Gutes Gewissen

431 10 2
                                    

»Begrüßung, Einleitung, Plan erklären, sich bedanken, offene Fragen beantworten.«

Diesmal schloss er die Augen beim Wiederholen.

»Begrüßung, Einleitung, Plan erklären, sich bedanken, offen gebliebene Fragen beantworten.«

Beim erneuten Öffnen seiner Augen starrte ihm ein hölzernes Regal, das mit Büchern befüllt war, entgegen. Da saß er gefangen, nicht aufzufinden, zwischen einer kalten, weißen Wand uns eines der Bücherregalen in der Bibliothek. Sein absoluter Lieblingsort im Lager des Aufklärungstrupps. Nichts anderes brachte ihn mehr zum Entspannen als der Duft lang existierender Bücher und der Stille, gefüllt mit Wissen.
Wissen, das mächtiger war als alle Titanen zusammen. Natürlich besaß Armin nicht das gesamte, versammelte Wissen. Um ehrlich zu sein, nur einen winzigen Teil. Er hatte an diesem Ort noch viel zu lernen, mehr als er je in seinem gesamten Leben schaffen würde. Doch genau deswegen liebte er es sich hier zu verstecken.
Nicht vor Menschen. Nicht vor Gesprächen. Einfach nur zu diesem Wissen dazu zu gehören, das mochte der Junge. Nur in der Bibliothek war seine Konzentration so perfekt um wirklich alle Informationen zu verarbeiten. Und er schaffte seine Nervosität weg.

»Begrüßung, Einleitung, Plan erklären, sich bedanken, offene Fragen beantworten.«

Dieser dämliche Vortrag.
Ausgerechnet er wurde darum gebeten den ausstehenden Plan zur nächsten Expedition außerhalb der Mauern für die Gruppen der Vor- und Nachhut zu erklären. Es war zwar nur ein Vortrag, unter dem viele seiner Freunde zuhören würden, doch die Angst blieb dennoch bestehen. Armin erinnerte sich nur ungern an dieselbe Aufgabenstellung während seiner Ausbildungszeit.
Das Gelächter. Die desinteressierten Gesichter.
Er schüttelte die unbändigen Gedanken an, indem er sich dazu strengstens ermahnte mit dem Jammern aufzuhören.
Diesmal war es kein Vortrag zur Übung, alle hatten den Plan zu befolgen um das Missionsziel zu erfüllen. Diesmal durfte keine Langeweile aufsteigen. Schließlich entschied sein Sagen über späteres Leben und Tod.

»Begrüßung, Einleitung, Plan erklären, niemanden zu stark in die Augen schauen, mögliches Gelächter ignorieren, sich trotz der vorhandenen Unruhe bedanken und die Fragen, die es sowieso nicht geben wird, wenigstens versuchen zu beantworten.«

Verdammt, wieso klappte es heute, wo er die Ruhe doch so gut gebrauchen konnte, nicht? Was war los mit ihm?
Entmutigt, im Selbstzweifel versinkend, ließ Armin seinen Stichpunktzettel zu Boden sinken und vergrub zeitgleich seinen Blondschopf in seine Armbeugen, die er mit seinen angezogenen Knien abstützte.
Er durfte nicht so denken.
Eren hatte ihm das gesagt.
Mikasa hatte ihn dazu ermahnt.
Jean hatte es ihm geraten.
Er selbst hatte es sich befohlen.
Und trotzdem ergriffen seine negativen Gedanken die Oberhand.
Wie schlimm wird es werden? Wie sehr wird er sich blamieren?
Nur noch solche Gedanken kreisten umher, zerstörten die Ruhe, zerstückelten ihn zu einem wertlosen Nichts.

»Es ist doch nur ein Vortrag. Hör auf dich selbst herunter zu ziehen«, flüsterte eine innere Stimme zaghaft, kaum hörbar unter seinen umher brüllenden Kameraden.
Sie ging im Getümmel unter, noch bevor Armin sie wahrnehmen konnte. Was ihm bei seinen laut gewordenen Denken ebenfalls nicht auffiel, war das Zittern seiner Knie, der Schweißausbruch an der Stirn. Das Gefühl des Versagens übernahm ihn. Zum unzähligen Male wiederholte der junge Aufklärer seinen selbst erstellten Plan zur Vorstellung.

»Begrüßung, Einleitung, die kompletten Un-«

»Armin, du bist hier, oder?«

Eine gelassene Stimme ließ ihn alle Gedanken mit einem einzigen Satz stumm werden, egal ob gute oder schlechte.
Erst jetzt bemerkte Armin seine hohe Anspannung. Der Mann, dem die Stimme gehörte, hatte seine eigentliche Frage als einen Satz formuliert. Er wusste, dass sich Armin hier befand. Und er war anscheinend des Hellsehens fähig. Mit wenigen, hallenden Schritten stand er vor Armin's kleiner Nische und wartete auf etwas. Nun gut, vielleicht war er kein Hellseher, sondern hatte nur ein gutes Gehör, denn sein Atem war gegen Schluss doch ziemlich laut gewesen.
Hastig erhob sich Armin um sich bei seinen Vorgesetzten respektvoll zu entschuldigen. Seine Knie waren trotz dessen weiterhin schwach, seine Angst körperlich immer noch deutlich erkennbar.

»Levi, ich ähh, Hauptgefreiten Levi! Ich ... ich entschuldige mich für mein aufgelöstes Verhalten.«

Sie waren fast bei gleicher Augenhöhe, wobei Armin seinen "Boss", da er zu seiner Spezialeinheit dazu gehörte, um nur wenige Zentimeter überragte. Eigentlich waren sie beide recht klein für ihr Alter, vor allem der Hauptgefreiten, was man jedoch vor ihm auf keinen Fall erwähnen sollte.

»Ich wollte dich abholen. Die Anderen warten bereits.«

Er meinte seine Zuhörer, diejenigen, die ihm wie damals das öffentliche Reden zur Hölle machen wollten.

»Oh, i-ich bin soweit. W-Wir können gehen.«

Das Stottern konnte er nicht umgehen, doch er steckte es tapfer ein.

»Dann solltest du dich zunächst einmal in Fassung bringen, Armin.«

Weder Tadel noch sonst eine spöttische Absicht lag in Levi's Worten. Trotz seiner eher neutralen Wortwahl erkannte Armin darin Bemühung um ihn. Levi war nicht nur gekommen um ihn abzuholen. Sondern um ihn auch für den bevorstehenden Moment aufzubauen.

»Straffe deine Schultern.«

Armin straffte daraufhin seine schmächtigen Schultern.

»Atme ein.«

Armin atmete tief ein.

»Tief ausatmen.«

Armin tat, wie gesagt.

»Und jetzt hörst du mir zu.«

Also hörte der junge Soldat Levi's Worte an.

»Ich weiß nicht, was in deiner Vergangenheit passiert ist, damit du so viel Angst davor hast. Aber das ist in Ordnung. Du gehst trotzdem in diesen Raum hinein, sowie du nicht vor einen Kampf halt machen würdest. Und du wirst reden, genau das tun, was du zu tun hast. Du redest solange, bis du, falls es passieren sollte, eingeschüchtert bist. Dann gibst du deinen Zettel mit den Stichpunkten an jemanden dir Vertrauenswürdigen ab, solange es nicht Eren ist, und lächelst diese Person an. Mit diesem Lächeln gehst du dann hinaus und wirst deinen alltäglichen Aufgaben nachgehen, verstanden?«

Armin nickte bloß. Worte waren nicht benötigt und das wusste Levi auch.

»Gut. Du bist unser Stratege, Armin.«

.
.
.

Armin folgte die Worte von Levi Schritt für Schritt.
Keine Angst, keine Sorgen ließ sich der Junge, während des Sprechens, anmerken. Bis der, wie zu erwartende, Moment kam.
Ein kurzes Raunen, ein leises Lachen innerhalb des Publikums und schon hielt Armin mit der Planaufführung an.
Er wechselte einen kurzen Blick zu Levi, der etwas abseits an der Wand angelehnt stand und ihm nur zu nickte. Es reichte aus um einen Schritt zu seinen Freund Jean zu machen, der sehr wohl als vertrauenswürdig für ihn war. Jean blickte ihn verwirrt entgegen, als Armin sein Stück Papier in seine Hand drückte, mit einem leichten Lächeln auf seinen Lippen.
Die Überraschung hielt nur für einen Bruchteil einer Sekunde an. Auch Jean nickte Armin zu und machte genau da weiter, wo er selbst aufgehört hatte. Die entstanden Unruhe beachtete er dabei nicht. Armin schritt hinaus, das Lächeln weiterhin bestehend.

.
.
.

»Armin, was ist passiert? Warum bist du einfach gegangen?«, fragte sein Kindheitsfreund und gleichzeitig bester Freund Eren, nachdem dieser aus dem Besprechungsraum stürmte.
Armin lächelte ihn an.

»Alles ist in Ordnung, Eren. Es war nur ein Vortrag und ich wollte mich selbst nicht herunter ziehen lassen.«

Sowie es die unhörbare Stimme ihm gesagt hatte.

AoT OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt