Gebrochener Junge

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*Sicht Patrick*

Ich stürmte zum Fahrstuhl und tippelte nervös mit dem Fuß. Die Anzeige des Fahrstuhls wanderte immer weiter runter, bis die Tür sich öffnete und ich reinsprang und auf das jeweilige Stockwerk drückte.

Als ich oben ankam, sah ich Manuel schon in der Tür stehen. Ich ging mit schnellen Schritten auf ihn zu und schloss ihn in meine Arme. Sofort fing er an zu schluchzen. Aber es war eher wie das weinen eines kleinen Kindes, laut und unkontrolliert. Ich drängelte ihn nach hinten und schob mit meinem Fuß die Eingangstür zu. „Beruhig dich Manu, ich bin da.", murmelte ich gegen seinen Hals und griff nur fester um seinen dürren Körper.

„Danke.", wimmerte er, als er sich etwas beruhigt hatte. Dann lösten wir uns voneinander. „Was ist passiert?", fragte ich meinen Kumpel. Mit roten Augen sah er mich an. „Ich weiß es nicht. Ich habe Angst vor mir selbst, Palle. Bleib bitte heute hier." Verständnisvoll nickte ich einfach nur, nahm ihn an die Hand und zog ihn zu seinem Sofa. „Wir können machen was du willst. Fernsehen schauen, zocken, irgendwas kochen oder backen, raus gehen. Ganz egal was. Ich mach mit worauf du Lust hast." Er seufzte. „Ich will eigentlich gar nichts machen. Naja, eigentlich schon. Aber irgendwie auch nicht." „GTA heitert dich doch immer auf.", sagte ich und schaltete direkt die Konsole an, die vor seinem Fernseher auf dem Boden stand. Er sah mir nur wortlos dabei zu.

Aber das zocken brachte ihm tatsächlich bessere Laune. Nachdem wir einige Zeit gespielt hatten, lachte er auch schon wieder viel herzlicher. Seine Traurigkeit war wie verflogen und das war auch gut so. Trotzdem fragte ich mich, was genau los gewesen war. Wieso er mich so verzweifelt angerufen hatte. „Ich geh mal eben auf Klo. Wehe du tötest mich.", sagte ich und zeigte mit meinem Finger drohend auf Manu. „Mach ich nicht.", antwortete er unschuldig, schoss aber zeitgleich mit einem Raketenwerfer auf mich, sodass ich im hohen Bogen in die Luft geschleudert wurde und starb. „Wo bist du nur gespawnt, Palette.", sagte er grinsend zu sich selbst. „Dann viel Spaß beim Morden.", kicherte ich und ging ins Bad.

Ich schaute in den Spiegel und rieb mir über meinen Bart. Der müsste echt mal wieder gekürzt werden. Als ich meinen Blick senkte, um mir die Hände zu waschen, fielen mir Arzneimittel auf. Während ich meine Hände mit Wasser übergoss und sie mit Seife einrieb, las ich die Packungen durch. Venlafaxin. Esomeprazol, Cetirizin. Ich wusste gar nicht, dass Manuel Tabletten nahm. Ich trocknete meine Hände im Handtuch ab. Ich wurde neugierig, was das für welche waren. Doch ihn fragen, wollte ich dann auch nicht. Also nahm ich die oberste Packung in die Hand. Allergiemedikament. Ich legte es wieder beiseite. Das zweite war mir unklar, irgendwas gegen Magenschmerzen. Und als ich das dritte in der Hand hielt, wurde mir wieder klar, wie schlecht es Manuel gingen musste. Es waren Antidepressiva. Ich schluckte und legte alles wieder so hin, wie es gewesen war. Dann begab ich mich zurück zu Manuel, der gerade einen schluck Wasser nahm. „Du hast aber lange gebraucht.", lachte er, als er das Glas von seinen Lippen absetzte. „Ja. Ich, ich habe noch auf mein Handy geschaut und jemandem geschrieben.", redete ich mich raus. „Achso.", entgegnete Manuel nur und wendete sich dann wieder dem Spiel zu. Mein Blick blieb aber an ihm haften. Ich wollte nicht, dass er so ein gebrochener Junge war. Ich wollte einfach alles daran setzen, dass er wieder fröhlich durch die Welt gehen konnte. Egal wie, ich würde es schaffen.

Bis die Maske fällt / KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt