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"Ich will noch schnell in den Kunst Laden da vorne an der Ecke, ich komme gleich nach." Meine Mum gibt mir einen kleinen Kuss auf die Schläfe bevor sie sich umdreht um in eine kleine Gasse zu gehen. Ich packe meine Einkaufstaschen fester und gehe die breite Straße weiter entlang. Der eigentliche Grund für diesen Shopping Nachmittag ist der das meine Mum bald eine Kunstvorstellung hat und die ganze Familie geladen.

 Es gibt sogar einen Dresscode. Meinen Vater werde ich in meinem Anzug sehen, meine Mutter wird ihr dunkelgrünes Kleid anziehen und jetzt sind wir auf der Suche nach meinem Kleid. Wir waren schon in zig Geschäften, habe alle Kleider anprobiert aber leider war noch nicht das dabei, wo drin ich mich hübsch gefühlt habe. Meine Beine tun vom ständigen laufen weh, meine Finger sind schon ganz blass da durch die vielen Tüten das Blut in meiner Hand abgedrückt wird. Müde trottete ich die Gasse hinunter. Immer wieder schaue ich in die verschiedenen Schaufenster hinein. Kurz vor dem nächsten Kleidergeschäft bleibe ich vor einem Musik Laden stehen.

Im Schaufenster steht ein riesen Flügel. Schwarz Glänzen mit einem weinroten Hocker. Sofort reagieren meine Finger indem sie das Kribbeln anfangen. Sie wollen spielen, wollen den Klang erzeugen den ich so sehr vermisse. Die sanften Töne, die glatte Oberfläche der Tasten und das Rascheln vom umblättern der Papier Noten. Mein Atmen haucht gegen das Fensterglas. Ich habe gar nicht mitbekommen wie nahe ich vor dem Fenster stehe. Der Drang sich an das Klavier zu setzten und einfach drauf los zu spielen ist übermächtig. Ich bin kurz davor hinein zu gehen, als eine dunkle verschwommen Erinnerung sich durch mein Gehirn kämpft. Schweiß auf meiner Stirn. Das Zittern meiner Finger, die auf den Klaviertasten liegen. Die strenge Stimme meiner Großmutter. Die Befehle meiner Klavierlehrerin.

All die Gefühle die ich dabei verspürt habe geraten in einem Strudel zusammen und versuchen mich zu verschlucken. Das ständige Aufmerksam sein, das ständige lernen, der ständige Druck. Es steigt mir zu Kopf. Ich reiße meine Hände vom Fensterglas dann trete ich zwei Schritte zurück. Kurz kneife ich meine Augen zusammen um die Gedanken los zu werden. Dann laufe ich mit eiligen Schritten in den Klamotten Laden hinein. Ich ziehe wahllos eins der Tausenden Kleider raus, stürme in die Umkleide, streife es mir über. Ich bin mit den Gedanken wo anders. Ich bekomme nur die Hälfte mit was meine Mutter sagt. Ich ziehe ein Kleid nach dem anderen an. Der Gedanke an Klavier spielen hat mich aufgewühlt und eine Sehnsucht in mir geweckt, wo ich dachte sie sei längst begraben.

Selbst als wir den Laden verlassen, mit einem neuen Kleid, kribbeln meine Fingerspitzen noch immer. Ab und an schüttele ich meine Finger um das Gefühl los zu werden. Es nütz nichts. Auf der Fahrt nach Hause reden wir nicht viel. Erst als wir zur Eingangstür hineinkommen, beschließe ich noch einmal weg zu gehen. "Mum?" "Ja mein Schatz?" "Ich gehe nochmal zum Tonis." Ich beeile mich die Treppe hoch zu kommen. "Sei aber bitte um 9 zurück, du hast morgen Schule." Ich verspreche ihr vorher zurück zu sein. Dann ziehe ich mich heute zum gefühlten hundertsten Mal um. Tausche meine enge Jeans gegen eine Schwimmhose und mein Oberteil gegen ein Bikini Oberteil. Zum Schluss werfe ich mir mein Sommerkleid über und verschwinde schnell aus der Haustür.

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Kühles Wasser empfängt mich. Kleine Wellen schlagen gegen meine Oberschenkel, während ich immer weiter ins Meer gehe. Erst als das blaue Wasser bis zu meiner Brust reicht, halte ich die Luft an und tauche unter. Langsam wedle ich mit meinem Armen umher um unter der Wasseroberfläche zu bleiben. Die Schnur die an meinem Handgelenk befestigt ist schwebt über meinem Kopf mit den Wellen mit. Meine Füße wirbeln Sand auf und meine Hände das Wasser. Umso länger ich Unterwasser bin, umso stärker klären sich meine Gedanken. Ich fange mit dem Zählen an. Erst als meine Finger schrumpelig sind und meine Lungen nach Sauerstoff lechzen tauche ich auf. 124Sekunden. Ich hieve mich auf mein Bord drauf und patte langsam ans Ufer zurück. Mit ruhigen Schritten und einem Lächeln auf den Lippen gehe ich rüber zur Strandbar. Das vertraute Zwitschern setzt ein, als ich die Tür aufstoße.

Toni ist gerade damit beschäftigt einen Kunden zu bedienen, weshalb ich mich leise auf einen Hocker setzte. "Na Sonnenblume, wie lange warst du diesmal Unterwasser?" Toni hat seinen Kunden bedient und wendet sich an mich. "124 Sekunden. " Erwidere ich stolz. "Klasse." lobt er mich. Ich weiß, dass die Zeit nicht sonderlich lang ist für richtige Taucher aber ich mag es, mich selbst zu übertrumpfen auch wenn es bei kleineren Zahlen bleibt. Lächelnd füllt er ein Glas mit Eistee und stellt es vor mich hin. Dankend nehme ich zwei große Schlucke davon. Er bleibt ein bisschen vor mir stehen um sich mit mir über alles zu Unterhalten. 

Er fragt nach der Schule, nach meiner Familie und meinen Freunden. Es tut gut mit ihm zu reden, fast so gut wie das Tauchen. Wir werden unterbrochen als sein Handy klingelt. "Tonis Bar, was kann ich tun?" Ich schmunzle über Tonis anrede. "Ja...ja...okay ich komme." Dann legt er auf und schaut mich bittend an. Ich ahne was Böses. "Ich muss jetzt weg, der Umbau arbeiten für meine zweite Bar laufen nicht so wie sie sollten." Er geht hektisch zwischen Bar und Garderobe hin und her.

"Kein Problem." Ich springe vom Stuhl auf. Ich kann daheim noch was für die Schule erledigen, das passt mir also ganz gut. "Kannst du bitte hier auf mich warten und aufpassen, dass Rick das Haus nicht verlässt? Er hat Hausarrest aber er hält es nicht ein sobald ich weg bin, bitte." Graugrüne Augen schauen flehentlich zu mir hinunter. "Ich soll Rick Babysitten?" meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Fast muss ich sogar auflachen, wenn ich mir vorstelle was Rick dazu zu sagen hat. "Nenn es wie du magst, aber bitte pass auf. Bediene dich und Danke." Er streift sich eine Jacke über und geht zur Tür hinaus. Zurück bleibe ich und eine leere Bar. Da Toni mir nicht aufgetragen hat mich auch um die Bar zu kümmern hänge ich schnell das Schild von Offen auf Zu um. Dann kehre ich zu meinem Hocker zurück und trinke meinen Eistee aus.

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Meine Finger malen abwesend kleine Kreise auf das Holz. Ich bin so in Gedanken versunken das ich erst gar nicht richtig mitbekomme wie jemand die Bar betritt und sich vor mich stellt. Ich reiße den Kopf hoch und schaue in Ricks Gesicht. Er hat die Augenbrauen zusammengezogen und wirkt schlecht gelaunt, wie eigentlich immer. "Wo ist mein Onkel?" "Weg." "Wie weg, wohin ist er?" Er lehnt sich über den Tresen sodass ich zurückweichen muss. Schnell gehe ich vom Hocker runter, nehme mein leeres Glas und gehe zur Spüle. "Er musste zum Bau." Ich schiebe mich an ihm vorbei um ans Waschbecken zu gelangen. "Und was machst du dann noch hier?" Er lässt es mich wissen wie uneingeladen ich hier bin. Davon lasse ich mich nicht unterkriegen. "Ich soll aufpassen, dass du nicht abhaust." Mit dem Rücken zu ihm stehe ich da und wasche ein Glas aus. "Du sollst was...?" ein raues Lachen lässt mich herum schellen. Sofort stirbt sein Lachen ab. "Was ist?" motz er mich an.

Schnell drehe ich mich um, räume das Glas in den Schrank zurück. Erst als ich spüre, dass Rick sich langsam entfernt drehe ich mich um. Gerade noch sehe ich wie er sich seinen Autoschlüssel schnappt und durch die Hintertür verschwindet. Blitzschnell reagiere ich. Im Eiltempo laufe ihm nach bis raus auf dem Parkplatz. "Rick! " Er scheint mich nicht zu hören oder mich zu ignorieren. "Bleib stehen! Du hast Hausarrest!" Ich weiß, dass ich klinge wie eine nervige Aufpasserin, aber das ist egal. Ich sprinte über den Kies des Parkplatzes. Er steigt gerade in sein Auto. Der Junge kann auch nie das machen was man von ihm will. Wütend lasse ich einen Schrei los. Er hat den Motor schon gestartet und will gerade losfahren als ich die Tür aufreiße und mich auf den Beifahrersitz fallen lasse. 

My GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt