Jederzeit || Jean x Reader

1.4K 69 6
                                    

Es war einer der schlimmsten Momente in meinem Leben. Ich lebte gefährlich, ja. Ich war mir dies auch bewusst. Doch nie stand ich so kurz vor dem Tod. Ich würde ohne einen Sieg sterben. Ohne etwas erreicht zu haben. Der Titan hatte es geschafft, mich in die Ecke zu drängen. Mein 3-D Apparat mit dem ich mich normalerweise fortbewegte, lag kaputt einige Meter hinter dieser Kreatur.
Ich habe verloren.
Die scheußlichen Finger griffen nach mir.
Ich habe tatsächlich verloren.
Ich dachte an alles, was ich nie geschafft hatte.
Mein Leben, ich hatte viel zu viel nicht erledigt.

Ich habe nie wieder meine Heimatstadt in der Mauer Maria gesehen. Ich habe mich nicht von Vater und Mutter verabschiedet. Ich hab nie das offensichtlichste Paar im Aufklärungstrupp zusammen kommen sehen, meine Freunde Sasha und Connie.

Ich habe Hanjis großen Durchbruch nie zu Gesicht bekommen.
Ich habe kein einziges Mal den Hauptgefreiten Levi lächeln sehen.
Und...
Ich habe nicht mal das geschafft, zu den ich fähig gewesen wäre.
Ich habe es nicht auf die Reihe bekommen, mich von der wahrscheinlich vertrauenswürdigsten Person in Frieden zu verabschieden.
Nicht einmal das.
Die schmerzvollen Wörter tauchten wieder in meinem Kopf auf.

»Ganz ehrlich, du verstehst es einfach nicht. Nicht ich bin hier das Problem, sondern DU.«

Der innere Schmerz war viel größer als der körperliche, der der grässliche Titan verursachte.

Es ist vorbei.
Ich schloss meine Augen, nahm vom Leben Abschied.
Tränen liefen ohne Reaktion von mir mein Gesicht hinunter.
Es war dunkel, sie schütze mich vor der Angst. Die Dunkelheit verminderte meine Angst vor dem Tod.
Das Einzige, was noch existierte,waren meine schrecklichen Gewissensgefühle.
Das Leben war eine Qual.
Eine endlose Qual, die mit einem Augenblick endete.
...

"(Y/N)!"

Mein Leben endete eben nicht. Ich hörte, wie zischende Klingen sich in das Fleisch des Titanen bohrte, bevor ich unsanft zu Boden ging. Es war kein hoher Sturz, doch er verursachte heftige Benommenheit.
Schon wieder wurde mein Name gerufen.

"(Y/N)! Alles in Ordnung bei dir?"

Ich war unfähig aufzustehen. Meine Augen realisierten den aufsteigenden Dampf des vor mir liegenden Titanen. Das Ding...es war tot. Es wurde umgebracht. 

"(Y/N)!"

Ich erkannte seine Stimme. Er war zu mir gekommen und streckte mir seine rechte Hand hin.

"(Y/N)...", wiederholte er, diesmal mit einem Klang Erleichterung.

Ich war immer noch unfähig mich zu bewegen. Er hatte mir, trotz was vorgefallen war, geholfen. Jean hatte diesen Titanen für mich niedergestreckt. Verwirrt griff ich langsam nach seiner Hand.

"Du...hast mir geholfen...mich...gerettet"

Es hörte sich merkwürdig an, doch ich hatte es nicht erwartet. Nicht nachdem was passiert ist. Schreckliche Wörter, grausame Erinnerungen von unserem Gespräch kamen mir wieder in den Sinn.

»Ganz ehrlich, du verstehst es einfach nicht. Nicht ich bin hier das Problem, sondern DU.«

»Jean, du verstehst es falsch. Lass es mich genauer er-«                                                    

»Okay,weißt du was? Lassen wir es. Wenigstens weiß ich nun, dass ich nicht mal dir vertrauen kann. Nicht mehr.«

Und trotzdem stand er vor mir und rettete mein Leben. Er lächelte nicht. Doch irgendwie...wirkte sein Blick warm, ähnlich wie mitfühlend. Seine Worte überraschten mich.

"Jederzeit, (Y/N), jederzeit."

Er zog mich hoch und wenige Sekunden flog er, ohne noch etwas zu sagen, mit seinem Apparat davon. Noch hatten wir zu kämpfen.

.

.

.                                                                               
»(Y/N)...äh...können wir reden?«

»Klar, was gibt es?«

»...«

»Jean? Alles okay? Ist was vorgefallen?«

»Ich...weiß nicht,wie ich anfangen soll....«

»Versuch es. Ich hör zu, du weißt es doch.«

»Ich sage es jetzt einfach wie es ist. Ich weiß, dass du Sasha und Connie über meine Alpträume erzählt hast. Und ich versteh einfach nicht wieso. Ich habe es dir anvertraut und zwar NUR dir. Ich dachte, ich kann dir vertrauen. Ich dachte, du wärst die Erste, der ich nach Marco bedingungslos vertrauen kann. Ich dachte, ...du...du...«

»Ich habe es ihnen gesagt, weil ich weiß, dass sie dir helfen können. Und zwar mehr als ich es kann. Sie sind deine Freunde, Jean.«

»Das Problem liegt dran, dass ich nicht will, das es jeder weiß. Es geht hier um Vertrauen, (Y/N).«

»Ich will dir doch helfen. Jean, du versteckst deine Gefühle vor jedem und lässt dir einfach nicht helfen. Du hast mir die Chance gegeben, dir zu helfen. Also hab ich diese Chance genutzt. Verstehst du? Ich will, dass es dir besser geht. Das diese Alpträume bald ein Ende haben. Nur deswegen habe ich Sasha und Connie davon erzählt. Damit es du wieder ruhig schlafen kannst.«

»Ganz ehrlich, du verstehst es einfach nicht. Nicht ich bin hier das Problem, sondern DU.«

»Jean, du verstehst es falsch. Lass es mich genauer er-«

»Okay, weißt du was? Lassen wir es. Wenigstens weiß ich nun, dass ich nicht mal dir vertrauen kann. Nicht mehr.«

.

.

.

Am Abend nach der Schlacht kehrten wir beide lebendig zurück. Obwohl ich mich müde fühlte, entschied ich mich ihn aufzusuchen. Unser Streit...ich wollte es ein für alle Mal erklären. Ich befand mich im Mädchenschlafsaal.Leise, um ja niemanden zu wecken, öffnete ich die Tür und machte mich auf den Weg zum Schlafsaal der Jungen.

Ich hatte die Hälfte der Strecke hinter mir, als...mir jemand entgegen kam. Die Person, die ich gesucht hatte. Jean erkannte mich und lief mit schnelleren Schritten zu mir. Mein Kopf war klarer als nach meiner Rettung, diesmal wusste ich was ich sagen wollte.

"Jean, hör zu, ich muss mich bedanken und mich entschuldigen. Ich hätte d-"

Weiter kam ich nicht, denn er umarmte mich fest, so als hätte er ein verschollenes Kinderspielzeug wieder gefunden. So als würde er nicht mehr loslassen. So als..., hätte er mich vermisst. Seine Worte waren leise. Er flüsterte sie direkt in mein Ohr:

"Ich habe dir unrecht getan. Ich habe dich verurteilt, obwohl du nur helfen wolltest. (Y/N), es fühlt sich schrecklich an. Es fühlt sich so unfassbar grässlich an, die Person zu verurteilen, die man am meisten liebt."

Der letzte Satz war kaum mehr als ein Hauchen. Er umschlang meinen Körper nur noch fester. Jean...er weinte. Ich drückte ihn nur noch mehr an mich, zeigte meine Dankbarkeit durch Wärme. Ich musste nichts sagen. Das Einzige, was er brauchte, war jemand der ihn trösten konnte. Jemand, dem er vertrauen konnte und ihn glücklich sehen wollte. Besser gesagt, ihn glücklich machen konnte. Als wir so fest umarmt im Gang zwischen den Mädchen- und Jungschlafsälen standen, wusste ich, dass ich diese Person für ihn sein konnte. Und Jean konnte diese  Person für mich sein. 

Ich würde Jean jederzeit helfen.

Und er würde mir jederzeit zu Rat stehen.

Jederzeit.

AoT OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt