dazu bin, will ich so vielen schaden wie möglich. Die Schmerzen in meinem Kopf werden unerträglich und dann hören sie auf einmal auf. Schnell stehe ich auf. Dafür kommt jetzt der Druck meiner Gabe in meinen Kopf. So einen Blackout kann nun gar nicht gebrauchen. Wir gucken mal, in wie weit und wie lange ich den Anfall noch zurückhalten kann. Nun versuche ich, mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Die Vampire sind weniger geworden. So wie Volturi als auch Rumänen. Demetri tötet einen Vampir nach dem anderen, auch Cara, Felix und Santiago sind vollends dabei. Corin und Jane kämpfen bei den Meistern. Da ist eine Übermacht. Natürlich haben sie es auf die Meister, wahrscheinlich besonders auf Aro, abgesehen. Ich laufe zu den Rumänen, schlage auf dem Weg einige Vampire nieder und stelle mich vor Meister Aro. Der Druck wird stärker und ich frage mich immer mehr, wie lange ich dem noch Stand halten kann. Ich weiß noch nicht mal, ob ich gerade verbündete oder gegnerische Vampire schlage. Es scheint, kein Ende zu nehmen. Überall Gegner und Schreie. Wahrscheinlich von Janes Gabe. Ab und zu sieht man auch schwarzen Nebel, also lebt Alec auch noch. Santiago steht neben mir. Warum bemerke ich ihn erst jetzt?,, Warum setzt du deine Gabe nicht ein, Sina?", keucht er und schlägt einen schwarzhaarigen Mann zurück.,, Wonach sieht's denn aus? Ich kriege gleich einen Anfall, Santiago. Ich habe meine Gabe schon eingesetzt." Demetri rennt zu mir und reißt einem Vampir den Arm ab, der mich gerade angreifen wollte.,, Ganz ruhig, Sina. Wir schaffen das." Aber Entmutigung fließt durch unser Band. Langsam scheinen die Vampire weniger zu werden. Gott sei Dank. Bald liegen nur noch Tote auf dem Boden. Außer die Volturi. Aber ich kann auch kaum noch etwas sehen. Ich kann nur noch Cara und Felix ausmachen, die sich in den Armen liegen. Dann schließe ich die Augen und gebe dem Schmerz nach. Mein Kopf fällt ins schwarze Nichts.

Überall Flammen und Schmerz. Schreie, ein brennendes Haus. Tränen laufen über mein Gesicht. Ein Feuerwehrmann kommt zu mir und fragt mich, ob ich Schmerzen habe. Ich schüttle den Kopf und sage, dass er zuerst meinen Mann und meine Zwillinge retten soll. Er rennt zum Feuerwehrauto zurück und holt den Schlauch, mit dem er das Haus abspritzt. Tropfen fallen auf mein Gesicht, es wird immer mehr und mehr, bis ich in einem Meer schwimme. Weit und breit kein Land in Sicht, nur Wasser. Die Kräfte verlassen mich langsam. Dann sehe ich sie, die große, helle Flosse, die schnell auf mich zu schwimmt. Ein Hai! Panisch versuche ich, wegzuschwimmen, obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Ich merke plötzlich einen heftigen Schmerz im Bein. Ich gehe unter. Wasser schwappt über meinen Kopf. Alles wird dunkel. Die Konturen festigen sich zu einem Raum mit einer Tür. In dieser Tür steht ein Clown. Ich bin gelähmt vor Angst, sofort sehe ich, dass es ES ist. Zitternd kneife ich die Augen zusammen und weine leise vor mich hin. Als ich die Augen wieder öffne, ist der Clown weg. Erleichtert atme ich auf und drehe mich um, als auf einmal vor mir eine riesige Spinne auftaucht. Sie hat riesige Klauen, von denen Blut tropft. Panisch schreie ich auf und weiche zurück. Mit ekelerregenden langsamen Bewegung krabbelt sie auf mich zu. Ich lege mich auf den Boden und mache mich so klein wie möglich. Vielleicht bemerkt sie mich dann nicht. Plötzlich ist die Spinne weg, dafür merke ich aber, wie starker Wind mir die Haare ins Gesicht peitscht und mir Tränen in die Augen treibt. Nun stehe ich auf einem hohen Gebäude , beziehungsweise auf einer herausstehenden Antenne. Unter mir ist so viel nichts, dass man den Boden nicht sehen kann. Die Antenne schwankt und mir fällt es schwer, das Gleichgewicht zu halten. Der Wind presst mir die Luft aus den Lungen. Gleich werde ich fallen. Ich versuche noch, mit den Armen zu wedeln, um mich zu halten, aber der Wind hat mich schon von der Antenne gepustet. Ich schreie, als die Welt sich immer und immer wieder dreht, weil ich mich überschlage. Mir wird übel, gleich muss ich spucken. Dann wird alles dunkel. Ich stehe wieder auf festem Boden, aber sehe, dass ein Mann auf mich zuläuft. Er grinst pervers und sagt, dass ich ihm gehorchen soll, sonst würde er mich umbringen. Plötzlich hält er ein Messer in der Hand und drückt es gegen meinen Hals. Ängstlich kneife ich meine Augen zusammen. Gott sei Dank hört er auf. Auf einmal höre ich Leute lachen und öffne meine Augen wieder. Wie viele Ängste kommen denn noch? Ich stehe vor einer Gruppe von Menschen, meinen Klassenkameraden. Alle sind so um die achtzehn oder neunzehn. Selbst der Lehrer lacht und zeigt mit einem Finger auf mich. Mein Gesicht wird heiß. Ich weiß zwar nicht, was ich falschgemacht habe, aber das ich etwas falsches getan habe, ist eigentlich klar. Mit aller Macht muss ich meine Tränen unterdrücken. Am liebsten würde ich im Boden versinken und nie wieder auftauchen. So eine Angst habe ich vorher noch nicht durch meine Gabe erfahren. Sie muss schon ganz schön heftig sein, wenn sie als ihre/seine stärkste Angst gilt. Warum kann es nicht einfach aufhören?

Als ich die Augen wieder öffne, höre ich immernoch das Lachen in meinen Ohren. Das erste, was ich sehe, ist der weiße Baldachin. Ich versuche, aufzustehen, aber meine Muskeln wollen nicht. Es versagt quasi alles. Ich kann noch nicht mal meine Augen in eine andere Richtung bewegen. Mein Blickfeld verschwimmt, ich glaube, ich zittere. An etwas anderes denken, als an die Angst kann ich nicht. Es hält mich fest. Ich hasse es, meine Gabe in der Menge anwenden zu müssen. So schlimm war es noch nie. In meinem Kopf laufen die Situationen immer wieder auf's neue ab. Ich sehe mich fallen, die Spinne, ES und am schlimmsten die lachenden Schüler. Warum trifft es mich? Das frage ich mich jedes Mal.

Das EngelsmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt